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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

bleich – nur die Wunde rot, die er sich beim Sturz in die Wange gerissen hatte.

Eine Weile wurde kein Laut gesprochen. Mutter Katherl streifte mit hilflosem Blick den Mathes und die Vroni, dann sahen sie alle drei den Vater an. Gern hätten sie ihm den Rat des Leitner wiederholt: „Räum’ aus, Vater … räum’ aus, so lang ’s noch Zeit is!“ Aber sie hatten nicht das Herz, ihm das zu sagen.

Mathes sprach das erste Wort. „Komm, Vater, schaffen wir wieder! Was die Herrn sagen, ich glaub’s net!“

„Ja! Schaffen wir wieder!“ fiel Vroni ein und ging zum Hackstock zurück.

Michel faßte seinen Buben am Hemdärmel. „Mathes?“

„Was, Vater?“

„Das viele Wasser schau an!“ Der Simmerauer deutete auf die Pfützen in Hof und Garten. „Meinst net, es kommt von unt’ auf?“

„Ja, Vater! Könnt’ schon sein!“ Die Stimme des Burschen klang ruhig; doch in Unruhe glitt sein Blick zum Verhau hinüber, aus dessen Flechtwerk lautlos die dünnen Wasserfäden rieselten.

„Wenn’s von unt’ auf käm’ … so ein Glück!“ Der Simmerauer bückte sich und tauchte die Hand in eine der Pfützen, so ehrfürchtig, als stünde ein Weihwasserkessel vor seinen Füßen. „Also … schaffen wir halt wieder!“ Er trat zum Sägebock und suchte mit zitternden Händen das verkrüppelte Eisenband der Säge zu strecken. Dann plötzlich schlug er die Fäuste vors Gesicht und brach in bitterliches Weinen aus.

Vroni war die erste bei ihm. „Aber Vaterl!“ Sie legte ihm den Arm um die Schulter und stellte sich so, daß der Daxen-Schorschl, der noch immer wie angewurzelt stand und die Sprache verloren zu haben schien, die Thränen des alten Mannes nicht sehen sollte.

„Aber Mann! Jesus Maria! Mein lieber Mann!“ stammelte Mutter Katherl und kam gelaufen.

„Nunter? So? Nunter, sagen s’? Nunter wird’s müssen?“ raunte Michel unter Thränen vor sich hin. „Ein rechtschaffener und friedsamer Mensch bin ich g’wesen mein ganz’ Leben lang! Und so sollt’ er mich auszahlen können … der sell da droben?“ Langsam hob er die nassen Augen zum Himmel auf. „Na, Kinder! Na! So was glaub’ ich net von ihm! So was thut er net! Der halt’ fest … der sell da droben! Aber mithelfen müssen wir! Mithelfen! … Komm her, Alte! Mathes, mein Bub’, komm her! Und Du, mein Madl, mein gut’s! Gebts mir die Händ’ drauf, daß wir unser Häusl halten bis zum letzten Schnaufer! Nur net auslassen, sag’ ich! Schaffen, nur allweil schaffen …“

Da klangen über die Wiesen her in drolliger Disharmonie die hellen Stimmchen der beiden Kinder, die sich zum Heimweg ein Liedlein sangen, das sie von Vroni gelernt hatten:

„Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so hell!
Zwitschert Wald aus und ein,
Wo wird mein Schatzerl sein?
Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so hell!“

Dem Simmerauer glitt ein Lächeln über die welken Züge. „Wie s’ lustig sind und miteinander singen! Und die zwei guten Hascherln … ’s einzige, was mir ’blieben is von meiner armen Zenz … die sollten ’s Dach verlieren müssen, unter dem s’ ihr Ruhstatt haben? Du, Mathes, bist ein gewachsener Mensch und weißt Dir ein’ Weg in der Welt. Du, Madl, find’st schon ein’, der Dir gut is und der ein Heimatl hat für Dich! Aber wohin denn mit die armen Wuzerln … wenn unser Häusl ’nunter müßt’? Ah na! So was giebt’s net! … Nur net auslassen! … Kommts, Kinder! Fangen wir wieder an! Und laßts nur um Gott’swillen die armen Hascherln nix merken von unserer Sorg’!“

Der Simmerauer wollte zur Säge greifen, aber da legte sich eine Hand auf seine Schulter – und eine würgende Stimme fragte: „Michel? … Kannst mich net brauchen? … Geh, laß mich mithelfen!“

Der Alte schien seinen Augen nicht zu trauen. „Schorschl! … Du?“

„Schau, ich hab’ ja Zeit! Und verlang’ mir nix dafür! In der Früh komm’ ich, auf’n Abend geh’ ich wieder, und ’s Essen bring’ ich mir mit! Schlag’ ein, Michel … und ich fang gleich an!“

In der ersten Freude, einen Helfer gefunden zu haben, wollte der Simmerauer schon die Hand strecken. Aber Vroni zog ihn zurück. „Na, Vater! Wenn wir allein unser Häusl net halten können … der da hilft’s uns g’wiß net halten. Dem lauft ja ’s eigene Haus davon! Was der anrührt, schwimmt ’nunter in’ Bach! Der hat keine guten Händ’! Bleiben wir lieber allein, Vater!“

