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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

einer Zeit, da man über das Wesen und die Ursache der Verbrennung überhaupt eine ganz falsche Vorstellung hatte. Was bei einer Verbrennung überhaupt vorgeht, ist ja erst vor etwas mehr als hundert Jahren durch Lavoisier ermittelt worden. Vor der Begründung der chemischen Wissenschaft tappte man in den Versuchen, die Feuererscheinungen zu erklären, völlig im Dunkeln und so läßt es sich erklären, daß die Lehre von der Selbstverbrennung des menschlichen Körpers von Gerichtsärzten anstandslos angenommen wurde. Nachdem sie nun einmal vom Katheder verkündigt und in Lehrbücher aufgenommen worden war, bildete sie für das jüngere Geschlecht eine Art Dogma und ließ sich nur schwer ausrotten.

Da man an die Möglichkeit des Vorgangs glaubte, so konnte man ihn auch „wissenschaftlich“ erklären und begründen. Durch die gewöhnliche Flamme und Hitze wird der menschliche Körper gar nicht so leicht zerstört, das wußte man damals ebensogut wie heute; bei der Selbstverbrennung mußten also andere Verhältnisse vorliegen, entweder war der Körper anders beschaffen oder die Flamme eine andere. Man lehrte also, daß der Leib der Säufer mit Spiritus derart versetzt werde, daß er mit Leichtigkeit sich anzünden lasse; man nahm an, daß durch gewisse noch unbekannte krankhafte Zustände die Säfte des Körpers in leicht oder gar selbstentzündliche Verbindungen verwandelt werden können, und was die besondere Art von Feuer anbelangt, so nahm man seine Zuflucht zu der wunderbaren, rätselhaften Elektricität, die ja die eigenartigsten Licht- und Wärmeerscheinungen erzeugt. Die Führer der fortschreitenden Naturwissenschaft mußte ein Grauen erfassen, als sie den Wust phantastischer Annahme lasen, der mitunter sogar vom Lehrstuhl einer Universität herab verteidigt wurde, und so zog sechzig Jahre nach Lavoisiers Tode der Reformator der Chemie, Justus Liebig, in einer besonderen Schrift gegen die Lehre von der sogenannten Selbstverbrennung des menschlichen Körpers zu Felde, bewies klar die Unhaltbarkeit derselben und kennzeichnete sie als ein albernes Märchen. Die älteren Anhänger dieser Lehre vermochte er allerdings nicht zu überzeugen, und in der Schrift, die gelegentlich des Prozesses gegen den Grafen von Görlitz entstanden war, erwiderte Medizinaldirektor Dr. Graff, indem er den berühmten als Arzt und Chemiker überall geachteten Orfila citierte: „Der menschliche Körper kann verbrennen, einige seiner Teile können in Asche verwandelt werden, durch eine Ursache, die nicht leicht zu erkennen ist und die man bis jetzt einem eigentümlichen Zustande des Organismus zuzuschreiben hat. Diese mit dem Namen Selbstverbrennung bezeichnete Erscheinung muß trotz ihrer Unerklärbarkeit angenommen werden.“ Dieser Ausspruch wurde in dem „Handbuch der gerichtlichen Medicin“ Orfilas im Jahre 1849 (!) gedruckt, und indem Dr. Graff noch eine Anzahl anderer Autoritäten anführte, schloß er seine Erwiderung mit den Worten: „und wenn ich darum die historisch bis jetzt gebotenen höchst seltenen Thatsachen in fraglicher Beziehung nicht zu verwerfen vermag, so sehe ich mich wenigstens immer noch in sehr guter und achtbarer Gesellschaft.“ Erst langsam verschaffte sich die gesunde Anschauung Liebigs unbestrittene Geltung; denn der berühmte Gerichtsarzt Johann Ludwig Casper schrieb noch in der vierten Auflage seines „Praktischen Handbuchs der gerichtlichen Medizin“: „Es ist betrübend, daß in einem ernsten wissenschaftlichen Werke im Jahre 1864 noch von der Fabel der Selbstverbrennung die Rede sein muß, die niemand je gesehen, niemand beobachtet hat, deren angeblich beweisende Thatsachen sämtlich auf Aussagen von ganz unglaubwürdigen Laien, auf Weitererzählungen, zum Teil auf Zeitungsgeschichtchen beruhen und die allen bekannten physikalischen Gesetzen Hohn sprechen.“ In der That lassen sich die bekannt gewordenen Fälle von Selbstverbrennung viel einfacher und natürlicher durch zufällige Unglücksfälle und fein gesponnene Schandthaten erklären.

