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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

dem Flur, mitunter im Garten, zuweilen natürlich auch gar nicht; denn der Zufall laßt sich nicht bevormunden, das hat er mit allen unzurechnungsfähigen Wesen gemein. Wenn man ihm allzu gefällig in die Hand arbeitet, wird er störrisch und ist für gar nichts mehr zu haben.

Das ging nun so, so lang’ es ging, und dann kam einmal ein großer Tag, an dem Mutter mich zum Bohnenpflücken in den hintersten Teil unseres Gartens geschickt hatte. Es war köstliches Sommerwetter. Mir scheint es jetzt überhaupt, als wäre das Wetter während jenes ganzen Sommers ideal schön gewesen. Ich pflückte ganz emsig und summte dabei, da in diesem weltentlegenen Winkel kein Mensch meinen leider etwas fragwürdigen Gesang vernehmen konnte, eines von den Liedern vor mich hin, die ich Franz immer so gern hatte singen hören. Ich fühlte mich sehr vergnügt. Die Sonne schien und die Vögel sangen, alles blühte und duftete um mich her, ich dachte an Franz, und mir war gerade so zu Mute, als müßte heute ein ganz besonderes Glück in der Luft liegen, wie man das ja manchmal meint, ohne daß man einen rechten Grund dafür angeben könnte.

„Immer so fleißig, Fräulein Lene?“ sagte da eine Stimme neben mir. Ich fuhr herum, rot bis an die Haare. Da stand der, an den ich eben noch gedacht hatte.

„Woher – o woher –?“ stammelte ich verwirrt. „Sind Sie aus der Erde gewachsen?“

„Nein,“ sagte er, ein bißchen verlegen lachend, „das nicht gerade. Ich sah Sie hier so emsig beschäftigt, und da fiel mir ein, daß der Garten an dieser Seite eine kleine Hinterpforte hat. Sie war zufällig offen, da bin ich ohne jede Hexerei auf ganz natürlichem Wege hereingekommen.“

„Aber warum sind Sie nicht durch die –,“ fing ich an, um dann wieder zu verstummen.

„Andere Pforte hereingekommen?“ vollendete er. „Ja, – ich fand diese für meinen Zweck bequemer. Liebes Fräulein Lene –“ er trat näher heran, „ich habe nun seit vierzehn Tagen so inständig gewünscht, Sie einmal ganz allein zu sprechen. Ich möchte Ihnen so gern etwas sagen. Ach bitte, bitte, lassen Sie nun die Bohnen sein! Solch hausfräuliches Thun steht Ihnen ja so reizend, aber lassen Sie es nun eine kleine Weile, bitte!“ Er faßte meine Hand und zog mich mit sanfter Gewalt, deren es übrigens kaum bedurfte, bis zu einer kleinen Bank, die ganz in der Nähe stand. Ich setzte meinen Bohnenkorb gehorsam auf die Erde und ließ meine Hand beklommen in der seinen. Ob es nun kam – ob es nun kam, das große Glück, nach dem mir heute so zu Mute gewesen war? Ob es nun kam? Wie mir das Herz schlug!

„Ich brauche es ja gewiß kaum mehr auszusprechen,“ sagte er leise, „ich glaube, Sie wissen es schon. Vom ersten Augenblick an haben Sie mir’s angethan, seit ich Sie zuerst sah, so anmutig und frisch in Ihrem Hauskleide, und dann nachher immer mehr, je öfter ich Sie sah, so haustöchterlich, so emsig, so bemüht für alle, dabei so klug, so lieb und hold. So, gerade so habe ich mir immer das Mädchen gedacht, das mir einmal das liebste von allen sein müßte und mit dem allein ich glücklich sein könnte! – Ich habe, ehe ich hierher kam, so viele Gelegenheit gehabt, emancipierte, schriftstellernde und verschrobene Frauen kennenzulernen, Blaustrümpfe, die sich zu gut dünkten, die kleinen Pflichten des Alltagslebens auf sich zu nehmen, mit Tintenflecken an den Fingern und allerlei halbverstandener Gelehrsamkeit in den Köpfen, daß Sie mir in Ihrer frischen Natürlichkeit und mit Ihrem häuslichen Sinn doppelt reizend erschienen. Und ehe ich mich dessen versah, habe ich Sie nun so lieb, daß ich nicht mehr anders kann, ich muß es Ihnen sagen! Liebe Lene, – liebe, süße Lene, wollen Sie meine –“

„Lene, wo bist Du?“

Es war, als ob es uns jemand ins Ohr geschrieen hätte, so nahe klang es. Ich fuhr zusammen, als wäre ich auf einem Verbrechen ertappt, und Franz ließ hastig meine Hand los.

„Lene!“ rief es zum zweitenmal. Das war Peter Laß – mit solchen Stimmmitteln war unter all meinen mit sehr gesunden Lungen begabten Geschwistern nur er versehen.

„Der dumme Junge,“ sagte Franz ärgerlich und war mit einem sehr unpoetischen Sprung hinter der nächsten hohen Wand von Bohnen verschwunden. Wäre mir nicht so schrecklich verdutzt und zugleich feierlich-glücklich-beschämt zu Mute gewesen, ich hätte hell auflachen müssen. Mit einer Geistesgegenwart, die Anerkennung verdiente, da ich doch noch nie in ähnlicher Lage mich befunden hatte, griff ich flink zu meinem Bohnenkorbe, duckte mich auf die Erde und pflückte im nächsten Augenblicke, meine glühenden Wangen möglichst im Laubwerk versteckend, mit einem Eifer, als gälte es mein Leben.

