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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

schluckte. „G’sehen hab’ ich’s net, die Musi! Aber g’hört hab’ ich s’! Und allweil hab’ ich in d’ Höh ’naufschauen müssen … ja … weil s’ in die Lüft’ droben g’wesen is, die Musi.“

„Aber so was! In die Lüft’ droben?“ staunte Michel. „Du, Zenzerl, paß auf … allweil mein’ ich, da hast die lieben Engerln singen hören!“ Das Dirnlein machte ein ernstes Gesichtchen und besann sich. „Na! G’sungen haben s’ net! Trumpeten haben s’ blasen! … Können denn die lieben Engerln Trumpeten blasen, sag’?“

Beim Hackstock verstummten die Beilschläge, und Vroni blickte über die Schulter nach dem Kinde.

„Aber g’wiß!“ beteuerte der Simmerauer. „Alle Instramenter können s’ blasen! Und Harpfen zupfen, ja, und Zithern schlagen! Aber geh, verzähl’, wie is’ denn nachher weiter g’wesen?“

„So viel schön is’ g’wesen, Ahnlvater! Soooo viel schön! Und zur Kirchen hat man g’läut’, und der Pepperl hat sein neu’s Höserl anziehen dürfen und ich mein rot’s Röckerl, mein rot’s! Und auf Mittag hat’s Dampfnudeln ’geben, hat mir ’träumt, ja! … Gelt, Ahnlvater, so ein schöner Traum muß eintreffen?“

„Ja, mein Herzerl, ja! Sei nur schön brav! Da könnt’s schon möglich sein, daß am Sonntag ein bißl was eintrifft …“ lächelnd kniff der Simmerauer das Dirnlein in das kleine runde Kinn, „… mit die Dampfnudeln, ja!“

„Und d’ Engerln müssen blasen dazu!“

„’s sell weiß ich net, mein Kindl! Allweil’, weißt, sind d’ Engerln net aufg’legt zum Trumpetenblasen. Aber jetzt sei schön z’frieden … und Du, Pepperl, da komm her! Jetzt spazierts halt miteinander schön ’nüber in’ Purtschellerwald …“

„In’ Wald ’nüber? Na!“ fiel das Bürschlein dem Großvater in die Rede und strich die fetten Fingerchen, aus denen das Butterbrot verschwunden war, ein paarmal über das Höschen hin und her. „In’ Wald ’nüber mag ich nimmer!“

„Ja warum denn net?“

„Weil er gar so viel grantig is!“

„Was? Grantig? Der Wald?“ fragte Michel, den bei diesem Kinderwort eine dunkle Sorge zu beschleichen schien.

„Ja! Gestern hat er g’schrieen! Ganz laut hat er g’schrieen! Du! Da bin ich erschrocken!“

„Aber geh, Du Dapperl!“ Dem Alten versagte fast die Stimme. „Der Wald! Der kann ja doch net schreien!“

„Aber ja. Ganz ein groß Maul hat er aufg’rissen, im Boden drin! Und g’schrieen hat er! Huhuu hat er g’schrieen, wie der Holimann! Den Wald, den mag ich nimmer, na!“

Michel wußte kein Wort zu sagen, und dieses Schweigen schien Zenzerl als einen Zweifel zu deuten, denn sie bestätigte allen Ernstes: „Ja, Ahnlvater! So hat er’s g’macht!“ Sie sperrte das kleine rosige Mäulchen auf, so weit sie konnte – und dann lachte sie. „Aber ich hab’ mich gar net g’forchten, na! Bloß der Pepperl! Der is g’laufen, was er laufen hat können! Weißt, der thut sich halt noch fürchten, weil er so ein gar kleins Büberl is!“ Freilich, der Pepperl war ja doch um ganze zehn Monate jünger als sie! „Ich hab’ mir halt ’denkt, daß er Hunger hat, der Wald, weil er sein Schnaberl gar so weit aufreißen thut!“

Der Simmerauer hatte die Arme um die beiden Blondköpfe gelegt und tauschte einen scheuen Blick mit Mutter Katherl, welche leise zu ihm sagte: „Gelt, Vater! Allweil hab’ ich’s schon g’meint: der Wald is nimmer sicher! Laß mir nur ja die Kinder nimmer in’ Wald ’nein!“

„Na! Na! Nur kein Schrittl nimmer in’ Wald ’nein!“

„Ahnlvater,“ fragte das Bürschlein, „dürfen wir net lieber die Zickizotterln hüten auf der Wiesen droben? Schau nur, so viel schön thut d’ Sonn da droben scheinen!“

„Ja, mein Schatzerl, ja! … Geh, Katherl, laß ihnen die Zickizotterln aus ’m Stall! Ich muß ja zur Arbeit schauen.“

Mit lautem Jubel rannten die Kinder der Großmutter voran und verschwanden in der Stallthüre. Lachend und kreischend kamen sie wieder zum Vorschein, jedes mit einer Ziege am Strick, und das ging nun über den Hof und hulterdiwultri über die Wiese hinauf – bald zerrten die Kinder die beiden bockenden Ziegen hinter sich her, bald wieder schleiften die trippelnden Tiere ihre Hüter durch die Bodenfurchen und über die Maulwurfshügel, daß die zwei lustigen Knirpslein unter Lachen und Jauchzen einen Purzelbaum um den anderen schlugen.

