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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

er mußte seiner Mutter gedenken und sich sagen: so hielt sie mich einmal auch und sah mich liebevoll an und setzte Hoffnungen auf das kleine Leben in ihrem Arm.

Nein, es war keine leichte Mühe, ein Kind aufzuziehen und alles das hatte seine Mutter gethan und noch dabei für ihren gemeinsamen Unterhalt gesorgt und Tag und Nacht sich keine Ruhe gegönnt – und nun war’s diesem Kuno vorbehalten, ihr alles allein vergelten zu dürfen!

Wenn er so sann und dabei sein Kind anstarrte, kam wohl die Gustl, fuhr ihm mit der Hand über die Stirne und lachte ihn mit ihren treuen blauen Augen an.

„Sei nur ruhig, gräm’ Dich nicht, wir kommen auch noch an die Reihe; sieh, wenn ich alles so gewiß wüßt’, als daß sie eines Tages da herein kommt und ich’s ihr endlich, endlich zeigen kann, was ich durch Dich von ihr gelernt – manchmal ist mir’s, als könnt’ ich’s kaum erwarten!“

„Närrle, Du,“ lächelte der Gatte.

Sie umfaßte ihn. „Geh’ hin, sag’s ihr, daß wir ein Kind haben –“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein, dring’ nicht in mich – es hat alles seine Grenzen – wenn sie mir etwas Hartes sagte, jetzt könnt’ ich es nimmer verwinden.“

Kurz nach diesem Gespräch erhielt Eduard einen Brief von seinem Bruder; es war fast ein Jahr verflossen seit dessen Abreise, und gar oft war die Rede von ihm gewesen im Schneiderschen Hause, ob er wirklich den großen Gehalt bekomme und imstande sei, die Mutter regelmäßig zu unterstützen.

Kunos Schreiben lautete folgendermaßen:

 „Lieber Edu!

Es ist mir im Anfang recht gut gegangen, und ich konnte Mama monatlich fünfzig Mark schicken, damit sie nicht mehr so viel arbeiten muß. Nun aber werde ich ihr im nächsten Monat nichts schicken können, denn ich habe meine Stellung verlassen und muß mir eine andere suchen; Mama soll es aber nicht wissen, denn sie fängt an, alles so schwer zu nehmen, und darum bist Du gewiß so gut, ihr die fünfzig Mark in meinem Namen vorzustrecken, und zwar so, daß sie ihr als von mir kommend ausbezahlt werden. Du sollst alles wieder bekommen, sobald ich eine neue Stelle habe. In meiner letzten hatte ich sehr viel mit einem händelsüchtigen Menschen zu thun, der alles besser wissen wollte; auch erlaubte sich der Direktor einen sehr ungezogenen Ton gegen mich anzuschlagen; ich verbat mir das, und wir schieden. Wie geht es Dir? ich glaube, Du hast einen Sohn; das freut mich sehr. Ich bin wirklich dafür, daß wir in gutem Einvernehmen bleiben, denn ich kann Dich versichern, daß ich gar nicht hochmütig bin, und ich hoffe, daß Mama auch endlich eines Tages einsieht, daß Du auch ein ganz tüchtiger Mensch bist. Freilich, daß Du unser ‚von‘ aufgegeben hast, war ein wenig stark von Dir. Vielleicht bist Du so gut und schickst mir umgehend zweihundert Mark, damit ich nicht in Verlegenheit komme.

Dein aufrichtiger Bruder Kuno.“ 

Jetzt, jetzt war er da, jetzt war der Augenblick gekommen, und Eduard kam an die Reihe! Mit welchem Eifer, mit welcher Ueberlegung setzte er die Sache ins Werk, damit die arme Mutter ja nicht merke, daß die Unterstützung, die er sogleich wesentlich erhöhte, wo anders herkomme als von ihrem Kuno!

Daß sie darein keinen Zweifel setzte, erfuhr das junge Paar gelegentlich durch Frau Müller, die nie verfehlte, von Zeit zu Zeit vorzusprechen, um zu sehen, wie’s um den jungen Haushalt stand.

„’s ist der Wunderfitz, der mich hertreibt,“ bekannte sie unverhohlen, „ich muß halt immer wieder schauen, ob’s denn wahrhaftig in Gott wahr ist, daß gerad’ die Frau zwei so ausgezeichnete Söhn’ hat; ich kann’s halt nicht begreifen. – Ganz aus Rand und Band bringt mich ihre Prahlerei mit dem Kunochen; wer hätte das gedacht, schickt ihr der Grünschnabel monatlich hundert und fünfzig Mark, der Malefiz-Bub’! Laß ich da einmal ganz harmlos mein Butterbrot aufs Tischtuch fallen – nennt mich der Bengel ‚Schweinchen‘ – ich bitt’ Sie, in meinem Alter! – und daß ich’s nur gerad’ sag’, eine wahre Freud’ war mir’s, wie er als Fähnrich seine Schläg’ kriegt hat: da hast’s – hab’ ich denkt. – Aber so bin ich nicht, Gott bewahr’, die Sach’ war halbpart – sie hat mir leid gethan in der Seel’, und ich wär alle Tag’ hin und hätt’ ihr Trost zugesprochen, aber sie war krank – stellt sich krank bis zu dem Augenblick, wie der Kerl das unverdiente Glück hat und kriegt die schön’ Stellung. Jetzt sitzt sie wieder am Theetisch, thut wie eine Privatiere und als ob sie nur mein’ Sach’ mir noch aus Gnad’ und Barmherzigkeit machen thät. Die Frau ist nicht unterzukriegen, einfach nicht unterzukriegen! Ach Gott, Kinder, ich möch’ Euch ja gern ’s Wort bei ihr reden, aber so oft ich von Euch anfang’, stößt mir das Malchen unterm Tisch ’s Schienbein wund, und dann, Gott soll mich bewahren, die Feldern will nimmer für mich arbeiten, wenn ich nicht aufhör’, ihr von Leuten zu reden, von denen sie nichts hören mag. Jede andre aber verpfuscht mir die Taille, und die kann ich Euch nicht opfern – nein, das werdet Ihr einsehen! Jesses, Kinder, hat man sich aber heut’ wieder bei Euch unterhalten, ’s geht eben nix über so ein Schwätzedle,“ schloß sie ihre Rede und rauschte befriedigt von dannen.

