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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

aus dem die schäumende nach ihm benannte Sarca sich zu Thal ergießt. Wir können den Bach auf einer einfachen Brücke überschreiten und auf einem neu angelegten Weg einen Rundgang um den See machen. Doch bleiben wir am Westende stehen und warten hier den Sonnenuntergang ab. Wundervoll ist dann der Anblick. Tiefe Schatten haben sich bereits über dem Thalkessel mit dem See gesenkt, aber droben glüht in goldenem Scheine der Abendsonne das rote firnübergossene Dolomitgestein der Brentakette und klar spiegelt sich das feurige Bild in der dunklen Flut des Lago Nambino.

In Anbetracht einer solchen landschaftlichen und wirtlichen Ausstattung dieser Sommerfrische, deren „Saison“ von Anfang Juni bis Anfang Oktober reicht, erscheint es begreiflich, daß dieselbe trotz ihres kurzen Bestehens bereits von Kaisern und Königen wiederholt besucht worden ist. Von diesen Persönlichkeiten haben sich selbstverständlich allerlei Erinnerungszeichen erhalten. Zum Andenken an den Besuch des Kaisers Franz Josef erhielt die höchste Spitze der Brenta-Gruppe ihren Namen. Die Umtaufe wurde erst vor wenigen Wochen vollzogen. Auf dem Weg zur Hochfläche des Spinale gemahnt der „Kaiserin Elisabeth-Platz“ an den Besuch der Landesherrin. Tafeln erzählen von der Anwesenheit des Kaisers und der Kaiserin Friedrich. Die letztere hat auch die früher Cima Groste genannte Marie Valerie-Spitze bestiegen, auf die man schön hinschaut, wenn man vom Lager Karls des Großen gegen Osten blickt. Kaiserin Friedrich hat die Kinder des Herrn Oesterreicher gemalt und ihm die Bildnisse als Andenken geschenkt.

Die eigentliche Hochtouristik hatte merkwürdig lange diese herrliche Gegend gemieden. Zutreffend bemerkt hierüber das Specialwerk über Madonna di Campiglio von M. Kuntze und E.-Pfeiffer, daß, bevor Jul. Payer in den sechziger Jahren das Gebiet des Adamello-Presanella-Stockes durch seine kartographische Anfnahme erschlossen, dieser prächtige Teil Südtirols der Touristik fast so unbekannt war wie das Gebiet des Elborus im Kaukasus. Aber erst seit der Eröffnung der 1879 am Madrongletscher von der Sektion Leipzig des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins errichteten Schutzhütte hat sich der Zuzug der deutschen Alpenwanderer stärker geltend gemacht, von Jahr zu Jahr wachsend, und mit Freuden begrüßen auch sie das Vorhandensein eines so behaglichen Stützpunkts für ihre Alpenfahrten, wie ihn Campiglio bietet. Uebrigens besteht etwas entfernt vom „Grand Hotel des Alpes“ noch ein einfaches Wirtshaus, das Albergo alpino, früher Osteria Palu genannt, und in ersterem genießen die Mitglieder alpiner Vereine Vorzugspreise.

Die gewaltigste Bergansicht, die sich in der Nähe von Campiglio darbietet, ist die von der Fahrstraße im Nambinothal, welche sich etwas oberhalb des Dorfes Sant’ Antonio di Mavignola den erstaunten Blicken auf die firngekrönte Königin der Brentagruppe, die Cima Tosa, öffnet. Diesem höchsten Berg der gewaltigen Dolomitenkette dicht vorgelagert und ihm zugehörig, wie ein Turm zum Dom gehört, ragt die Felsenzinne des Crozzon di Brenta empor, der mit furchtbarer Steilheit in firnbedeckten Felsabsprüngen zur Tiefe fällt. Unser Bild auf S. 656 hält diesen Eindruck fest. Unterhalb der Straße braust und schäumt es empor: die Abflüsse der gewaltigen Gletscher suchen sich hier ihr Bett. Auf dem Monte Spinale, dessen aussichtsreiches Plateau von Campiglio aus in einer guten Stunde erreicht wird, läßt sich die Brentagruppe in . ihrem Aufbau prächtig übersehen. Da zeigt sich dem Auge, daß die Cima Tosa den roten Felsturm des Crozzon di Brenta wirklich überragt. Unser Bild von dieser Ansicht (S. 652 und 653) läßt auch deutlich den Zusammenhang der Cima Tosa mit der ihr zur Linken vorgelagerten Cima di Brenta erkennen. Zwischen ihnen klafft ein tiefer Spalt, die Bocca di Brenta, der als Uebergang zum Molvenosee hinüber von rüstigen Bergsteigern benutzt wird. Mut bedarf es hierzu nicht, aber fester Sohlen und ausdauernder Beine. Gewaltig und rauh ist ihm zu Seiten die Landschaft, in wilder Zerklüftung ragt das Kalkgestein, Schotterhaufen setzen sich bis in den Schnee hinein fort, Eiswülste ragen in die Wolken oder sperren hier und dort Wannenthäler ab.