Während von der sonnigen Wiesenhöhe die Stimmchen der Kinder verschwommen herunterklangen, nahm die Arbeit im Hof des Simmerauer unter sparsamen Worten ihren treibenden Gang.

Mutter Katherl schleppte die Ruten, welche Vroni geputzt hatte, durch den Garten zum Verhau. Hier waren Michel und Mathes bei der Arbeit; der Alte hielt die hohen Pfosten fest, auf die der Bursche, welcher oben auf der Böschung stand, mit der Holzkeule losdrosch. Als die Balken eingeschlagen waren, kam Mathes herunter, und nun begannen sie die Ruten durcheinanderzuflechten und die Hohlräume dahinter mit Steinen auszufüllen.

So lange die Mutter in der Nähe stand, schwiegen die beiden; kaum aber war sie gegangen, um neue Ruten zu holen, so kam aus dem bedrückten Herzen des Alten mit langsamen Worten immer wieder eine Sorge heraus, die der Junge mit seinem ruhigen Trost auch immer wieder zu beschwichtigen wußte. Um den Vater von diesem nagenden Kummer abzulenken, begann Mathes über allerlei fernliegende Dinge zu sprechen. Und einmal, als er eine Weile geschwiegen hatte, fragte er unvermittelt: „Du, Vater?“

„Ja?“

„Was ich lang’ schon fragen hab’ wollen … neulich am Abend, wie ich beim Wagner drunten war und unsere Axten neu stielen hab’ lassen, da sind ein paar Bauern in der Werkstatt g’wesen … ja … und da haben s’ so g’red’t miteinander … vom Purtscheller …“ Mathes mußte schlucken und konnte nicht weiter reden.

„Vom Herrn Purtscheller? Was denn?“

„Daß … daß er sich schlecht Wirtschaften thät und z’viel brauchen … und daß der Purtschellerhof lang’ nimmer stünd’ wie sonst. Is da was d’ran, Vater?“

„Ah na! ’s sell glaub’ ich doch net! Weißt ja doch, wie d’ Leut’ sind! Allweil reden s’ mehr, als wie s’ verantwortigen können! So ein g’wachsener und g’scheiter Mensch wie der Herr Purtscheller wird ja doch sein’ Verstand bei einander haben und sein nobels Sach’ auch schön in der Ordnung halten. Weißt, ich hab’ selber schon ein bißl was reden hören … aber allweil hab’ ich mich g’ärgert drüber. Die unguten Leut’ sind ihm halt neidisch um sein Glück, weißt!“ Michel bog eine Rute über das Knie, um sie geschmeidiger zu machen. „Aber ich vergunn’s ihm! Ja! Schon der Linerl z’lieb!“ Er begann die Rute einzuflechten. „Freilich, brauchen thut er viel! Ein grausam’s Geld! Ja! Das hat er mir selber g’sagt. Aber ich kann mir doch net denken, daß ein verstandsamer Mensch tiefer aus ’m Haferl schöpft, als der Boden is … oder es müßt’ einer gleich so ein närrischer Lüftikus sein wie der Daxen-Schorschl! Na, na, so was glaub’ ich doch net vom Herrn Purtscheller!“ Michel griff nach einer neuen Rute. „Na, na! Dem sein Haus und Hof steht fest … unter dem lauft der Boden net davon! … Eins freilich, eins will mir gar net g’fallen …“

„Was?“

„Daß er so viel gachzornig is, wie seine Dienstleut’ verzählen … und daß er den ärgsten Unmut allweil an der Linerl auslaßt. Na! Das g’fallt mir gar net! Hast ihn ja neulich reden hören! Krank, meint er allweil, krank wär’ ’s Linerl! Ja, mein! Kümmern thut sie sich halt! Die hat so ein Blümerlg’müt, so ein feins, weißt … und vertragt halt solchene Schimpfereien net. Und allweil schlechter schaut s’ aus … thätst es schier gar nimmer erkennen, ja!“

Mathes gab keine Antwort. Während er eine störrische Rute hinter den Pfosten preßte, fielen ihm ein paar rote Tropfen von der Hand. Das gewahrte der Simmerauer. „Hast Dich g’rissen?“

„Ja! Ein bißl! Da an der Ruten!“ Mathes schleuderte das Blut von der Hand, fuhr mit der Zunge über die Wunde und arbeitete weiter.

Immer höher stieg die Sonne, und eine Stnnde nach der anderen verrann. Um zehn Uhr ging Mutter Katherl ins Haus und holte den Milchkrug. Das erste Glas reichte sie der Tochter. Und dazu fragte sie: „Madl? Warum bist denn gar so stad heut’? Was hast denn?“

„Ich? Warum? Was soll ich denn haben? Nix!“ Vroni griff nach dem Glas und leerte es bis auf den letzten Tropfen. „Vergelt’s Gott!“ Lächelnd nickte sie der Mutter zu und nahm die Arbeit wieder auf.

Als Katherl in den Garten zu den Männern ging, fuhr plötzlich, mitten in dieser schweigsamen, sonnigen Luftstille, ein sausender Windstoß über die Simmerau.

„Was is denn jetzt das?“ fragte Michel. „Wo kommt denn der Wind so gahlings her?“

Alle blickten sie zu dem klaren, blauen Himmel auf, an dem

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