In der That, Frau von Feldern gönnte sich ein wenig Ruhe; sie hatte nur noch ein Nähmädchen und ihre emsigen Hände zogen nicht mehr so blitzschnell die Nadel aus und ein wie vordem. Das Alter war gekommen, und die Augen, die so viel geleistet, versagten den Dienst. Aber sie klagte nie, saß nach wie vor aufrecht und gut gekleidet hinter ihrem Theekessel, maßregelte Frau Müller und protegierte Malchen, die ihr allein von all’ den früheren Gästen treu geblieben waren, und wenn man sie hörte, so ging ihr alles nach Wunsch und sie war eine beneidenswerte Mutter wie keine zweite auf Erden.

Die heimliche Angst, es könne ihrem Kunochen eines Tages wieder schlecht gehen, verließ sie freilich keinen Augenblick; sie legte deshalb, was sie zu erübrigen vermochte, als Notpfennig zurück, um ja in der Lage zu sein, dem Liebling beispringen zu können, wenn Not an Mann gehe. Zuweilen auch wunderte sie sich in ihrer Einsamkeit, daß Eduard so gar keinen Versuch mehr machte, ihre Verzeihung zu erringen; da sie des Abends nicht mehr arbeiten konnte, kamen ihr allerlei Gedanken, die beinahe etwas Versöhnliches hatten, besonders seit sie wußte, daß sie Großmutter geworden war. Aber zuerst natürlich mußte der Sohn zu ihren Füßen liegen!

Der aber hatte seit der Täuschung, die er an seiner Mutter ausübte, ein viel zu schlechtes Gewissen, als daß er sich unter ihre Augen getraut hätte. Auch war er nicht so ganz sicher, ob er wohl imstande sein möchte, es ruhig über sich ergehen zu lassen, wenn die Mutter ihm nach wie vor Kunos Loblied singen würde. Er hatte nun schon ganz artige Summen an den Bruder gesandt und nicht Lust, ihn noch länger als Vorbild hingestellt zu bekommen. Er fand es überhaupt an der Zeit, die Mutter endlich über die Lage des Bruders aufzuklären, allein Gustl hielt ihn immer wieder davon zurück.

„Thu’ Du’s nicht,“ bat sie, „aus Deinem Munde wär’s ihr ein doppelter Schlag; Dein Bruder wird’s gewiß nicht immer verbergen können, wie’s um ihn steht; er hat so wie so eine ganze Weile nichts von sich hören lassen, da denk’ ich immer, er kommt gewiß eines Tages völlig abgerissen heim, und dann wird ja alles einmal an den Tag kommen.“

Die Sache ging aber anders; Kuno hatte immer regelmäßig an seine Mutter geschrieben, kurze Briefe, in denen er sich nach Mamas Befinden erkundigte und sie immer wieder bat, doch nicht so viel Aufhebens von den monatlichen Geldsendungen zu machen, ihre überschwengliche Dankbarkeit beschäme ihn gar zu sehr. Diese gedankenarmen Brieflein waren die einzige Lebensfreude der einsamen Frau, gaben ihr den Trost, dessen sie so sehr bedurfte, daß sie nicht umsonst gelebt, gekämpft und gerungen.

Nun aber war schon eine geraume Zeit verstrichen und Frau von Feldern hatte nichts von ihrem Sohne gehört. Eine entsetzliche Unruhe bemächtigte sich ihrer, die unglückseligsten Vorstellungen plagten sie, so daß sie jedesmal zusammenfuhr, so oft es auf dem Vorplatz läutete. Zwanzigmal im Tag lief sie zu ihrer Schatulle, um die Summe nachzuzählen, die sie erübrigt hatte. Dann wieder schalt sie mit sich selber, was ihr denn einfalle, was sie denn glaube – trafen nicht die hundertundfünfzig Mark regelmäßig am Ersten eines jeden Monats vom Bankier bei ihr ein, im Auftrage des Herrn Kuno von Feldern! „Ich bin doch eine recht nervöse alte Frau geworden,“ sagte sie zu sich selber, „Kunochen wäre außer sich, wenn er wüßte, was ich mir für Sorgen mache.“

Es war Sonntag; Frau von Feldern warf noch einen Blick auf den sorglich hergerichteten Theetisch, fuhr mit dem Staubtuch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0095.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)