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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Der Schloßhauptmann eilte barhaupt drüben über den Hof, ließ die Thorflügel aufthun. Wischte er sich nicht über die Augen?

„Was ist geschehen?“ rief der Kanzler.

Der Thorwächter kam bestürzt herüber. „Der Fürst kehrt zurück, aber totkrank. Seine Hochehrwürden sind ins Schloß befohlen.“

Da kam schon ein Lakai. „Der Herr Kanzler soll mit einem Protokollführer und dem großen Siegel drüben auf Seine Durchlaucht warten.“

Ein Kurier jagte davon.

„Er reitet nach Sondershausen. Der Fürst läßt seinen Neffen, den Erbprinzen Günther berufen. Der Herr will sein Haus bestellen.“

Als der Kanzler sich umwandte, war der Kammerherr verschwunden. Drunten stob er wie ein fliehender Nachtgeist mit seinem Gefolge davon vor dem Namen dessen, der die neue Zeit bedeutete. –

„Das war es also, was Sebastian Bach diese Nacht auf seiner Orgelbank gesehen hat,“ sprach leise die Superintendentin. –

Der ernste Gast, der langsam die Marmortreppe des alten Schlosses emporstieg, Stufe für Stufe, Schritt für Schritt, warf mit seiner Knochenhand geplante Haftbefehle, Rachegelüste, den Zorn des auswärtigen Feindes in den Staub.

Nach trüben Tagen, die wie von Trauerflören verhüllt, von Totenglocken durchklagt, vorüberzogen, kam eine bessere Zeit für die Landschaft herauf.


Es war ein paar Jahre später, als Frau Fieke Märten im Eichfeldhof anlangte, das Körbchen mit der großen Schere und den Schnittmustern am Arm.

„Was soll ich der gnädigen Frau schneidern?“ fragte sie. „Ein Hofkleid mit langer Schleppe – oder –“

„Mehlsäcke flicken sollst Du, Fiekchen,“ unterbrach sie Kiliane, die üher ihrem schlichten Hauskleid eine große Schürze trug. „Sie sind zerrissen, und die Ernte wird heuer gut.“

Sie mußte fort; denn das Jungherrlein in seiner hochbeinigen Wiege schrie. Phylax wurde gerufen, um als Spielgefährte zu dienen. Das Buttermädchen kehrte aus der Stadt heim. Sorgfältig verwahrte die junge Frau die Batzen und Pfennige in dem kleinen seidnen Beutel, der einst die Papillote barg.

Erst gegen Abend kam sie zum Plaudern zurück. Und nun strömte Fiekes Rede wie aus einer aufgezogenen Schleuse, während ihre Nadel in der Luft schwebte.

„Die gnädige Frau würde die Stadt nicht wieder erkennen, wenn sie einmal herunter käme. Alles ein Herz und eine Seele. Unser junger Fürst will partout nicht leiden, daß wir wieder von Einquartierung geplagt werden, und weil der Herr Sekretarius Struve eine Schrift verfaßt hat, worin steht, wie es gemacht werden muß, daß der Herzog von Weimar uns nichts mehr hineinredet, so ist er vom Fürsten zum Hofrat ernannt worden. Aber der Herr Hofrat hat auch Tag und Nacht darüber gesessen. Und die Frau ist ganz einverstanden damit. Sie spricht noch immer wie ein Buch und sagte: ,Was verlangt ein bürgerlicher Mann Besseres als Arbeit?‘ Uebrigens das muß man ihr lassen: sie hat die weißeste Wäsche, die knusperigsten Braten, die größte Rute und die artigsten Kinder. Der Herr Superintendent wird jetzt für die Oberkirche gemalt, und die junge Fürstin – eine schöne Dame, ich habe ihr den Schnitt zum neuen Schleppkleid abgeguckt – also sie hat unter seinem Beistand eine Stiftung für arme Pfarrerswitwen gemacht. – Vom Herrn Kantor Bach kam letzthin wieder ein Patenbrief an; alle Jahre kommt ja einer, immer wieder aus einem andern Ort, und hochgeborne und niedriggeborne Gevattersleute werden zusammen gebeten. – Von der Augustenburg hört man nicht viel; der lange Mönch ist fort, wahrscheinlich ins Kloster zurück, der dicke ist noch da. – Gnädige Frau! wenn ich so denke; wie schrecklich alles hätte werden können ohne meinen Märten! Aber er ist auch nach Verdienst belohnt worden. Auf des Herrn Hofrats Struve Fürsprache ist er Nachtwachtmeister geworden, und alle sagen, seitdem würden die Nachtwächter nicht mehr geprügelt. Ich heiße auch Frau Nachtwachtmeisterin.“

„Nun, Frau Nachtwachtmeisterin,“ sagte die Hausfrau mit dem alten schelmischen Lächeln, „lege Sie für jetzt die Säcke beiseite. Die Mehlsuppe muß bald gar sein. Was Sie dem Herrn Nachtwachtmeister mitbringen will, soll Sie sich selbst vor der Heimkehr unter meinen Vorräten aussuchen. Ich will nach meinem Mann auslugen.“

Sie sah von ihrem Giebelfenster hinaus in die Landschaft. Der Wind streifte leise über die roten Bergnelken am Rain hin, die Schafe zogen glockenläutend den Hürden auf den abgeernteten Fluren zu.