Da erschien auch schon Peter Laß in höchsteigener Person. „Da ist ein Paket für Dich angekommen,“ krähte er wichtig, „ein großes, dickes. In grauem Papier ist es gewesen.“

„Ein Paket?“ sagte ich, ein Interesse heuchelnd, welches mir ganz fern lag. „Wo ist es denn?“

„Mutter hat es. Sechzig Pfennig hat es gekostet, und der Postbote sagt, auf der Post wollten sie es nicht länger haben, es hätte da schon so lange herumgelegen, da hätten sie es mal offen gemacht, um zu sehen, wem es gehörte, und Dein Name stände darin. Und Mutter hat es ausgepackt, und da war ein ganzer Berg Papier drin, und Mutter, die wurde ordentlich böse, als der Postbote weg war, und sagte –“

„Papier?“ sagte ich verwirrt. Und dann entfiel der Bohnenkorb meiner Hand und ich wurde blaß. Seit Wochen gedachte ich zum erstenmal wieder meines Romans. Mir wurde alles klar. Er war zurückgeschickt, hatte vielleicht wochenlang auf der Post gelegen, ohne daß ich daran dachte, ihn abzuholen, und nun wurde er mir in diesem – diesem unpassenden Augenblick, in dieser schmerzlichen Art in das Haus gebracht!

„Sieh, da kommt Mutter,“ sagte Peter Laß triumphierend, „und das Paket hat sie auch. Du, Lene, was soll all das geschriebene Papier? Was willst Du damit?“

Hinter der Bohnenwand nahebei raschelte es leise. Mir sank das Herz. Was hatte doch der da hinter den Bohnen, zu dem jedes Wort, das gesprochen wurde, mit boshafter Deutlichkeit dringen mußte, vorhin von schriftstellernden und emancipierten Frauen gesagt? O! – Wenn er doch nur weggehen wollte, ehe Mutter kam, tausendmal lieber wollte ich ihm ja selbst alles erklären! Wie ich in diesem Augenblick meinen mit so großer Wonne geschriebenen und mit so unendlichem Stolz abgeschickten Roman haßte, kann ich gar nicht sagen.

Mutter kam inzwischen eilenden Schrittes den schmalen Gartensteig entlang auf mich zu, das dicke, graue, bereits geöffnete Paket in der Hand. Und wieder raschelte es leise in den Bohnen.

„Es ist eine Postsendung für Dich abgegeben worden,“ sagte Mutter, sobald sie mir nahe genug war, ruhiger und kühler, als ich erwartet hatte. „Du kannst gehen, Max, wir brauchen Dich hier nicht. Ich habe mir erlaubt, sie zu öffnen, da ich mir nicht denken konnte, daß sie wirklich für Dich wäre. Du wirst es schon entschuldigen müssen!“

Ich schwieg.

„Ich sehe zu meinem unbegrenzten Erstaunen, daß es ein – ein – das Manuskript eines Romanes enthält!“ Es ist unmöglich, sich vorzustellen, welchen verächtlichen Nachdruck Mutter auf das Wort „Roman“ legte. „Stammt das wirklich, ich kann es nicht glauben – aus Deiner Feder, Lene?“

Ich sagte nichts, es wurde ungemütlich still.

„Wenn Du den Kopf voll solcher Narretei hast,“ sagte Mutter dann kühl, „wundert es mich allerdings nicht mehr, daß Du im Hause seit Monaten zu nichts Ordentlichem zu gebrauchen gewesen bist. Nicht, als wärst Du mir jemals eine Hilfe gewesen, aber jetzt verstehe ich, warum es neuerdings so ganz arg mit Dir ist! Du hättest besser gethan, mein Kind, Deine kleinen, wahrlich nicht zu schweren Pflichten gegen Eltern und Geschwister zu erfüllen, anstatt in Deinem Alter, in welchem man weder von Welt noch Menschen etwas versteht, schriftstellern zu wollen. Aber da wurde zu jeder kleinen Arbeit, die man der Prinzessin zumutete, ein unfreundliches Gesicht gemacht, als wäre so etwas unter ihrer Würde. Da konnte die Mutter allein fast alle Arbeit thun, damit das Töchterchen talentloses, konfuses Zeug zusammenschreiben mochte.“

„Aber Mutter,“ sagte ich mit einem leisen Schimmer wiedererwachenden Stolzes, „das kannst Du doch nicht so ohne weiteres wissen, Du hast den – den Roman doch gar nicht gelesen!“

„Nein, gottlob nicht. Aber den Brief, den Dir der Redakteur dazu schreibt, den habe ich gelesen. Ein sehr verständiger Brief! Da – stecke ihn Dir an den Spiegel, mein Kind, und lies ihn jeden Tag dreimal. Ich denke, das wird Dir gesund sein. Und nun mache einmal ein bißchen geschwind mit den Bohnen, sie werden sonst nimmermehr gar bis heute mittag!“

Damit legte Mutter das abscheuliche Paket auf die Bank,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0174.jpg&oldid=- (Version vom 27.9.2021)