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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Schilf treibt Jahr um Jahr Halme und Rispen wie vordem, der Geist altmärkischer Geschichte lebt allein in seinem Wogen und Singen.

Die Zurüstung des Schilfes.

Die Havel, zu Beginn ihres Laufes und auch noch in brandenburgischen Gauen ein bescheidenes Rinnsal, das zwar schon frühzeitig Schiffe und Flöße trägt, es aber zu keiner ausschlaggebenden Stellung im Landschaftsbilde zu bringen vermag, wälzt sich unterhalb Spandaus bereits in einer Breite von 80, selbst 90 Metern durchs Gefild und nimmt weiterhin an Umfang dermaßen zu, daß sie es bis auf 310 Meter Breite bringt. In allen Dingen ein echter Tiefland- und Niederungenfluß, vergeudet sie außerdem ihren Wasserreichtum an der Bildung zahlreicher, zum Teil sehr ausgedehnter Seen, und so ist es nicht zu verwundern, daß ihre Ufer an Flachheit von keinem anderen deutschen Strome übertroffen werden. Nirgendwo finden deshalb die ehrenwerten und bei allen Lyrikern so beliebten Pflanzengattungen der Phragmites und Arundo ein besseres Fortkommen, eine geeignetere Heimatstätte als bei ihr. Schilffelder begleiten breiten Ringes ihren behäbigen Gang durch die sandige Mark, und wo selbst Wälder und Gehöfte von ihr zurücktreten, da verleiht noch das grüne, lebendige Gewoge des Rohres dem Flusse ein freundliches und schmuckes Aussehen. Sommerlang dient es, hoch aufgeschossen, immer bewegt und immer plaudernd, vor allem Malern und Dichtern als erwünschtestes Motiv; das Sumpfgetier vermehrt sich reißend in seinen Dschungeln, und die märkischen Bengel dürfen sich, wenn schon in keiner anderen Hinsicht, so doch wenigstens darin einer Bevorzugung seitens der Natur rühmen, daß ihnen zum Pfeifenschneiden reichere Gelegenheit als sonst jemandem geboten wird.

Das Weben der Schilfmatten.

So verlebt das Schilf eine äußerst lustige und unterhaltsame Jugend, schiebt seine Vorposten immer weiter in Wasser und Wiese hinein und sproßt mit ungestümer Kraft, daß es vorbeigleitenden Booten die dahinter liegenden Ansiedlungen vollkommen verbirgt, den braunen Dorfmädchen aber selbst Sonntag nachmittags jede Möglichkeit nimmt, mit den Ruderern auch nur das allernothwendigste zu kokettieren. Ist demnach das Rohr den Menschen während der guten Jahreszeit keineswegs nützlich, sondern der jüngeren Generation sogar entschieden schädlich, so ändert es seinen Charakter überraschend, wenn die trüben Tage beginnen und die grüne Jugendfarbe einer gesetzten, graugelben Reife Platz macht. Nun kümmern sich auch die Anwohner, die sich des Besitzes einer „Flußgerechtigkeit“ erfreuen, eifrig um die fortschreitende Entwicklung ihrer Schilfplantagen, und sobald der Frost den Strom allenthalben überbrückt und gangbar

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0018.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)