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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Da sah er ganz deutlich ihr Gesicht – und als läge ein drückender Stein auf seiner Brust, so schwer und beklommen atmete er! Er hörte auch, wie sie mit ihrem Kinde plauderte, herzlich, doch mit einer müden, verschleierten Stimme.

Nun war sie vorüber und der Klang ihrer Worte erlosch immer mehr. Mit jähem Schritt, als hielt’ es ihn nicht länger im Versteck, trat Mathes auf die Straße hinaus. „Karlin’!“ rief er mit heiserer Stimme und erblaßte doch, als sie hastig das Gesicht wandte.

Sie war schon ein gutes Stück von ihm entfernt; dennoch erkannte sie ihn gleich. „Mathes! Du! Ja grüß Dich Gott!“ Sie streckte die Hand und wollte zurückkommen.

Da rief er mit überstürzten Worten: „Na, ich hab’ net Zeit! … Bloß sagen will ich Dir, daß der Purtscheller im Wald droben nachschauen soll! Der Berg hat ein bißl was umg’worfen! Das hab’ ich Dir sagen müssen! … B’hüt Dich Gott wieder! B’hüt Dich Gott, Linerl!“

„Aber Mathes! … Mathes!“

Er hörte nicht und eilte mit langen Schritten davon.

Karlin’ schüttelte verwundert den Kopf, und während sie ihm sinnend nachblickte, schien sie nicht zu fühlen, daß ihr das Kind mit zausenden Händchen die Zöpfe fast von der Stirne riß.

(Fortsetzung folgt.)


Das neue Goethe-Schiller-Archiv in Weimar.

An der Stätte des gemeinsamen Wirkens unserer beiden größten deutschen Dichter, in Weimar, ist am 28. Juni d. J. das neu errichtete Goethe-Schiller-Archiv seiner Bestimmung übergeben worden.

Das Gebäude – ein einfach vornehmer Massivbau im Renaissancestil der Goethezeit, der an das kleine Trianonschloß in Versailles erinnert – erhebt sich im Osten der Stadt in malerischer freier Lage am Ilmabhang, am Wege nach Jena und Tiefurt und in unmittelbarer Nähe des Residenzschlosses. Sein hell leuchtendes hohes Gemäuer von einheimischem Gestein – Kalktuff und Sandstein – spiegelt sich freundlich im grünlichen Gewässer der unten vorüberrauschenden Ilm.

Als am 15. April 1885 der letzte Enkel Goethes, Walther, starb, ging durch dessen testamentarische Bestimmung der gesamte schriftliche Nachlaß des Dichters in den Besitz der regierenden Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar über. Bis dahin waren diese Schätze der öffentlichen Benutzung fast völlig entzogen gewesen; die Großherzogin beschloß, das kostbare Erbe für die deutsche Nation und die Welt fruchtbar zu machen; sie machte es zum Inhalt eines Archivs, das zunächst im Großherzoglichen Schlosse Aufstellung fand, berief einen hervorragenden Goetheforscher zu dessen Verwaltung und traf Verfügungen, welche die literarische Ausnutzung der Schätze regelten. Dem Beispiel des letzten Goethe folgten 1889 der Enkel und Urenkel Schillers, Ludw. und Alex. von Gleichen-Rußwurm, indem sie das zu Greifenstein ob Bonland bestehende Schiller-Archiv der Großherzogin zur Vereinigung mit dem Goethe-Archiv überwiesen. So wurde das für letzteres geplante Gebäude zur Aufnahme auch dieser Stiftung, der andere verwandten Charakters folgten, eingerichtet.

Das neue Goethe-Schiller-Archiv in Weimar.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph Louis Held in Weimar.

Sein Aufbau erfolgte seit 1893 unter der umsichtigen Leitung des Architekten O. Minckert aus Weimar und nach den eigenen Angaben der kunstsinnigen Bauherrin. Um vollständige Feuersicherheit für den kostbaren Inhalt zu erzielen, wurden für Mauern, Dach und Decken des Gebäudes nur Stein und Eisen verwendet. Geheizt werden sämtliche Arbeits- und Diensträume durch eine Wasserdunstheizung, während die Archivsäle Wasserdunstluftheizung erhalten haben. Die eigentlichen Archivräume des ersten Stocks sind der Stadt und der Ilm zugekehrt. Es sind drei große, helle, 8 Meter hohe Säle mit ringsumlaufender eiserner Galerie. Der Mittelsaal ist zur Aufnahme der Handschriften bestimmt, in den Seitensälen haben einstweilen die Büchersammlungen der „Goethegesellschaft“ und des Archivs Aufnahme gefunden.

