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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

in seinen bleichen Zügen stieg eine leichte Röte auf, während er wie unwillkürlich den Blick nach dem alten Hause zurückwandte, das hinter ihnen lag.

„Sie sprechen mir also das Leben und bedingungsweise auch die Gesundheit zu?“ fragte er leise. „Das ist mehr, als ich hoffte; aber wenn ich daraufhin den Versuch mache, noch einmal – zu leben, so schiebe ich Ihnen die Verantwortung zu.“

„Das thun Sie nur getrost!“ lachte der Arzt. „Selbst wenn der Entschluß, von dem Sie vorhin sprachen, auf eine Heirat hinauslaufen sollte – ich nehme kein Wort zurück.“

„Aber lieber Hofrat!“

„Nun, das wäre doch am Ende nichts Ueberraschendes, da Sie sich jetzt entschlossen haben, in Deutschland zu bleiben. Bei Ihnen machen die grauen Haare nichts aus! Sie mit Ihrem Weltruf und Ihrer Persönlichkeit können noch um die Jüngste werben, ohne einen Korb befürchten zu müssen. Ich glaube, die meisten unserer Damen würden sich eine Ehre daraus machen, die Gattin des berühmten Sonneck zu heißen!“

„Nur keine Komplimente,“ wehrte der andere ab. „Vor allen Dingen machen Sie mich gesund!“

„Ich werde nicht ermangeln, schon um der Reklame willen für unser Kronsberg! Wir haben schon Ihre Hoheit die Fürstin hergestellt; wenn wir nun noch eine Wunderkur an unserem ersten Afrikaforscher vollbringen, dann ist der Weltruf unserer Quellen fertig. Vorläufig bleiben Sie also bis zum Herbste hier, und ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß Sie sich nicht gerade als Verbannter fühlen werden. Die Saison läßt sich ungewöhnlich gut an, die meisten Wohnungen sind bereits bestellt und, wie es scheint, kommt diesmal alle Welt nach Kronsberg. Für den Augenblick sind allerdings erst einige Familien da – wir stecken ja noch halb im Schnee – aber schon in der nächsten Woche haben wir einen interessanten Kurgast zu erwarten – englische Hocharistokratie – Lady Marwood!“

„Marwood?“ fuhr Sonneck lebhaft auf. „Doch nicht etwa –“

„Eine frühere Bekannte von Ihnen – jawohl! Die Tochter unseres einstigen Generalkonsuls in Kairo, der vor fünf Jahren starb; Sie waren ja, soviel ich weiß, befreundet mit ihm. Ich habe damals in Luksor die junge Dame einigemal gesehen und dort verlobte sie sich auch mit dem englischen Lord. Es war gerade an dem Tage, wo Sie mit Ehrwald zu Ihrem großen Zuge in das Innere aufbrachen!“

„Gerade an dem Tage!“ wiederholte Sonneck langsam. „Ich weiß es, Osmar hat es mir später erzählt.“

Es lag ein eigentümlich schwerer Klang in den Worten. Bertram bemerkte das nicht und sprach unbefangen weiter.

„Als ich im April wieder nach Kairo kam, um meine Braut abzuholen, wurde gerade die Vermählung gefeiert, mit unglaublicher Pracht. Die ganze Stadt sprach von nichts anderem und gleich darauf reisten die Neuvermählten nach England ab. Ich hörte aber später, die Ehe sei durchaus nicht glücklich, die junge Frau war viel mehr in Kairo bei dem Vater als in England bei dem Gemahl und schließlich hieß es sogar, sie hätten sich ganz getrennt.“

Sonneck gab keine Antwort auf die letzte Bemerkung, er fragte nur: „Wo ist denn Lady Marwood jetzt?“

„In Rom, wenigstens kam ihre Bestellung von dort. Sie hat hier eine ganze Villa gemietet und bringt, wie es scheint, einen förmlichen Hofstaat mit, Equipagen und Dienerschaft. Nun, die Erbin des Osmarschen Vermögens kann sich das immerhin leisten, ganz abgesehen von dem Reichtum ihres Gemahls. Sie werden sie doch aufsuchen?“

„Gewiß, ich bin ja ein alter langjähriger Freund ihres Vaters gewesen. Doch nun muß ich umkehren, ich will noch zu Helmreich.“

Die beiden Herren schüttelten sich die Hände und trennten sich. Bertram setzte seinen Weg nach der Stadt fort, aber dabei sagte er halblaut, mit gutmütigem Spott: „Er behauptet, ein Todesurteil aus meinem Munde würde ihn sehr ruhig lassen, und dabei flammte er förmlich auf, als ich ihm das Leben zusprach. Ja ja, wir hängen doch alle an dieser erbärmlichen Welt und diesem ‚jämmerlichen‘ Leben, wie der Alte da oben es nennt! Ich meinesteils befinde mich in dieser Welt ganz außerordentlich wohl.“

(Fortsetzung folgt.)




Deutsche Bühnenschriftsteller der Gegenwart.

