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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)


Frau Müller und Malchen warfen einen kurzen Blick auf die Sprecherin, deren Aussehen mit dieser Behauptung im grellsten Widerspruch stand. Aber Malchen war nicht umsonst Schauspielerin, und so legte sie sich ins Zeug und spielte die Unbefangene, allerdings nicht besser als auf der Bühne, aber ihre hohlen Reden und Worte ohne Sinn waren in diesem Augenblick eine große Wohlthat für Frau von Feldern. Sie saß wie in Todesangst vor einer plötzlichen, den Nagel auf den Kopf treffenden Bemerkung der Frau Müller, deren Augen immer auf der Wanderschaft waren zwischen ihr und dem Bilde Kunos und um deren Lippen allerlei verräterische Geister ihr Spiel trieben. Die Verstellungskunst ging ihr allerdings vollständig ab, sie atmete hörbar vor innerer Aufregung, indem sie zu sich selber sprach:

„Wenn ich sie jetzt nicht unterkrieg’, dann krieg’ ich sie nie unter – nur ein wenig, ein klein wenig will ich’s ihr zeigen, daß ich mich nicht zum Narren halten laß’.“

Sie legte die Hand auf den Arm des Kunos Lob in allen Tonarten singenden Malchens. „Also auch nichts andres als eine Bürgerstochter, gerad’ wie der Eduard –“

„Ja, Eduard,“ nahm ihr Frau von Feldern das Wort aus dem Mund, „er weiß noch von nichts – ich werde ihm selber die Nachricht bringen.“

Großer Gott, was muß da passiert sein, was diese Frau innerlich so um und um hat wandeln können, sagte sich Frau Müller und kam mit sich überein: Nein, einer gebrochenen Seele will ich nichts zu leid thun, ich ganz gewiß nicht. – „Kommen Sie, Malchen,“ fuhr sie laut fort, „wir wollen Frau von Feldern nicht in ihrem Vorhaben aufhalten, es ist ohnedies ein so schöner Tag, da geht man gern noch ein bissel spazieren.“

Sie schüttelte Frau von Feldern die Hand zwei-, dreimal.

Draußen packte sie Malchen mit einer solchen Heftigkeit beim Arme, daß diese aufschrie. „Fast geplatzt bin ich – ich muß meine Hutbänder aufmachen – Jesses, Malchen, bleiben Sie bei mir – wenn mich nur kein Schlag trifft! Wissen Sie, Malchen, ich hab’ denkt’, jetzt krieg’ ich sie endlich unter – ja hopsa! da war’s wieder nichts. Daß ich’s nur gerad’ sag’ – fast sind mir die Thränen in die Augen gekommen, und ich kann’s nicht sagen, wie’s mich ’packt hat, daß sie zum Eduard geht. Das Kunochen muß eine böse Partie gemacht haben, potz Wetter noch einmal! Denken Sie an mich, Malchen – die Witwe läßt sich nicht malen, die wird wissen warum! – Großer, allmächtiger Gott! ja, ja, es kommt alles anders – Kinder haben ist nicht immer ein Pläsier, aber wenn der Eduard mein wär’, ich wollt’ gern drei Stock hoch springen, und wenn ich ein Bein dabei brechen thät! – Aber kommen Sie, kommen Sie, Malchen, wir gehen in eine Konditorei, mich hat die Geschicht’ angegriffen, ich laß uns ein Eis geben und nachher einen Liqueur, denn so ’was muß man leben lassen – daß die Feldern zu ihrem Eduard geht!“

Als Frau von Feldern sich dem Schneiderschen Hause näherte, machte sie große Augen über den neuen hübschen Laden mit den blanken Fenstern und der überaus appetitlichen Auslage. Sie ging durch die Einfahrt und blieb dann schweratmend unter der Hofthüre stehen; auch hier war alles anders, als sie es verlassen; ein prächtiger, grüner Rasen dehnte sich unter der Linde aus, ein rechter Tummelplatz für Kinder; an der Stelle des niedrigen Erdgeschosses stand ein schönes Hochparterre mit breiter Veranda. Frau von Feldern mußte sich einen Augenblick an der Thüre festhalten; sie hatte zwei Kinderköpfchen entdeckt, die an einem Tisch saßen und Milch tranken; blitzschnell erwachte in ihr die alte Natur, und sie erhob sich auf den Zehenspitzen, um zu sehen, ob auch alles in Ordnung vor sich gehe. Ja, völlig, völlig! – es nahm ihr fast den Atem. Allein die schnarrende Stimme des Herrn Schneider, der sich mit den Kindern abgab, brachte sie zu sich selbst: ein Gefühl glühender Eifersucht durchfuhr ihre Glieder: rasch schritt sie über den Rasen und erschien plötzlich auf den Stufen der Veranda.

„Ei du heiliges Kreuz, die Feldern –“ empfing sie der Großvater ihrer Enkel, aber er war purpurrot und zitterte an allen Gliedern, „um Gotteswillen, bitte – bitte –“

Er schob der Frau, die angesichts der sie groß anschauenden Kleinen zu wanken anfing, flugs einen Stuhl unter.

„Und das ist der Eduard Feldern, und das der Kuno Feldern,“ sagte er und setzte ihr beide Büblein auf den Schoß.

