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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

mehr haben diese Produkte auf dem Weltmarkt an Wertschätzung gewonnen.

Wer den ersten Kieler Sprott geräuchert, den ersten Herbsthering zum Bückling umgewandelt hat? – Ich habe mir redliche Mühe gegeben, dem Manne nachzuspüren; aber die vergilbten Blätter holsteinischer Lokalchroniken konnten mir seinen Namen ebensowenig nennen wie die gelehrten Volkswirtschaftler der Kieler Christian Albrecht-Universität oder die greisen Senioren der Föhrdefischerei. Und so gilt auch vom ersten Sprottenräucherer, wie von so manchem Menschenfreund, das Wort in der Eingangsstrophe zu Klopstocks bekannter Eislaufselegie:

„Vergraben ist in ewige Nacht
Der Erfinder großer Name zu oft!“

Im übrigen ist zwar die Kunst, Fische durch Räuchern zu konservieren, auch in Schleswig-Holstein hohen Alters; aber der geräucherte Fisch hat jahrhundertelang sein Absatzgebiet fast ausschließlich an den Stätten seiner Bereitung, das heißt an den Küstenorten und in deren unmittelbarem Hinterlande, gefunden, und noch heute giebt es in allen Fischerdörfern Leute, die es bezeugen, daß man in früheren Jahrzehnten dieses Jahrhunderts nach reichlichem Fang den Ueberschuß an Sprotten und Heringen als Dünger auf die Felder werfen mußte, weil man einer vorteilhafteren Verwertung desselben sich nicht zu erfreuen hatte. Denn nur in möglichst frischem Zustand üben Sprotten und Bücklinge ihren Reiz auf den Gaumen des Feinschmeckers, und daher hat es erst einer einigermaßen gesicherten und regelmäßigen Verkehrsverbindung zwischen Ostsee und Elbe bedurft, ehe der Hamburger Hausierer gemütlichen Angedenkens allmorgendlich mit einigem Erfolg sein eintönig rhythmisches „Kieler Bückeln!“ durch die Straßen der Freien Hansestadt johlen konnte. Heute aber machen es nur die schnellen Eisenbahnzüge und schnellsten Oceandampfer möglich, daß die Bewohner zweier Welten sich mit Behagen der Delikatesse erfreuen können, die der holsteinische Fischer in finsterer Nacht aus der Tiefe des Meeres emporhebt.

Auf dem Frischfischmarkt zu Kiel.

Freilich! wenn der holsteinische Fischer oder gar derjenige von der Kieler Föhrde allein den ganzen Weltmarkt mit Bücklingen versorgen sollte, dann würde es um diesen mager genug bestellt sein. Glücklicherweise ist indessen der Reichtum an Heringen, die ja in volkswirtschaftlicher Beziehung vor den Sprotten in Betracht kommen, in der ganzen Ostsee ein so großer, daß der an der westlichen Küste gemachte Fang durch Sendungen aus allen Teilen des Baltischen Meeres, insonderheit aber aus den schwedischen und dänischen Gewässern, seine überreichliche Ergänzung findet. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß die verschiedenen Arten des Fisches, deren es in der Ostsee einige dreißig giebt, was Nährwert, Geschmack und Verwendbarkeit für den Export anbelangt, keineswegs ebenbürtig nebeneinander stehen. Unterschieden werden diese Arten unter den Händlern einfach nach den Fangplätzen; denn, wie die Erfahrung interessanterweise gelehrt hat, kehrt der Hering zum Laichen stets an dieselbe Stelle zurück, an welcher die Brut ausgekrochen ist, so daß zum Beispiel im Schleibusen zur Frühjahrszeit seit Menschengedenken nur eine einzige, durch Schmackhaftigkeit und Fettheit ausgezeichnete Art gefangen wird, die man sonst in der ganzen Ostsee vergeblich sucht. Dieser allgemein gültigen Gewohnheit des Fisches gegenüber ist daher die bisher noch nicht aufgeklärte Erscheinung um so auffallender, daß der in den Kieler Räuchereien viel verarbeitete schwedische Hering, der alljährlich seit alten Zeiten die Gewässer von Gotenburg bevölkerte, dort zu Anfang dieses Jahrhunderts mit einem Male spurlos verschwunden war, um erst im Jahre 1873 ebenso plötzlich wieder aufzutauchen und seither in jedem Spätsommer in altgewohnter Massenhaftigkeit gefangen zu werden. Hunderttausende dieser schwedischen, sowie der dänischen Heringe werden während der Fangzeit täglich durch die Postdampfer nach Kiel befördert, um in den Räuchereien am Föhrde-Ufer sofort verarbeitet oder nach Lübeck und Eckernförde weiter gesandt zu werden; wozu gleich hier bemerkt werden mag, daß die Lübecker Exporteure mehr Gewicht auf den massenhaften Versand legen, während in Kiel und Eckernförde die Qualität der Ware die Hauptrolle spielt. Letzteres liegt zum Teil in der Thatsache begründet, daß kein anderer Ostseehering, mag er im Kattegat oder in den Belten, im Limfjord oder in einer anderen jütischen oder schleswigschen Bucht gefangen werden, was Zartheit des Fleisches und Feinheit des Geschmacks anbelangt, sich mit der an Größe zwar hinter den meisten Arten zurückstehenden Rasse der Kieler Föhrde und der unmittelbar benachbarten Eckernförder Bucht messen kann. Wie Professor Möbius, ehemals in Kiel, jetzt in Berlin, der beste Kenner der Ostseefauna, nachgewiesen hat, handelt es sich hier um zwei für den Laien äußerlich schwer unterscheidbare, durch Uebergänge verbundene Lokalrassen: den Herbst- oder Seehering, der im Herbst und Winter laicht, und den Frühjahrs- oder Küstenhering, der die Buchtungen zu gleichem Zweck im April und Mai aufsucht und sich dann gern in dem halbsalzigen Brackwasser vor den Flußmündungen aufhält. Da von den beiden, in denselben Gewässern vorkommenden Sprottarten die eine mit der ersteren, die andere mit der letzteren Heringsrasse gleichzeitig laicht, so ergiebt sich, daß der ganze Kieler Sprotten- und Heringsfang im wesentlichen in das Winterhalbjahr fällt.

Die ersten Schwärme von Fischen beider Art treffen allerdings auch an der schleswig-holsteinschen Küste schon Ende August und Anfang September ein; und vielerorts wird auch um diese Zeit mit dem Fang begonnen, ohne daß derselbe, da die Fische noch nicht recht ständig geworden, sonderliche Erträge lieferte. An der Kieler Föhrde aber, und insonderheit in Ellerbek, dem großen, stadtartig erweiterten, Kiel gegenüber hart am Terrain der Kaiserlichen Werft gelegenen Dorfe der Fischer und Räucherer, denkt selten jemand daran, den Sprotten und Heringen vor Beginn des Oktobermonats nachzustellen. Während daher die Räuchereien vielleicht schon seit Wochen mit der Verarbeitung schwedischer und dänischer Ware zu thun haben, beschäftigt sich der Ellerbeker Fischer noch mit dem Buttfang für den Frischfischmarkt und wartet

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0043.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)