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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

gescheiter. Aber es ist nun einmal Donna Luisa, deren Wesen eins mit dem meinigen ist. Wenn ich sie kränkte, würde ich mich kränken, wenn ich sie glücklich mache, mache ich mich glücklich. Ich bin kein Halbgott, sondern nur ein schwacher Mensch, ich fühle die ganze Stärke der Verlockung, ich möchte leben, wirken, schaffen, kein Preis ist zu hoch, daß er mir nicht erreichbar schiene! Aber wenn ich diese Liebe töten wollte, würde ich mich selbst töten, alle diese Freudigkeit in mir, diese Fähigkeit, etwas zu thun. Die Liebe, Euer Majestät, ist ein Verhängnis, wenn auch ein süßes Verhängnis voller Wonnen. Es giebt kein Auflehnen dagegen, und wer es versucht, der vernichtet in sich gerade so viel, als er wert ist.“

Christinens Züge waren immer härter, kälter geworden.

„Bei welchem Philosophen habt Ihr das gelernt, Herr Marquis?“ fragte sie höhnisch.

„Majestät," erwiderte er, „meine Schule war das Leben. Die Versuchung ist oft genug an mich herangetreten, aber jede kleine Sünde hat mich Schmerzen gekostet, die mir zum Lehrer wurden. Der Allmächtige hätte wohl die Frauen stärker geschaffen, hätte er nicht gewußt, daß unsere Liebe ihnen dienen muß.“

Christine hatte sich abgewendet und nun unterbrach sie ihn kalt: „Genug, Herr Marquis. Kehrt in Euer Gefängnis zurück! Ich werde mit meinen Räten das weitere erwägen.“

Dann, ohne noch einen Blick auf ihn zu werfen, machte sie ein paar Schritte nach der Thür.

Aber die Erregung, in der sie sich befand, ließ sie nicht an das ungewohnte Kleid denken. Ihre Füße verwickelten sich in der Schleppe, sie glitt aus und wäre zu Boden gefallen, hätte nicht Roche Talmont, der rasch an ihre Seite gesprungen war, sie aufgefangen. Sein Arm hielt ihren Leib umfaßt, und als sie sich an seiner Brust aufrichtete, fühlte sie seinen Atem auf ihrer Stirn. Und plötzlich waren ihre Wangen, ihre Schultern, ihr Nacken mit Purpurröte übergossen, ihre Brust hob und senkte sich stürmisch, ihre Sinne schienen zu schwinden. Helene de la Gardie eilte ihrer Herrin zu Hilfe; aber als die Königin sie erblickte, fand sie sich schnell wieder. Sie riß sich los, atmete tief auf und sah wirr, wie aus einem Traume erwachend, auf die beiden. Sie sah auch, daß beide todbleich geworden waren, und sie sah es dem Marquis an, daß er sie verstanden hatte – daß er wußte, wie nahe er in diesem Augenblick einem der mächtigsten Throne der Welt gewesen war.

„Ich danke Euch, Herr Marquis,“ wandte sie sich mit bebender Stimme an ihn. „Und dann noch eins. Ich glaube, daß Eure Theorie nicht auf alle paßt. Aber ich will, daß Ihr lebt und frei seid. Kehrt in das Gefängnis zurück und wartet, bis man Euch entläßt!“

Roche Talmont ließ sich auf seine Knie nieder und seine Lippen berührten ihr Gewand.

„Kehrt in Eure Heimat zurück und das Glück sei mit Euch!“ fuhr sie mit gepreßter Stimme fort.

Dann reichte sie ihm ihre Hand zum Kusse — Helene sah sie erbeben und sie sah auch den feuchten Schimmer in den Augen Roche Talmonts. Sie konnte die Bedeutung dieser Minuten und ihre schweren Folgen nicht ganz ermessen, aber die Thränen flossen ihr doch über die Wangen herab, als sie das Audienzzimmer, der Königin folgend, verließ ...

*  *  *

Von diesem Tage an datiert die auffallende Veränderung in dem Charakter Christinens, die in den Geschichtsbüchern berichtet wird. Sie, die schon als ganz junges Mädchen Staatsmännern wie Oxenstierna, Feldherren wie Torstensson imponiert hatte durch ihren zugleich festen und blendenden Geist, ihr politisches Genie, ihren ernsten Sinn, ihre unermüdliche Arbeitskraft und ihren ruhigen, unerschütterlichen und dabei guten Charakter, wurde plötzlich launenhaft, verschwenderisch, vergnügungssüchtig und so toll in ihren Unternehmungen, daß sie das Staatsschiff ernstlich gefährdete. Im Jahre 1649 ließ sie, wie wir eingangs berichteten, ihren Neffen Karl Gustav zum Thronfolger wählen und bereits 1654 legte sie – erst achtundzwanzig Jahre alt – die Krone nieder. Von Helene de la Gardie begleitet, wandte sie sich nach Italien, nachdem sie öffentlich zur katholischen Kirche übergetreten war. Aber weder der Religionswechsel noch das klassische Land der Kunst gaben ihr die verlorene Ruhe wieder. Sie ging nach Frankreich, wo sie es selbst den Franzosen ein wenig zu toll trieb, versenkte sich dann aufs neue in wissenschaftliche Beschäftigungen und – bewarb sich endlich wieder um eine Krone, nämlich um die polnische, die nach der Abdankung Johann Kasimirs frei geworden war. Ihre letzten Jahre verlebte sie in Rom, wo sie am 19. April 1689 starb.