Sie drückte die Kinder mit einem wonnigen Aufschluchzen ans Herz. „Ja, ja, Herr Schneider,“ preßte sie unter den nicht mehr zurückzuhaltenden Thränen hervor, „Sie haben gesiegt –“

„Bilden Sie sich so ’was nicht ein, sondern sehen Sie mich an“ – er saß da, die Ellbogen auf dem Tisch, die Hände in den Haaren – „die reinsten Barone sind wir – alle miteinander – wenn Sie noch einen Flecken an meinem Rock sehen wollen, müssen Sie eine Lupe nehmen – und diese Kinder – jawohl, da hat sich was mit meinem Sieg. Den ganzen Tag heißt’s: das dürfte Großmama Feldern nicht sehen – jenes dürfte Großmama Feldern nicht hören! – Und der Großvater Schneider – je nun, was will er machen – wenn alles nach Ihrer Pfeife tanzt, so muß ich halt mittanzen, aber leicht ist mir’s nicht geworden und manchmal schon hab’ ich gedacht – hol Sie der – o Herrgott“ unterbrach er sich, „die werden mich ja steinigen, daß ich da lang’ schwatze –“ und rannte unter fürchterlichem Schneuzen davon.

Frau von Feldern hatte die Rede des ehemaligen Todfeindes wohl gethan, sie hatte sie erheitert.

Als Eduard und seine Frau mit überquellendem Herzen, glückselig und doch wieder zagend herbeigeeilt kamen, fanden sie keine strenge, großmütig verzeihende Mutter, sondern eine mildblickende glückstrahlende Großmutter, die jeder Rührung die Spitze abbrach, indem sie die Eltern ihrer Enkel mit den Worten empfing:

„Wie habt Ihr sie wohl erzogen!“



Blätter und Blüten.


Die Jubelfeier der Wiedererrichtung des Deutschen Reichs. (Zu dem Bilde S. 96 und 97.) Ueberall im weiten Vaterlande, im Norden wie im Süden, in den Städten wie den entlegensten Weilern, ist der Erinnerungstag an die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches hochgestimmt und dankerfüllten Herzens begangen worden. Vertreter aller politischen Parteien, in denen die Liebe zum Vaterland waltet, vereinigten sich an diesem 18. Januar allenthalben zu großartigen Kundgebungen der Einmütigkeit ihrer nationalen Gesinnung. Die Hauptfeier aber fand naturgemäß in Berlin statt, das durch jenes Ereignis zur Würde der Hauptstadt des Deutschen Reiches gelangte, in der Residenz des Königshauses, dem vor 25 Jahren unter dem Beifall der übrigen deutschen Fürsten und des gesamten Volkes die im Schlachtenfeuer geschmiedete neue Kaiserkrone zufiel. Der Enkel Wilhelms des Ersten, der heute mit gerechtem Stolze ihr Träger ist, hatte es sich angelegen sein lassen, einen glanzvollen Staatsakt vorzubereiten, der ihm selbst Gelegenheit gab, das Gelöbnis seines Großvaters feierlich zu erneuern, mit welchem dieser in Versailles die Kaiserwürde übernahm. Und wie die dabei zur Verlesung gelangende Botschaft direkt an die Proklamation anknüpfte, welche 1871 Bismarck im Spiegelsaal des Versailler Schlosses verlas, so hatte die Jubiläumsfeier im Weißen Saale des Berliner Schlosses mancherlei Anklänge an den großen historischen Vorgang. Dieselben neunzehn Fahnen und Standarten, welche, als von besonderem Ruhm ausgezeichnet, damals den ersten Kaiser grüßen durften, fanden auch jetzt wieder auf und neben dem Throne Aufstellung. Und wenn auch von den hervorragendsten Teilnehmern an jener Handlung nur wenige bei der jetzigen Feier anwesend waren – hat doch die meisten uns der Tod entrissen, wenn auch von der persönlichen Beteiligung der übrigen Bundesfürsten abgesehen worden war und auch Fürst Bismarck und Generalfeldmarschall Graf Blumenthal verhindert waren, der an sie ergangenen Einladung zur Teilnahme zu folgen, so waren von Mitgliedern des Bundesrats und des Reichstags, unter den Staatswürdenträgern und Generalen doch zahlreiche Männer vertreten, die persönlich an der Gründung des Reichs beteiligt und von ihrer Verkündigung Zeugen gewesen waren. Der noch am Leben befindliche erste Präsident des Deutschen Reichstags, Dr. v. Simson, war freilich leider auch am Erscheinen verhindert.

Diese Feierlichkeit im neuhergerichteten Weißen Saale des Königlichen Schlosses begann vormittags um 11 Uhr. Vorher hatte in Anwesenheit des Kaisers und seiner Familie ein Gottesdienst in der Schloßkapelle stattgefunden. Ehe der Kaiser dann in dem festlich beleuchteten Saale mit den Personen des „großen Vortritts“ und des Gefolges erschien, hatten die Geladenen Aufstellung genommen: die Mitglieder des jetzigen und des ersten Reichstags gegenüber dem Thron, die Generalität an der Kapellenseite, die Minister, das diplomatische Corps und andere Gäste an der Fensterseite des Saales, die Mitglieder des Bundesrats links vom Throne, während die rechte Seite für die am Aufzug des Kaisers Beteiligten freiblieb. In prunkvoller Weise erfolgte nun dieser. Voraus schritt die Schloßgardecompagnie in ihrer historischen Uniform, welche die neunzehn auserwählten Feldzeichen geleitete. Es folgten Fouriere, Pagen, die Hofchargen und nach den obersten derselben die Ritter des Schwarzen Adlerordens in ihrer glänzenden Tracht. Von sechs Generalen getragen, erschienen nun die Reichsinsignien, eskortiert von Offizieren der Gardes du Corps. Das Reichsinsiegel auf einem silbernen Kissen trug Generallieutenant Graf v. Wedel, das entblößte Reichsschwert, aufrecht gehalten, der Kriegsminister Bronsart v. Schellendorff,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0099.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)