Und dort schwankten die letzten Wagen herein. Selbst der alte Schecke mühte sich trotz seiner weißen Augen redlich, sein Gnadenbrot zu verdienen.

Konrad, der zu Pferde folgte, rief noch mit Donnerstimme den Hirten Befehle zu. Dann winkte er ihr schon von weitem mit dem Dreispitz. Nun befehligte er auf dem Hofe, daß es von den altersgrauen Mauern wiederhallte. Und endlich kam er heraufgestapft, zärtlich, hungrig und müde, ganz wie sie sich ihn in ihren Mädchenträumen gedacht hatte.

Sie hatten kein Löffelbiskuit und keinen Malaga, sondern das, was Milchkeller und Räucherkammer hergaben, auf ihrem Herrschaftstisch. Und sie verlangten auch nichts anderes.

Sie wußten, daß sie in arbeits- und entsagungsvollem Leben die Schuld abzutragen hatten, die in thörichter Jugendverblendung auf das Gut gehäuft worden war; unbelastet wollten sie es denen hinterlassen, die nach ihnen kamen. Und auch das war ein Zweck, eines Lebens Wert!



Blätter und Blüten.


Cottascher Musen-Almanach für 1896. Es ist erfreulich, daß der Lyrik, die heutzutage auf dem Büchermarkt etwas beiseite geschoben wird, von einer berühmten Firma eine Stätte bereitet ist, welche, zierlich geschmückt, die großen Namen und auch andere, denen Gesang gegeben, zu einem Stelldichein einladet: wir meinen den alljährlich erscheinenden Cottaschen Musen-Almanach, der sich auch diesmal wieder pünktlich eingefunden hat, ausgestattet mit sechs Kunstbeilagen, einem lieblichen Frauenkopf von G. Max, „Im Schmuck der Rose“, als Titelblatt, zwei Genrebildern „Posttag“ von F. Simm und „Zu Thal“ von F. von Pausinger, einenn Waldidyll von G. Franz, „Waldesfrieden“, dem stilvollen „Im Morgenland“ von C. Kiesel und der „Allegorie“ von A. Pellegrini. Und so mannigfaltig wie die Töne, welche die zeichnende Kunst anschlägt, sind auch diejenigen der Dichtkunst. Der Herausgeber Otto Braun hat es verstanden, Dichter der verschiedensten Richtung, die alle in ihrer Eigenart scharf hervortreten, unter seiner Fahne zu versammeln. Die altberühmten Meister fehlen nicht, aber auch nicht jüngere Kräfte, die ihre Schwingen schon geregt haben oder hier in den Jahrgängen des Musen-Almanachs zum erstenmal regen; freilich, die kraftgeniale jüngstdeutsche Lyrik fehlt; doch diese schafft sich ja ihre eigenen Musen-Almanache. Ueberwiegend ist in diesem Jahrgang das erzählende Element: zunächst Erzählungen in Prosa, „Circe“ von Julius R. Haarhaus, eine italienische Novelle im Stil Paul Heyses von packender Wirkung, und eine in naivem Legendenton gehaltene Künstlergeschichte, „Diaboleia“ von Ricarda Huch. Die Elegie in Distichen von Albert Matthäi ist ein Phantasiestück, welches uns die klassischen Musen auf dem Oelberg zeigt und die Verschmelzung des Heidnischen und Christlichen in ein originelles Sagengewand hüllt. Größere Novellen in Versen sind „Gunnar“ von Paul Heyse, eine formgewandte Nachdichtung der Nielssage, Ernst Ziels „Heimkehr“, ein Bild aus dem See- und Strandleben, eine Art Variante auf Tennysons „Enoch Arden“, „Möwenflug“ von Konrad Telmann, farbenprächtig und phantasievoll, „Gutenbergs Tod“ von Robert Waldmüller in volkstümlich kräftiger Darstellung. Unter den Dichtern kleinerer Balladen begegnen wir Felix Dahn („Die keusche Kara“), Albert Möser („Claudianus“), Ernst Lenbach („Unter uns Künstlern“, ein Gedicht von humoristischer Färbung,) und mehreren jüngeren Poeten; wir erwähnen von diesen „Die Walküre“ von Carl Busse, ein Gedicht von feurigem Schwung, und das stimmungsvolle „Allerseelen am Meer“ von Heinrich Vierordt. Unter den Liedern und vermischten Gedichten findet sich manches Wertvolle; es wird gewiß keiner der Leser einen oder den andern Liebling vermissen. Da rühren die alten Veteranen Hermann Lingg und J. G. Fischer ihre Harfe; da begegnen wir Wilhelm Hertz, Ernst Eckstein, Emil Rittershaus, Julius Rodenberg, Max Kalbeck, Martin Greif, Heinrich Kruse, Adolf Wilbrandt, Adolf Stern, Johannes Proelß, Robert Haaß, Max Härtung u. a. Zur Empfehlung der in dem Band vertretenen Spruchdichtung teilen wir hier zwei Sentenzen von Paul Heyse mit:

„Sei zum Geben stets bereit,
Miß nicht kärglich deine Gaben.
Denk’, in deinem letzten Kleid
Wirst du keine Taschen haben.“


„Nur eins beglückt zu jeder Frist:
Schaffen, wofür man geschaffen ist.“

Auch dieser neueste äußerst geschmackvoll ausgestattete „Musen-Almanach“ sei zu Geschenken an Freunde und Freundinnen der Poesie bestens empfohlen! †      

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_755.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)