Das Geheimnis jenes Abenteuers des Marquis von Roche Talmont wurde erst lange Jahre nachher gelüftet. Einige Adelige, die eine rasch unterdrückte Verschwörung gegen die Königin angezettelt hatten, waren durch ein prahlerisches Wort von Roche Talmonts Diener auf den Verdacht gekommen, der Marquis strebe nach der Gunst der Königin. Man suchte den Burschen zu bestechen, dieser nahm auch das Geld, sagte aus, was man von ihm zu hören wünschte, und verschwand dann. Die Verschworenen aber beschlossen, Roche Talmont zu beseitigen, und losten unter sich diejenigen aus, die das „Amt“ zu übernehmen hatten. Der eine von ihnen – Galeas Salvius – war das Opfer seines Auftrags geworden, der andere hatte die Flucht ergriffen.

Roche Talmont und Christine sahen sich nicht mehr wieder, denn als die Königin in ihrem letzten Lebensjahre plötzlich auf den Gedanken geriet, den Marquis aufzusuchen, um zu sehen, ob er glücklich sei, und als man seinen Aufenthalt in Erfahrung gebracht hatte, war sie bereits erkrankt und die Aerzte gestatteten die Reise nicht mehr. Dafür aber erhielt sie noch auf ihrem Sterbelager einen Brief Roche Talmonts, in dem er mitteilte, daß seine liebe Luisa ihn mit fünf Söhnen beschenkt habe und noch immer dankbar der Gnade Ihrer Majestät gedenke. Seinem Leben sei das Glück dauernd hold geblieben und nur einen Schatten gebe es darin – eine Erinnerung, die auf ihm laste, wie ein Weh, das man unschuldig einem Menschenherzen zugefügt ....



Blätter und Blüten.


Thüringer Bären. Wo sind die Zeiten hin, da in Thüringens Wäldern Rudel von Wölfen umherstreiften und der braune Bär seine Tatze gegen den Menschen erhob! Der Sommerfrischler wandert heute ungestört über „Bärenthal“ und „Bärenkopf“, über „Bernsroda“ und „Bärengehege“, über „Bärenwiese“ und „Bärenbach“, Ortschaften, an denen einst die Bären häufig waren, und wenn er den Erlauer Forst im Kreise Schleusingen aufsucht, so kann er dort zwischen der Schüßlerwand und den Wasserlöchern noch die Reste eines regelrechten „Bärenfanges“ sehen. Diese Fangvorrichtung bestand in einem kreisförmig angelegten Graben mit senkrechten Wänden und von solcher Tiefe, daß ein hineingefallener Bär sich nicht wieder herauszuhelfen vermochte. An einer Seite führte in diesen Graben ein in gerader Richtung laufender Graben, der an der Einmündung in den Fanggraben durch eine senkrechte Wand abgeschlossen werden konnte und zum Herausziehen des gefangenen Bären diente. Auf der innerhalb des Kreisgrabens gelegenen Fläche von etwa 2½ Metern Durchmesser war ein Hügel hergestellt, auf dem die Lockspeise angebracht wurde. Der Graben wurde leicht mit Fichtenreisig verdeckt, welches den nach der Lockspeise gehenden Bären nicht zu tragen vermochte, so daß dieser bei dem Betreten des Reisigs durchbrechen und in den Graben stürzen mußte, wo er alsdann getötet wurde.

Meister Petz war früher in Thüringen recht häufig. Wurden doch z. B. in der Stadtwaldung von Allendorf a. d. Werra allein im Jahre 1471 6 Bären getötet, und noch im 17. Jahrhundert erjagte man im albertinischen Sachsen in den Jahren 1611 bis 1665 neben 5093 Wölfen und 305 Luchsen nicht weniger als 324 Bären! Wann ist aber wohl der letzte Bär in Thüringen erlegt worden? Die Antwort ist mit voller Sicherheit nicht mehr zu geben, interessant sind aber die Ausführungen, welche Prof. Dr. Fritz Regel in seinem ausgezeichneten Werke „Thüringen. Ein geographisches Handbuch“ (Jena, Gustav Fischer) in Bezug auf diese Frage mitteilt. Gewöhnlich wird das Jahr 1686 als dasjenige genannt, in welchem Meister Petz zum letztenmal in Thüringens Wäldern seine Tatze gegen den Menschen erhoben habe; damals wurden an zwei Stellen Bären bemerkt, bei Stützhaus unweit Ohrdruf vom gothaischen Oberförster Großgebauer und auf der Bärenheide im Wintersteiner Forst, wo Hans Lefler einen Bären erlegte. Prof. Regel weist jedoch nach, daß Berichte über Bären noch aus dem 18. Jahrhundert vorhanden sind. So

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0447.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2023)