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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

dahinter barg sich sicher eine neue Heimtücke. Sie saß förmlich dräuend auf ihrem Esel und harrte augenscheinlich nur auf ein Opfer, an dem sie ihren Grimm auslassen konnte.

Den Beschluß des Zuges machte Herr Ellrich, der sich in ziemlich niedergedrückter Stimmung befand. Er hatte zwar gar keine Gewissensbisse wegen seiner Fahnenflucht, aber um so größere Furcht vor der Entdeckung derselben. Er „sammelte“ sich noch immer zu der bevorstehenden Rebellion.

Der Ritt ging durch das weite, offene Land. Zur Linken der Nil, der jetzt, wo die Sonne noch nicht hoch stand, wie ein breites silbernes Band schimmerte, zur Rechten, noch von blauem Morgenduft umwoben, die fernen arabischen Gebirge. Hier und da erhoben sich einzelne Palmengruppen und in der Ferne zeigte sich bereits das Ziel, die Tempelruinen von Karnak. Darüber wölbte sich der Himmel im tiefsten, klarsten Blau und heller Sonnenglanz erfüllte die ganze Landschaft.

„Ein herrlicher Morgen!“ sagte Reinhart zu seiner Nachbarin. „Wir hätten nur etwas früher aufbrechen sollen, die Sonne fängt schon an, sich lästig zu machen, und wir haben heute den dreiundzwanzigsten Dezember – nach deutschen Begriffen ein merkwürdiges Klima!“

„Ein verrücktes Klima ist es!“ rief Ulrike ärgerlich. „Jetzt haben wir in Martinsfelde zwanzig Grad Kälte und dichtes Schneegestöber!“ Sie seufzte, als empfände sie Sehnsucht nach den eben geschilderten Annehmlichkeiten, und fuhr dann zornig fort: „Und das nennt sich nun hier Weihnachtszeit! Aber in diesem Wüstenlande ist ja alles verkehrt, sogar die Jahreszeiten sind aus Rand und Band. Hier schwitzt man schon am frühen Morgen und noch dazu auf einem Esel. Es ist ein schändliches Vergnügen, das Reiten!“ Sie ritt stumm in dräuender Haltung weiter, blickte mit unendlicher Verachtung auf den braven „Ramses“ nieder, der sich diese Geringschätzung durchaus nicht anfechten ließ und ruhig vorwärts trottete. Der kleine braune Führer trabte nebenher und schaute mit seinen listigen schwarzen Augen unverwandt zu Reinhart empor, bis dieser ihm ein paar arabische Worte sagte.

Auf einmal blieb „Ramses“ stehen und war nicht mehr vorwärts zu bringen. Alles Reißen und Zerren half nichts, er schien den weiteren Dienst verweigern zu wollen.

„Oho, was ist denn das? Ibrahim, was hat das Tier?“ rief Ehrwald und griff nun selbst in die Zügel; das hatte aber nur zur Folge, daß der Esel sich in einer ganz merkwürdigen Weise herumdrehte und mit dem Kopf nach rückwärts zu stehen kam. In demselben Augenblick gab ihm Ibrahim einen tüchtigen Schlag und nun lief „Ramses“ allerdings, aber in der verkehrten Richtung; der Junge, anstatt ihn aufzuhalten, rannte mit gellendem Geschrei hinter ihm drein und machte die Sache dadurch nur ärger. Reinhart warf sofort sein Tier herum und galoppierte nach, er erreichte den Flüchtling auch nach wenigen Minuten, aber dieser sah das als eine Aufforderung an, gleichfalls zu galoppieren. Er griff tüchtig aus und wie die wilde Jagd ging es nach Luksor zurück.

Die Zurückgebliebenen hatten natürlich Halt gemacht und Selma rief in tödlichem Schrecken: „Um Gottes willen – Ulrike! – Das Tier geht mit ihr durch!“

„Nicht doch, es galoppiert nur ein wenig,“ beruhigte sie der Doktor, der sofort an ihrer Seite war. „Ehrwald ist ja dabei, da geschieht nichts, wir können ganz ruhig weiter reiten. Nicht wahr, Herr Professor?“

„Jawohl!“ versetzte der Professor in kühlem Tone. „Aengstigen Sie sich nicht, Frau Mallner, wenn Ehrwald dabei ist, hat die Sache keine Gefahr. Sehen Sie, er bringt das Tier ja schon zum Stehen! Wir kommen zu spät nach Karnak, wenn wir uns zu lange aufhalten. Ich reite weiter.“

„Ich auch!“ rief Herr Ellrich kühn. Man sah, allerdings in ziemlich weiter Entfernung, daß die Tiere standen und daß Ehrwald aus dem Sattel sprang, trotzdem weigerte sich Selma, weiter zu reiten, und wollte durchaus warten. Da beugte sich der Doktor zu ihr hinüber und sagte so leise, daß nur sie ihn verstehen konnte: „Machen Sie es uns doch nicht so schwer! Ehrwald opfert sich ja nur auf, für mich – für uns beide.“

Die junge Frau wurde purpurrot, sie fing erst jetzt an, den Zusammenhang zu begreifen, und in höchster Verwirrung stammelte sie: „Wenn nur – wenn nur keine Gefahr dabei ist!“

„Nicht die mindeste, mein Wort darauf. Ehrwald hat die Verantwortung übernommen. Kommen Sie!“

Selma warf noch einen Blick zurück, sie sah, daß Ulrike jetzt mit Hilfe des jungen Mannes abstieg, und nun widerstrebte sie auch nicht länger, der kleine Zug setzte sich wieder in Bewegung.