Außer dem im Eingang bezeichneten handschriftlichen Nachlaß von Deutschlands größten Dichtern, Schiller und Goethe, deren Standbilder auf dem Denkmal in Weimar einen gemeinsamen Lorbeerkranz halten, besitzt das Archiv aus der gleichen glanzvollen Zeitepoche auch den handschriftlichen Nachlaß Herders und Wielands. Auch sonst hat das Gocthe-Schiller-Archiv durch wertvolle Schenkungen von Litteraturfreunden, sowie durch gelegentlichen Ankauf von Nachlässen und Handschriften einzelner Dichter bedeutende Bereicherung erfahren; so besitzt es z. B. die Nachlässe von Ed. Mörike, K. Immermann, Otto Ludwig und Fr. Hebbel, ferner Handschriftliches von Anastasius Grün, Lenau, Rückert, Gottfried Keller, E. Geibel, B. Auerbach, Th. Storm, Paul Heyse u. a. Auch Reuters handschriftlicher Nachlaß, den die Schillerstiftung verwaltet, ist hier aufbewahrt. Es steht somit zu hoffen, daß das Weimarische Goethe-Schiller-Archiv sich mit der Zeit zu einem allgemeinen Archiv für neudeutsche Litteratur gestalten wird.

Die Einweihung des Archivs fand nachmittags drei Uhr in Gegenwart des Hofes und eines eingeladenen Publikums im Mittelsaal des ersten Stockes statt. Unter den Teilnehmern befand sich eine Reihe namhafter Schriftsteller und Gelehrter, so Paul Heyse, Ernst v. Wildenbruch, Kuno Fischer. Der Kaiser hatte den Chef seines Civilkabinetts, Herrn von Lukanus, hergesandt. Nachdem ein auf der hohen Rundgalerie aufgestellter Chor den Schlußsatz von Beethovens Neunter Symphonie mit dem Text von Schillers Lied „An die Freude“ vorgetragen hatte, hielt der Direktor des Archivs, Geheimer Hofrat Suphan, die Begrüßungsrede, indem er in geistvoller Weise auf die Bedeutung und die kostbaren Schätze des neu erstandenen Archivs hinwies und eine kurze Geschichte seiner Entstehung gab. Von neuen in Aussicht stehenden Schenkungen konnte er u. a. Freiligraths Nachlaß und Westermanns literarisches Archiv erwähnen. Auf diese Rede folgten verschiedene Ansprachen seitens der Vorstände mehrerer literarischer Gesellschaften. Geheimer Hofrat Ruland aus Weimar sprach im Namen der Goethegesellschaft, welche dem Archiv eine Goethe- und eine Schillerbüste (von K. Rumpf in Frankfurt a. M.) gestiftet hatte. Professor Erich Schmidt aus Berlin überreichte im Namen einer Anzahl Goethefreunde ein kostbares Geschenk: Goethes Originalbriefe an Frau von Stein; sieben Folianten. Sie waren bisher auf Schloß Kochberg in Verwahrung. Im Namen der Schillerstiftung legte Rob. Waldmüller-Duboc aus Dresden unter Glückwünschen eine Urkunde nieder. Für die Deutsche Shakespearegesellschaft, die eine Gedenktafel gestiftet hatte, sprach deren Vorstandsmitglied Oechelhäuser. Die Frau Großherzogin von Sachsen erwidete eine jede der an sie gerichteten Ansprachen mit huldvollen Worten. Der Schlußchor aus Schumanns Faustmusik beschloß die einstündige erhebende Feier, worauf der Hof Cercle hielt. – Eine zur Feier des Tages an Ort und Stelle veranstaltete kleine Ausstellung von Handschriften gewährte einen sehr interessanten Einblick in die wertvollen Schätze des Archivs. Dr. K. Markscheffel.     

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0507.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)