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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

der Wand gedreht und jener sich, ohne Absolution zu erteilen, entfernt habe.[1]

Lorenzo starb am 8. April 1492 im nicht vollendeten dreiundvierzigsten Lebensjahr. Sein Tod war wie der Cäsars von Naturphänomenen begleitet, die als Wunderzeichen gedeutet wurden. Ein unerhörter Sturmwind raste über Florenz, der Blitz schlug ein Stück der Domkuppel herunter, die Löwen, die auf Staatskosten gehalten wurden, zerfleischten sich gegenseitig, man wollte Stimmen in den Lüften gehört haben, ein leuchtender Feuerstreif stand unbeweglich über Careggi und erlosch, als Lorenzo den Geist aushauchte.

Kaum war der Damm zerrissen, der den allgemeinen Hader so lange zurückgestaut hatte, so war es, als sollte das Chaos hereinbrechen. Piero wirtschaftete in den Tag hinein, ohne auf die letzten Ermahnungen seines Vaters und auf die Zeichen der Zeit zu achten; nach innen gewaltsam, nach außen zweideutig, stellte er die politischen Traditionen seines Hauses geradezu auf den Kopf. Die entzweiten Fürsten Italiens riefen zu ihrem Unheil französische Waffen herbei, dazwischen donnerte Savonarola und kündigte den Anfang vom Ende an. Die Beängstigung ward allgemein, Lorenzos Freunde starben rasch im Kummer weg, die Ueberlebenden klammerten sich an Savonarola. Seltsame Visionen schreckten auch unbeteiligte Zuschauer. Einem harmlosen Musiker an Pieros Hofe erschien bei Nacht der tote Lorenzo mit schmerzverstörtem Gesicht und schwarzen zerrissenen Gewändern, durch welche die Haut schimmerte, und befahl ihm, seinem Sohne Piero zu sagen, sein Sturz sei nahe, bald werde er von Florenz vertrieben sein, um nicht zurückzukehren. Der Mann, der die Lebenden offenbar noch mehr fürchtete als die Toten, wollte trotz Michelangelos dringendem Zuspruch nicht reden. Da erschien ihm die Gestalt zum zweitenmal, gab ihm zum Beweis ihres Daseins einen heftigen Schlag ins Gesicht und wiederholte den Befehl. Jetzt rannte der arme Musikus sinnlos vor Schreck nach Careggi, um den Gebieter zu suchen, der ihm unterwegs mit seinem Gefolge entgegengeritten kam. Piero hörte die Geschichte an und fand sie spaßhaft; die ganze Gesellschaft lachte den Geisterseher aus. – Michelangelo floh entsetzt aus dem Hause, das er dem Untergang verfallen sah.

Kaum ein paar Wochen vergingen, so war die Prophezeiung des Traumgesichts erfüllt. Piero mußte aus seiner Vaterstadt flüchten, um in der Fremde zu sterben, seine Brüder und Freunde irrten im Exil. Florenz ward ein Gottesstaat mit Jesus Christus als Gonfaloniere. Auf der Piazza gingen die Eitelkeiten der Welt[2], darunter unschätzbare Kunstwerke und ein Teil von Lorenzos herrlicher Büchersammlung, der seine letzte Sorge gegolten hatte, in Rauch und Flammen auf. Freilich sollte der Brand, den er entfacht hatte, am Ende den Propheten mit verzehren.

Als die Toskana nach unendlichen Nöten schließlich unter einer mediceischen Dynastie die Ruhe wiederfand, da war Florenz nicht mehr die Heimat der Freiheit und der Kunst. Der Stamm des großen Lorenzo war durch Verwandtenmord ausgetilgt, ein anderer Zweig der Familie Medici hielt das Scepter in Händen, der seinen Ursprung von dem Bruder des alten Cosimo ableitete und mit Eifersucht auf den Ruhm seiner großen Vorgänger sah. Mit Hofceremoniell und Maitressenkabalen beschäftigt, hatte er keine Zeit, dem Größten, der den Namen Medici geführt hat, eine würdige Ruhestatt zu schaffen.

Auch jetzt soll nur eine schlichte Inschrift im Stein die Stelle kenntlich machen, die die Reste des erlauchten Brüderpaares birgt – eine weise Enthaltung, denn welcher Schmuck vermöchte Den zu ehren, dessen Denkmal unvergänglich in der Kulturgeschichte der Menschheit aufgerichtet steht!


Karl Thiessens Brautfahrt.

Eine Heiratsgeschichte von Hans Arnold.

     (Fortsetzung.)

Wie es zngegangen war, daß das Gerücht von Karl Thiessens Heiratsabsichten und seinem Retourbillet in der ganzen Stadt herum kam, das weiß heute noch niemand zu sagen. Sicher ist aber, daß nie so viel Kaffeegesellschaften gegeben wurden wie in den nächsten Wochen, und daß auf jeder dieser Kaffeegesellschaften der Reichtum des wiedergekehrten Stadtkindes, die glänzende Aussteuer, die er, wie man wissen wollte, zum großen Teil schon beschafft hatte, noch um ein Beträchtliches wuchs, so daß Karl Thiessen auf die bequemste Art von der Welt zum Millionär gemacht wurde.

