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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

und blieb immer freundlich, so sehr sie auch das spießbürgerliche Wesen ihres Schwiegervaters genierte; auch daß man in einem gewöhnlichen Hause wohnte, neben einem Lädchen, dem ein ewiger Heringsgeruch entströmte, war nicht nach ihrem Geschmack.

Der Schwiegervater bewohnte die beste der beiden nach vorn liegenden Stuben; das Ehepaar schlief in dem schmalen Hofzimmer neben der Küche; man hatte also nur einen Raum zum Speisen und Wohnen; daß es unter solchen Verhältnissen nicht angebracht war, Besuche zu machen, lag auf der Hand. Und gerade danach sehnte sie sich am meisten – da und dort ihre Karte abzugeben und denen, die sie bisher als Gouvernante gekannt, als gnädige Frau entgegenzutreten. Inzwischen war sie die Gnädige, Jungfer und Putzfrau alles in einer Person; kühn, wie sie war, hatte sie auch das Amt der Köchin verwalten wollen, aber der alte Herr zog die Kost aus dem Speisehaus vor, sich energisch wehrend, seine alten Tage mit einer Armensuppe zu beschließen.

Auch hier fügte sich die junge Frau, obwohl sie das viele Geld, das für das Essen draufging, entsetzlich kränkte; wie viel wichtiger war es doch in ihren Augen, schön zu wohnen und sich schön zu kleiden. Sie selber war, dank ihrer außerordeutlichen Geschicklichkeit, die sie von ihrem Vater geerbt, welcher Schneider gewesen, immer aufs zierlichste geputzt, und wenn es irgend einer Ladenjungfer einfiel, sie, ihrer Vornehmthuerei wegen, Baronin zu nennen, so hatte Lucia ihr Ziel erreicht und konnte sich den ganzen Tag vor Vergnügen nicht lassen.

Aber eines Tages starb der alte Herr und mit ihm ging nicht nur die Haupteinnahme der Familie verloren, sondern auch der Halt, die Fessel, deren Lucias Natur bedurfte.

Die Felderns hatten jetzt ihren Speisesaal und ihren Salon; sie machten auch jene Besuche, nach denen Lucias Seele so lange gelechzt hatte. Es waren aber nur einige Kärtchen zurückgekommen, allerdings Kärtchen mit Kronen, die im Salon auf einem versilberten Teller ausgestellt wurden, aber die Einladungen, auf die man gehofft, waren in Jahr und Tag nicht eingetroffen.

Frau von Feldern war nicht die Natur, sich irgend eine Kränkung oder Demütigung anmerken zu lassen. Sie sagte sich, es wird schon noch anders kommen, und machte sich mutig über ihre Pflichten her. Sie waren nicht gering, denn die Familie hatte sich vergrößert, und es war unmöglich, von der bescheidenen Einnahme des Mannes zu leben. Frau von Feldern hatte sich also entschlossen, unter dem Deckmantel tiefster Verschwiegenheit ihr Talent zum Schneidern in Anwendung zu bringen. Sie war so geschickt, so rasch und erfinderisch, daß sie sich ganz vorzüglich zur Leiterin eines großen Geschäftes geeignet hätte, allein Frau von Feldern wußte, was sie ihrem Namen schuldig war. Ein paar Freundinnen verschafften ihr die Kundschaft.

Kam nun eine neue Dame, eingeschüchtert durch das fette „von“ auf dem Porzellanschild, mit der bescheidenen Anfrage, ob sie recht sei, man habe ihr gesagt, hier wohne eine ausgezeichnete Kleidermacherin, so verfehlte Frau von Feldern nie, durch eine gut gespielte Scene ihrer Ehre genugzuthun. Der ahnungslose Kunde wurde in den Salon geführt, und bevor er wußte wie ihm geschah, rang Frau von Feldern mit dem Ausdruck einer Niobe die Hände und teilte der bestürzten Dame unter mühsam unterdrücktem Schluchzen mit, sie sei nicht zum Kleidermachen geboren, sowohl ihre Natur als ihr Name hätten sie zu einem andern Leben bestimmt, allein, was könne der Mensch gegen Schicksalsschläge – einfach nichts; mit dem Falle ihres Mannes vom Pferde hätten seine geistigen Fähigkeiten gelitten und ihn zum Offizier untauglich gemacht, nun müsse sie die Sache in die Hand nehmen, wenn sie nicht anders leben wolle, als sie es gewohnt sei.

Schließlich wurde dann doch Maß genommen und das Nötige verabredet; der Kunde war unter den Reden der Frau von Feldern ganz klein geworden und empfahl sich mit der größten Hochachtung. Kunochen wurde gerufen, der in seinen enganliegenden Höschen, den kurzen Strümpfen und langen blonden Locken wie aus einem englischen Kupferstich geschnitten aussah; er gab der Dame das Geleite, küßte ihr die Hand und machte ihr unter der Thüre einen Diener bis auf die Erde.