Die Bühne ist ein Spiegel der Zeit und ihrer wechselnden Geschmacksrichtungen; sie ist ein Spiegel des Volksgeistes und in dieser Hinsicht kann man stets von einer Nationalbühne sprechen, wenngleich das Lessingsche Ideal einer solchen nie bisher in Deutschland Verwirklichung gefunden hat. Neben der von der Zeitflut fortgespülten Masse des Vergänglichen, das nur vorübergehende Spiegelungen des Zeitgeistes und des Volksgeistes bot, finden sich aber immer einzelne Werke, welche Dauer finden, weil sie entweder ein besonders glücklicher dramatischer Griff sind oder das Gepräge genialer Offenbarungen tragen; sie bilden das Urgestein, das unter den späteren Ablagerungen noch immer zu Tage steht, mächtig und unverwittert.

Die Geschlechter der Menschen lösen sich ab, auch die Geschlechter der Schriftsteller; doch das Neue vermag niemals ganz das Alte zu verdrängen. Lange Zeit geht beides nebeneinander her; dann gewinnt das erstere den Vortritt; doch das Alte tritt nicht so schnell aus der Reihe der Entwicklung aus, wenn ein lebenskräftiger Kern ihm innewohnt. Und die großartigsten Offenbarungen des dramatischen Genies bekunden ihr unsterbliches Wesen immer aufs neue auch auf der Bühne. So bildet sich das Bühnenrepertoire der Gegenwart aus litterarischen Schichten, welche verschiedenen Jahrhunderten angehören, und wenn wir es nur in Bezug auf unser eigenes Jahrhundert und auf deutsche Werke in Betracht ziehen, so findet sich auch hier dieselbe Mischung von Alt und Neu.

Abgesehen von unseren Klassikern, die zum Teil nun schon länger als ein Jahrhundert die Grundlage unseres Repertoires bilden und denen sich der geniale Heinrich von Kleist, dessen markige dramatische Kraft nur durch nervöse Verstimmungen und Anwandlungen träumerischer Mystik beeinträchtigt wurde, und der hochbegabte Grillparzer, das Haupt der österreichischen Dramatiker, anschließen, sind es vorzugsweise die jungdeutschen Dramatiker, welche vor und nach 1848 die Bühne dem modernen Geiste zu erobern suchten, deren Hauptwerke sich noch jetzt in der Gunst des Publikums erhalten. Karl Gutzkow, ein Geist von großer Feinspürigkeit, Beweglichkeit, Elasticität wie durchdringendem Scharfsinn, von großer Begeisterung für die Ideen der Zeit, rasch der praktischen Bühne näher tretend und ihre Mittel beherrschend, war der Führer jener Richtung, welche die Verjüngung der dramatischen Litteratur durch die Zeitgedanken anstrebte. Doch schon jetzt haben sich von seinen zahlreichen Werken, die auch, so geistvoll und bedeutend sie waren, nicht alle von Hause aus den gleichen Erfolg hatten, nur drei bis vier, diese aber mit nachhaltiger Wirkung, auf dem Repertoire behauptet: die Tragödie „Uriel Acosta“, in der damaligen lichtfreundlichen Zeit ein Weckruf freier religiöser Anschauung und Toleranz und als ein Bild des Kampfes, in den das freie Denken mit den Schranken der Gemeinde und der Familie gerät, auch den Spätergeborenen wert; das treffliche Lustspiel „Zopf und Schwert“, mit seiner launigen Charakterzeichnung und seiner Verherrlichung der Mission Preußens, in dem der Dichter sich als ein glänzender Vorgänger der späteren Hohenzollerndramatik bewährt hat, und das satirische Lustspiel „Das Urbild des Tartüffe“, eine interessante Studie über das Verhältnis der Lustspielsatire zu den tonangebenden Zeitgenossen und zu den verschiedenen Ständen, die sie mit ihrer Geißel heimsucht. Ein weiteres Stück, aber von geringerem Wert, „Der Königslieutenant“, eine dramatische Episode aus Goethes Jugendzeit, wird viel gegeben, weil die Titelrolle von hervorragenden Darstellern bei ihren Gastspielreisen bevorzugt wird. Der andere jener Stürmer und Dränger, Heinrich Laube, in seiner Jugend burschikos und von sporenklirrender Bravour, im Alter barsch und durchgreifend, hat mit seinen „Karlsschülern“, die das Anekdotische aus Schillers Jugendzeit mit frischem Ton dramatisch gestalteten und zu einem Konflikt politischer Anschauungen steigerten, sowie mit seinem „Graf Essex“, einem dramatisch markigen und durchaus bühnenwirksamen Trauerspiel, nachhaltige, noch heute andauernde Erfolge errungen. Auch seine in scenischer Hinsicht sehr geschickte, ihrem poetischen Wert nach aber bedauerliche Fortsetzung des Schillerschen „Demetrius“ erhält sich auf der Bühne. Gutzkow und Laube weilen nicht mehr unter den Lebenden, ebenso Gustav Freytag,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0168.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)