„Wenn D’ meinst …“ sagte der Simmerauer kleinlaut und warf einen scheuen Blick von Vroni auf Schorschl. Und Mutter Katherl, die einen bösen Auftritt zu befürchten schien, stotterte: „Aber Madl! Wie kannst denn so was reden!“ Doch ihre Sorge war überflüssig, denn der Daxen-Schorschl blieb völlig ruhig; erst nach einer Weile, als die dunkle Röte, die ihm in die Stirn geschossen, schon wieder abzublassen begann, sagte er: „Vroni! … Jetzt hast mir aber ’nein ’griffen! Tief auch noch! … Daß ich für mich selber nix taug’, hab’ ich lang schon glauben müssen. Aber daß ich auch für andere nix mehr wert bin, hätt’ ich mir doch net ’denkt! … No ja, jetzt weiß ich’s! … B’hüt’ Dich Gott!“

Er strich das nasse Haar zurück, schleuderte die letzten Wassertropfen von den Händen und verließ den Hofraum. Als er die Böschung überstiegen hatte und seinen Hut und Bergstock auflas, begegneten ihm die beiden Kinder, die ihr Liedlein zu Ende sangen:

„Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!
Zwitschert Bach auf und ab,
Bis ich mein Schätzerl hab’,
Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!“

Nach einer Weile, als die Kinder mit Lachen und lustigem Kreischen das kleine Haus erreichten, zog der Simmerauer schon wieder emsig die Säge und Mathes drosch mit dem Schlägel auf einen zitternden Pfahl. Nur Vroni stand unthätig, hielt das Beil in schlaffer Hand – und ihr Blick irrte verloren über den Berghang empor.

Die Stimme des Vaters weckte sie aus ihrem Sinnen: „Vronerl? … Was hast denn?“

„… Nix!“

Sie atmete tief auf, griff nach einer Stange und schwang das Beil, daß die Splitter flogen.


3.

Die kühlen Schatten des Abends waren über das Thal gefallen und es begann zu dämmern. Hoch droben, auf den steilen Felswänden und scharf gezahnten Graten, lag noch ein letzter goldiger Schein des versinkenden Tages, doch in der Tiefe spann sich schon ein bläuliches Zwielicht um das welke Laub der Bäume und um die Dächer, aus deren Essen der Rauch sich langsam hervorkräuselte. Von den Wiesen, die der breite Bach mit seinen vielfach verzweigten Seitenbächen durchrann, kamen dünne Nebel gezogen; ihre Schleier vermischten sich mit dem zerfließenden Rauch der Dächer, umwoben den schlank aufragenden Kirchturm mit grauem Dunst und streiften im Gleiten das hohe Dach des Purtschellerhofes, der, auf einer Anhöhe gelegen, alle Häuser des Dorfes stolz überragte.

Ein stattliches Gebäude! Von der Straße führte eine aus roten Steinen säuberlich gemauerte Treppe durch einen Vorgarten zum Wohnhaus hinauf, dessen lange Front den hinter dem Hause liegenden Wirtschaftshof mit seinen Ställen und Scheunen verdeckte. In früheren Zeiten war der Purtschellerhof das richtige Bauernhaus gewesen, mit niederer Thür und kleinen Fenstern, mit verwitterten Holzgalerien und vorstehendem Balkenwerk. Doch als der Purtscheller-Toni nach seines Vaters Tod die Herrschaft übernommen und die Karlin’ heimgeführt hatte, waren ihm die alten traulichen Stuben nicht mehr luftig, hell und schön genug gewesen, um sein junges Glück zu beherbergen und sich auswachsen zu lassen.

Einen ganzen Sommer lang hatte man gebaut und geändert, hatte das Dach gehoben, alle Zimmer des oberen Stockes geräumiger und höher gemacht, ihnen neue Thüren mit geschnitzten Aufsätzen und große Fenster mit gewölbten Spiegelscheiben gegeben. In den verbreiterten Flur wurde eine schöne Treppe eingebaut, und während Toni mit seiner jungen Frau die neuen „Herrenzimmer“ bezog, wurden im unverändert gebliebenen Erdgeschoß die kleinen Stübchen, in denen Tonis Eltern sich wohl gefühlt hatten, dem Gesinde als Wohnräume überlassen.

Im Erdgeschoß die kleinen Fenster und im oberen Stock die großen – das hatte ein übles Ansehen geboten; als hätte man die Hälften zweier Häuser, eines neuen und eines alten, übereinander geschachtelt. Um diesen Schönheitsfehler des Purtschellerhofes auszugleichen, hatte man auch im Erdgeschoß die kleinen Fenster in große verwandelt, freilich nicht in wirkliche, sondern nur in gemalte. Am Fuß der Mauer hatte man Spalierobst, Kletterrosen und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0414.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)