Es müssen aber doch einige merkwürdige und wahre Thatsachen im Laufe der Zeit bekannt geworden sein, die wenigstens scheinbar zu der Annahme berechtigten, daß der animalische Körper brennbare Stoffe entwickeln könne. Liebig erwähnt solche wirklich verbürgten Beobachtungen. Da hat z. B. ein Metzger in Neuburg einen Ochsen gehabt, der krank und sehr angeschwollen war, er tötete und öffnete ihn und es strömte aus dem Bauch eine brennbare Luft, die sich anzünden ließ und mit einer fünf Fuß hohen Flamme brannte. Dieselbe Erscheinung beobachtete Morton an einem toten Schweine und Ruysch und Bailly an menschlichen Leichnamen, welche durch Luftentwicklung ganz ungewöhnlich angeschwollen waren. Auf diese Thatsachen gestützt, nahmen die Verteidiger der Selbstverbrennung an, daß sich in dem Körper des Menschen durch Krankheit ein Zustand erzeugen könne, in welchem er ein brennbares Gas entwickle, das sich im Zellgewebe ansammle und, durch eine äußere Ursache oder einen elektrischen Funken entzündet, die Verbrennung desselben bewirke. Liebig erklärte nun auf Grund seiner Erfahrungen, daß solche Gase im tierischen und menschlichen Körper nur nach dem Tode desselben als Folge der Zersetzung sich bilden könnten. „Was erzählt wird von Flammen, die aus dem Halse Betrunkener herausschlagen, ist alles völlig unwahr,“ meint er, „niemand hat dergleichen Flammen je gesehen, immer hat es der Erzähler gehört.“

Hierin hat nun Liebig nicht völlig recht gehabt, denn es können sich nach unseren heutigen Erfahrungen auch im lebenden kranken Körper brennbare Gase bilden. Wiederholt wurde diese seltene Erscheinung bei Magenkranken beobachtet, man hat diese Gase, die durch Zersetzungen im kranken Magen entstehen, chemisch untersucht und gefunden, daß sie aus Kohlenwasserstoffen, zumeist aus Gruben- oder Sumpfgas bestehen. Ein solcher Kranker leidet auch an Aufstoßen und so konnte es denn geschehen, daß, wenn er z. B. seine Cigarre oder Pfeife anzünden wollte und mit dem brennenden Zündholz dem Munde nahe kam, die Gase sich entzündeten; dann gab es eine schwache Explosion und vor dem Munde des Kranken wurde eine Flamme sichtbar. Diese Thatsache ist unbestreitbar; diese Entzündungen brennbarer Gase sind jedoch äußerst schwach, dauern nur einen Augenblick und vermögen kaum eine leichte Rötung der Haut, geschweige denn eine Verbrennung oder Verkohlung derselben zu verursachen. Im Volke, das die gelehrten Abhandlungen gar nicht kennt, sind in vielen Gegenden Erzählungen über Kranke, denen Flammen aus dem Munde herausschlugen, verbreitet. Zweifellos haben sie ihren Ursprung in der sehr selten vorkommenden Bildung von Grubengasen im kranken Magen. Auf diese Kleinigkeit schrumpft, im Lichte der heutigen Wissenschaft betrachtet, die einst so „geist- und sinnreich“ begründete Lehre von der Selbstverbrennung des menschlichen Körpers zusammen.

Was nun die „menschliche Elektricität“ anbelangt, so weiß heute jedermann, daß unter gewissen Umständen aus dem menschlichen Körper elektrische Funken springen können; vielfach sind ja diese Erscheinungen während der Gewitter, namentlich auf hohen Bergen, wie z. B. auf den meteorologischen Hochwarten, beobachtet worden. Sehr oft wandeln dort die Meteorologen und auf Besuch heraufgestiegene Touristen mit einem „Heiligenschein“ um das Haupt umher, aber keiner von ihnen ist versengt, geschweige denn verbrannt worden.

Die Selbstverbrennung des Menschen, sei es durch Bildung brennbarer Gase oder durch die Wunderkraft Elektricität, ist sicher ein Märchen; die neueste Wissenschaft hat aber inzwischen gezeigt, daß unter Umständen die Lebensprozesse derart gesteigert, derart heiß werden können, daß sie Selbstentzündung verursachen. Mit der Betrachtung dieser merkwürdigen Erscheinungen wollen wir unsere Mitteilungen schließen.

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Gärtner und Landwirte wissen wohl, daß Gährung und Zersetzung Wärme erzeugen; um in der kalten Jahreszeit den Boden zu erwärmen und früheres Wachstum der Pflanzen zu veranlassen, bereiten sie Mistbeeterde; sie wissen auch, daß der festgestampfte Mist bei ruhigem windstillen Wetter sich derart zu erhitzen vermag, daß aus ihm Rauch und Flammen hervorschlagen. Daß frisch gemähtes Gras sich gleichfalls erwärmt, weiß jedes Bauernkind, und im erhitzten Heu nimmt der Tiroler im Herbste sein „Heubad“, in dem er tüchtig schwitzt. Kein Landmann zweifelt daran, daß Heu, wenn es feucht eingefahren wurde, sich von selbst entzünden kann, und er wunderte sich wohl, als die hohen Gerichtshöfe noch vor dreißig Jahren Sachverständige vernehmen ließen, ob dies denn überhaupt möglich sei.

Da steht ein großer Heuschober und verbreitet den aromatischen süßlichen Duft; er steht schon einen Monat da und wird sich wohl über den Winter halten. Eines Tages aber bemerken wir an ihm nicht mehr den schönen Heuduft, sondern einen unangenehm brenzligen Geruch. Sehen wir zu, was in ihm vorgeht. Außen ist das Heu wohl erhalten, von grünlich gelber Farbe; nehmen wir aber die obersten Lagen weg, so stoßen wir auf bräunlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_622.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)