Inzwischen hatte Fräulein Mallner ihren Wüstenritt mit ihren beiden Begleitern gemacht. Ramses hatte galoppiert, was er nur konnte; zur Rechten rannte Ibrahim und schrie aus vollem Halse: „Yalla! Yalla!“ Zur Linken jagte Reinhart, bereit, jeden Augenblick einzugreifen, wenn die Sache gefährlich wurde, aber er unterschätzte die Energie der Dame, die sich bei diesem Abenteuer durchaus nicht furchtsam, aber um so wütender zeigte. Als nun vollends ihr Sonnenschirm wie ein Luftballon davonflog und sich ausgespannt auf dem Wüstenboden niederließ, da hätte sie beinahe eine wirkliche Gefahr heraufbeschworen, indem sie den unschuldigen Esel zu prügeln begann. Sich mit der Rechten am Sattelknopf festhaltend, puffte sie mit der Linken den armen „Ramses“, der das jedoch übelnahm. Er machte einen so bedenklichen Sprung, daß Ehrwald nichts übrig blieb, als in die Zügel zu greifen und ihn zum Stehen zu bringen.

Sie machten Halt. Ulrike war vorläufig noch atemlos. Ehrwald wetterte und schalt auf arabisch mit Ibrahim, der das anscheinend sehr zerknirscht hinnahm. Aber nach Verlauf von einigen Minuten bekam das Fräulein die Sprache wieder und nun brach das Ungewitter los. „Das ist ja eine heillose Wirtschaft hier in dieser Wüste! Die Sonnenschirme gehen verloren und die Esel gehen durch. Und dieser braune Range rennt und schreit wie besessen, anstatt zuzugreifen, der dümmste Bauernjunge in Martinsfelde hätte sich klüger benommen.“

„Ja, Ibrahim hat vollständig den Kopf verloren, ich habe ihn auch deswegen tüchtig ausgescholten,“ sagte Reinhart, aber nun kam die Reihe an ihn. Ulrike, anstatt sich für die geleistete Hilfe dankbar zu zeigen, fuhr ihn an: „Nun, Sie haben sich auch nicht viel klüger benommen! Sie galoppierten ja eine ganze Weile neben mir, ohne die Hand zu rühren. Warum griffen Sie nicht gleich in die Zügel?“

„Das war mir leider nicht möglich. Aber ich glaube, es ist besser, Sie steigen ab, dem Tiere muß irgend etwas sein, ich werde nachsehen.“

Fräulein Mallner war diesmal ausnahmsweise einverstanden mit dem Vorschlag, sie stieg mit Reinharts Hilfe ab und sah sich nun erst nach der anderen Gesellschaft um. Sie gewahrte mit namenloser Entrüstung, daß man von ihrer Abwesenheit gar keine Notiz nahm, sondern ruhig weiter ritt. Wer weiß, was da geschah!

Ulrike geriet in die äußerste Ungeduld und als die Untersuchung des braven „Ramses“, der jetzt wieder lammfromm dastand, noch immer kein Ende nahm, fuhr sie dazwischen.

„Sind Sie denn noch nicht fertig? Wir müssen aufsteigen, die anderen sind schon weit voraus.“

„Ich fürchte, Sie können den ‚Ramses‘ nicht wieder besteigen,“ erklärte Reinhart mit bedenklicher Miene. „Dem Tiere ist durchaus nichts, aber es scheint bösartige Mucken zu haben, und das kann gefährlich werden. Wir wollen gleich einmal die Probe machen.“

Er setzte sich quer auf den Damensattel und ritt eine kurze Strecke weit, aber unter seiner Hand fing der Esel augenblicklich an zu bocken und vorn und hinten auszuschlagen, die Sache sah äußerst gefährlich aus.

„Ich dachte es mir!“ sagte der junge Mann, indem er wieder herabsprang. „Sie werden den Ausflug aufgeben müssen, Sie hatten ja ohnehin keine Lust dazu.“

Fräulein Mallner sah ihn argwöhnisch an, in ihrer Seele tauchte ein dunkler Verdacht auf, die Sache gehe nicht ganz mit rechten Dingen zu.

„Das würde Ihnen und dem Doktor wohl passen?“ fragte sie höhnisch. „Es fällt mir gar nicht ein, zurückzubleiben. Geben Sie mir Ihren Esel, wir tauschen die Sattel und Sie werden mit dem bösartigen Vieh schon fertig werden.“

„Mein Esel trägt keinen Damensattel, er ist nur für Herren zugeritten,“ behauptete Reinhart mit der größten Bestimmtheit. „Wenn Sie durchaus auf den Ritt bestehen, dann müssen wir Ibrahim nach Luksor zurückschicken und ein anderes Tier holen lassen. Es kann aber eine Stunde dauern, bis er zurückkommt.“

„Und wenn es zwei Stunden dauert, ich will nach Karnak, ich warte!“

Mit dieser energischen Erklärung setzte sich Ulrike zum Schrecken ihres Begleiters mitten in den Wüstensand, gleichzeitig machte sie Ibrahim durch Zeichen begreiflich, er solle ihren Sonnenschirm holen,

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