Die Beliebtheit und Bedeutung der Tante Verwalterin stieg damals zu schwindelnder Höhe. Sie wußte sich gar keinen Rat mehr vor den Einladungen und Liebenswürdigkeiten ihrer Mitbürger; täglich mehrmals guckte irgend ein niedliches Mädchengesicht bei ihr ein, brachte ein paar Blumen oder einen seltenen Pflanzenableger für den Garten oder bat um ein Rezept zu dem und jenem Gebäck, zu dieser und jener Pastete. Letzteres war ein besonders sicheres Mittel, bei der alten Dame in Gunst zu kommen.

Diese zeigte sich aber sehr reserviert und verschlossen; sie gab weder über ihre noch über ihres Neffen Absichten und Aussichten irgend welchen Aufschluß und spann nur, wie eine brave gutmütige alte Spinne, ihre Fäden nach allen Seiten, so daß Karl Thiessen sich bald mitten in diesem Netze fand und nur noch die Qual der Wahl zu haben brauchte, die bekanntlich nicht immer die leichteste ist, und nun gar in solcher Kardinal- und Lebensfrage.

Unter den Häusern welche die Frau Verwalterin für ihrem Heiratskandidaten im Auge hatte, war in erster Linie das des Steuerrats Dierks. Der brave Mann erfreute sich einer angesehenen Stellung unter seinen Mitbürgern und eines ganz netten Vermögens – allerdings hatte bei ihm, wie er zu sagen pflegte, der Thaler nur zehn Groschen, da er sich des Besitzes dreier Töchter zu rühmen wußte.

Bei diesem Herrn Steuerrat hieß es nun mit vollem Recht wie in dem schönen alten Märchen: „Er hatte drei Töchter, und die jüngste war die schönste von allen!“

Diese jüngste war, ihres bildhübschen Gesichtchens wegen, das Wunder der ganzen Stadt; sie hatte krause, aschblonde Haare, die fast wie leicht gepudert aussahen, und in reizvollem Gegensatz dazu zwei große schwarze Augen, denen ein mehr begeisterter als poetischer Verehrer den kühnen Vergleich gewidmet hatte: „Steuerrats Sabinchen hat ein Paar Augen wie zwei Tassen schwarzer Kaffee!“

Wenn nun im Märchen aber die Schönste und Jüngste auch immer die Beste, Klügste uud Fleißigste ist, so pflegt das in der Wirklichkeit nicht allemal zu stimmen.

Das hübsche Sabinchen – oder Binchen, wie sie allgemein genannt wurde – war gerade ihrer Schönheit wegen von Kindheit an etwas sehr verzogen, für jede Arbeit zu gut und zu fein und zu zierlich angesehen und vom ganzen Hause als Prinzeßchen behandelt worden, das sich von seinen braven gutmütigen und auch gar nicht häßlichen Schwedtern, mit Selbstverständlichkeit bedienen ließ, und für das Mama und Papa Steuerrat einmal auch so was Aehnliches wie einen Prinzen als Eidam erwarteten und erträumten.

Eine von Binchens Schwestern, Klara mit Namen, erfreute sich der besonderen Protektion der Frau Verwalterin. Sie hatte bei ihr einen kleinen Kursus in der feineren und feinsten Kochkunst durchgemacht und sich dabei in hohem Grade anstellig gezeigt: sie kochte Aepfelgelee von Fallobst fast so klar und goldhell wie ihre alte Meisterin selber – und sie war das, was man so im guten Sinne ein resolutes Frauenzimmer nennt, dem man auch zutraut, daß es wohl im fremden Lande deutscher Küche, deutscher Tüchtigkeit und – deutscher Zunge Respekt zu verschaffen wissen werde.

Diese Perle des weiblichen Geschlechts ihrem Neffen zuzuwenden, hatte die Frau Verwalterin in ihrem Sinn beschlossen. Heute, an einem warmen schönen Septemberabend, wollte sie, ganz eigens zu diesem Zwecke, eine kleine Fete geben, zu welcher sie eben nach ihrer appetitlichsten Art, die schneeweiße Latzschürze vorgesteckt, einen rosig glänzenden Krabbensalat zurechtmachte und sonstige verlockende Vorbereitungen traf. –

  1. Diese unverbürgte Ueberlieferung wird durch innere Unwahrscheinlichkeit widerlegt. Was wollte Savonarola sagen? Kein Mann, und wäre er der mächtigste, kann durch Wort oder Federstrich einem Volke die Freiheit geben, das nicht im Mark seiner Knochen diese Freiheit mit sich trägt.
  2. Le vanità. Man schichtete einen mächtigen Scheiterhaufen auf und verbrannte Gemälde, Bronzen, Bücher, Gobelins, Masken und Putzgegenstände, während Mönche und Weltkinder psalmodierend um das Feuer tanzten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_868.jpg&oldid=- (Version vom 25.5.2023)