Drüben erscheint in unbeschreiblicher Farbe der See von Nembia. Da einst Scheffel als einer der ersten deutschen Neuentdecker in diese Gegend kam, löste sich der Eindruck seiner düsteren Einsamkeit in einem humoristischen Lied auf, das sich in seinen Reisebildern aus den Tridentinischen Alpen findet:

„O, zürne nicht, See von Nembia,
Im felsstarr schweigenden Thale,
Daß ein Mensch dich zu besuchen kam
Auf rotgrauem Animale.

Ich kenne dich, See von Nembia,
Ich lese aus deinen Zügen;
In ungekannter Schöne willst
Du nur dir selber genügen!

Fahr’ wohl denn, See von Nembia,
Und mög’ dich der Himmel bewahren
Vor allen Töchtern Albions
Und nordischen Referendaren!“

Versetzen wir uns nun wieder nach Campiglio, so haben wir die erwähnte Hochfläche des Spinale als nächsten Spaziergang. Schön blickt man von dort gegen Nordwesten in das Thal der Seen, von welchen der Nambino- und der um fünfhundert Meter höher gelegene Serodolisee die schönsten sind. Die großartige Bergaussicht zu beschreiben wäre ein vergebliches Unterfangen. Behagliche Schlenderer werden von Rastbänken, deren nächste Umgebung die Namen hervorragender Persönlichkeiten führt, eingeladen. Große Blumenpracht entfaltet sich hier und rings umher blinken durch die Fichtenwipfel blauschimmernde Eishänge. Harzduft und Quellenhauch erzeugen in diesem Alpengarten eine Luft, die belebend wirkt wie keine Arznei. Es begreift sich demnach, wie in der Gegend sowohl als unter Fremden die Ueberlieferung sich festgesetzt hat, daß ein Aufenthalt auf diesen Höhen die Frauen verjünge.

Nadelwald umgiebt allenthalben die Fläche des Spinale. Als vor einigen Jahren eine Gesellschaft von Herren und Damen sich auf ihr erging, nahm ein Amateurphotograph die wanderfrohe Gruppe auf. Am nächsten Tage wurden die Abdrücke unter die Genossen verteilt. Nicht gering war ihr Erstaunen, als sie wahrnahmen, daß, ungesehen von ihnen, ein Bär hinter dem Waldsaum her kostenfrei sich hatte mit abkonterfeien lassen.

Meister Petz ist allerdings ein nicht seltenes Wild in diesem Hochgebirge, in das er über die lombardischen Eisfelder herüberkommt – und häufiger als die Gemse. Es halten sich unter den eleganten Sportsmen, die Campiglio besuchen, auch immer einige aristokratische Bärenjäger auf, und der Wirt seiner Gaststätten hat mehrere dieser Tiere, die in dem Hochthal erlegt wurden, als Thürhüter und dergleichen ausgestopft, wirksam aufgestellt. Ob der mitphotographierte Bär in der That noch Herr seiner Bewegungen gewesen war, oder ob er der Sippe dieser Thürhüter angehört hatte, scheint noch unklar. Ich möchte letzteres annehmen. Die Spaziergänger von Campiglio sind wenigstens noch von keinem wirklichen Bären behelligt worden.


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Eildampfer der Zukunft.

Marinetechnische Skizze von W. Berdrow.
( gemeinfrei ab 2025)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_658.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)