Seite:Die Gartenlaube (1896) 0416.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Bornholm.

In Wort und Bild geschildert von Hans Bohrdt.

Wenige Meilen von der deutschen Ostseeküste entfernt liegt die Insel Bornholm, ein Fleckchen Erde voller Schönheit der nordischen Natur. Der Strom der Reisenden ist bisher achtlos an dem Eiland vorbeigezogen. Neuerdings aber haben Maler, welche erfahrungsgemäß schon häufig Pioniere für künftige Badeorte und Touristenplätze gewesen sind, dasselbe gewissermaßen erschlossen, und so dampft alljährlich von Deutschland eine große Zahl Liebhaber nordischer Landschaften nach dem Felsennest, um sich zu überzeugen, daß die Künstler nicht gelogen haben, ja, daß die Natur wie überall, so auch hier, jedes Menschenwerk in Schatten stellt.

Wer nun noch etwas Phantasie und Liebe für Sage und Geschichte zu seinem Reisegepäck zählt, wird mit doppeltem Interesse die zerklüftete Küste Bornholms begrüßen.

Die gute alte Zeit erscheint uns jetzt so golden; über den Gräbern weht versöhnlicher Hauch; die Mauern der Ruinen, die stummen, starren Zeugen der Gewalt und des Unrechts deckt der Epheu mit mildem Grün, und über die bösesten Unthaten hat die Sage ihren geheimnisvollen, verschönernden Schleier geworfen.

Einst lagen zwischen Hammerklippen versteckt die flinken Drachenschiffe, bis ein beutegieriger Wiking seine blutdürstige Rotte von Raufbolden um sich sammelte und Segel setzen ließ zum Raubzuge. Wehe den wehrlosen Städten und Dörfern, welche diesen Unmenschen in die Hände fielen! Als späterhin sich die Schiffahrt in der Ostsee mehr und mehr entwickelte, verlegten sich die Bornholmer auf rationell betriebenen Seeraub. Der Schiffer atmete auf, wenn er die Insel wieder außer Sicht hatte. Die Einführung des Christentums beseitigte zwar den Seeraub nicht, dennoch führten aber die erobernden Dänen geordnetere Zustände herbei, bis die Geistlichkeit und die Fürsten, untereinander uneinig, neues Blutvergießen verursachten. Damals wurde die Feste Hammerhus gebaut, ein für jene Zeit uneinnehmbarer Platz.

Durch List oder Verträge gelangte dieser bald in die Hände der einen oder der anderen Partei, bis die Einführung der Feuerwaffen die Mauern und Türme für die Verteidigung wertlos machte!

Jetzt gehört Bornholm zu den Perlen der dänischen Krone, Landwirtschaft, Viehzucht und Fischfang ernähren die Bevölkerung reichlich. Zur Sommerszeit fährt wöchentlich zweimal ein Dampfer von Stettin nach Bornholm. Es ist dies zwar kein Prachtschiff und manchem Reisenden ist bei der primitiven Einrichtung des Fahrzeuges schon ganz wikingerhaft zu Mute geworden, indessen bringt dasselbe den Reisenden in wenigen Stunden sicher nach Hammerhafen (vergl. Abbildung S. 412 und 413), so daß man die kleinen Unbequemlichkeiten gern übersieht. Steil und wild steigen die Felsen des Hammers, wie die Nordspitze der Insel heißt, aus dem Meere empor. Auf kahler Bergkuppe ragen die starren, verfallenen Mauern der Feste Hammerhus in die Luft. Eine kleine Bucht ist abgeschlossen durch starke Steindämme und bildet so den Hafen, in welchen das Schiff zwischen brandenden Wellen hineingleitet. Am Bollwerk harrt des Reisenden der Empfang durch den Hotelkellner. Maler ziehen jedoch meist die Einsamkeit dem geräuschvollen Hotelleben vor, und so hat sich im nahen Sandvig bei einem Bauern, der sogar für diejenigen Kollegen, denen ein häufiges Knipsen am Photographenkasten Bedürfnis geworden ist, eine Dunkelkammer zur Verfügung stellt, eine ganze Künstlerkolonie gebildet. Von hier aus überfällt das malende Volk die Umgegend. Der Hammer ist aber auch für die malerische Ausbeute wie geschaffen. Die See brandet von allen Seiten gegen das Gewirr von Klippen. In nächster Nähe eilen Segelschiffe und Dampfer gen Westen und Osten. Stille kleine Fischerhäfen bilden einen Ruhepunkt in der umgebenden Bewegung.

Bornholmer Lotse.

Eine kurze Wanderung führt den Reisenden auf den Oereberg. Hier ist der massive Leuchtturm errichtet, welcher dem Schiffer bei Tag und Nacht den Weg weist und ihn bei nebligem Wetter durch die Dampfsirene warnt, den Klippen zu nahe zu kommen. Weiter thalwärts treffen wir auf ein verfallenes Gemäuer aus unbehauenen Granitsteinen. Hier hauste dereinst ein Mönch, welcher nahe bei einer jetzt versumpften Quelle dieses kleine Heiligtum errichtete und die wilden Bewohner taufte. Wenn im Westen die Sonne untergeht und die Mauern der Salomokapelle sich von dem verglühenden Himmel abheben, so überkommt den Menschen mitten in dieser erhabenen Einsamkeit eine Ahnung von der gewaltigen Kraft

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0416.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2022)