Frau von Feldern wußte recht wohl, warum sie immer Kunochen rief und nie Edu – ihren ältesten Sohn. Sie erzog beide gleich streng, mit dem festen Vorsatz, in ihnen zwei außerordentlich feine und hervorragende Menschen heranzubilden. Was sie nicht erreicht, das sollten ihre Kinder erreichen; eine Zierde sollten sie werden jener ersten Kreise, die das Ziel ihrer Sehnsucht geblieben; den Adel hatten sie ja, es bedurfte nur der Epauletten, um sie dort heimisch zu machen; und dann war es ihnen, den Söhnen, vorbehalten, sie als Matrone dort einzuführen, wo sie hingehörte!

Vor der Hand war es aber nur Kunochen, der sie zu diesen Hoffnungen berechtigte. Bei ihm war ihr es vollkommen gelungen, die wenigen Anwandlungen von Eigenwillen zu brechen, die er als kleines Kind gezeigt, und das bißchen Uebermut in jene Form zu bannen, die angenehm wirkte. Er war mit fünf Jahren ein kleines Wunderchen von Wohlerzogenheit, ein Kind ohne alle Unarten, das weder Zorn noch Gefräßigkeit kannte und nie seine Kleider beschmutzte. Es war rührend, wie ihn die Roheit der Gassenkinder empörte, und mit welcher Beflissenheit er ihnen aus dem Weg ging; auch konnte er Schillers „Bürgschaft“, den „Handschuh“ und den „Gang nach dem Eisenhammer“ mit allerlei zierlichen Gesten hersagen. Dagegen Edu! – wie kam dieser derbe klotzige Bursch in diese ätherische, allen materiellen Genüssen abholde Familie!

Frau von Feldern hatte es dahin gebracht, daß an ihrem Tisch nie ein Wort über das Essen verloren wurde; seit der alte Herr tot war, kochte sie selbst; das „Fleisch“ bestand meist nur aus heißer oder kalt aufgeschnittener Wurst; da sich Frau von Feldern zur Herstellung von Gemüse und Kartoffeln so wenig Zeit wie möglich nahm, so war auch die Zukost danach. „An das Essen sollte der Mensch nie denken,“ prägte sie den Ihrigen ein, und nun – dieser Edu!

Er verlangte nichts, aber unablässig glotzten seine großen gierigen Augen die Platten an, so lang noch das Geringste darauf war. Er war ein Jahr älter als sein Bruder und konnte nicht ein einziges Gedicht auswendig; weder Schelte noch Schläge hatten ihn je dazu vermocht, jemand einen tiefen Diener zu machen oder einer Dame die Hand zu küssen. Und wie sah er neben dem reizenden Kunochen aus; alle Bemühungen, ihn zu einer eleganten Erscheinung herauszuputzen, waren erfolglos; er haßte gute Kleider, ging mit dem Ausdruck tiefsten Verdrusses hinter den Seinen her und rieb die Ellbogen an allen Häusern ab. Er fühlte, daß er in seinen engen Sammetkleidern und dem Sammetbarett auf seinem dicken Kopf eine lächerliche Figur spielte, und war daher beflissen, den Sachen wenigstens den Anstrich der Neuheit zu rauben, in der Einbildung, daß man alsdann weniger nach ihm sehen würde.

Frau von Feldern hielt das Gebahren ihres Sohnes für Auswüchse eines schlechten Charakters und ging ernstlich ins Zeug, diesen dem kleinen Gesellen auszutreiben. Er hingegen glaubte, seine Mutter mache sich ein besonderes Vergnügen daraus, ihn in Kleider zu stecken, darin er sich zu schämen habe, und wenn sie auf seine Bitte um Brot ihn mit der Bemerkung abspeiste: „Ich will keinen fetten Jungen zum Sohn haben“ – so hielt er das für eine ihm unbegreifliche Grausamkeit, gegen die er murrte.

Er begriff freilich nicht, daß seine Mutter ihre triftigen Gründe hatte, den Zuschnitt ihres Haushaltes für bescheidene Magen einzurichten, er begriff nur, daß er Hunger hatte, einen ewig nagenden, ihn bis zur Raserei quälenden Hunger. Daß er unter solchen Umständen kein liebenswürdiges Kind war, sondern mit finstern Blicken umher ging, jeden Augenblick bereit, über sein ihm stets als Muster vorgehaltenes Brüderchen herzufallen, war weiter kein Wunder. Herr von Feldern fuhr zwar manchmal heimlich seinem Aeltesten liebevoll über das schwarze Haar, aber der Knabe hatte es bald weg, daß er an dem Vater keine Stütze hatte, denn es war noch nie geschehen, daß Herr von Feldern seiner Frau widersprochen oder Einsprache gethan hätte, wenn sie eine Abstrafung für nötig fand.

Eines Tages zog Frau von Feldern ihre Knaben mit besonderer Feierlichkeit an, nahm sie bei der Hand und führte sie zum erstenmal den Weg zur Schule. Eduard war sieben, Kunochen noch nicht sechs Jahre alt; aber bei der außerordentlichen Begabung des Kindes wäre ein Zuwarten nur schade gewesen; nein, um den sorgte sie sich nicht; sie sah ihn schon steigen von Klasse zu Klasse; anders stand’s leider mit dem Aeltesten!

So legte sie unter einem ungeheuren Wortschwall dem Lehrer ihr begabtes und ihr unbegabtes Kind ans Herz, und die Knaben rückten nach ihrem Weggehen in die Schulbank. Als an

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0048.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)