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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„Du bist gar nicht hübsch heute, Marenz! Und nicht einmal ein Tuch trägst Du?“

„Ich hab ja kein!“ sagte ae etwas wehmütig. „Kuck mal, was die Menschen verschieden sind! Du willst, daß der liebe Gott den Frost beibehält, und ich hab ihm gebeten, daß er Tauwetter schickt. Weil daß mir bei Frost furchbar frieren thut und ich auch noch ganzen geswollene Fingers kriege!“

„Bitte ihn doch, daß Du ein wollenes Tuch bekommst!“ riet ich und sie lachte etwas zweifelnd.

„Das thut er nich – nee, das thut er nich! Mein Ohlsch, die Oltensch, sagt das auch. For mir thut uns’ Herrgott nix, weil daß ich mein Geld forn sündiges Ballkleid ausgegeben hab. Frau Olten sagt, sie hätt mich vielleich ein Tuch zu Weihnachen geschenkt, wenn ich nich so fors Tanzen gewesen wär! Nu hat sie das sein lassen, denn Hoffart muß Pein leiden, sagt sie! Nu, da hab ich natürlichenweise den lieben Gott nich um ein Tuch bitten mögen, weil ich ja einsah, daß ich nix taug. Bloß um Tauwetter. Das hab ich gethan.“

„Hast Du schon einmal wieder getanzt?“ fragte ich und Marenz schüttelte den Kopf.

„Nee! Den zweiten Weihnachstag wollt Hannes Bergmann mir mit haben, abers ich kriegte kein Erlaubnis. Is auch einerlei – aus Hannes mach ich mich nich viel und so fein wie dazumal kann es doch nich wieder werden! O – und was tanzte er fein Galopp!“

Sie war samt ihrem Wagen im Sprühregen verschwunden und ich watete durch den tiefsten Schnee nach Hause, um dort den Brüdern zu sagen, daß das Tauwetter auch sein Gutes haben könnte. Aber sie rieten mir, den Mund zu halten, wenn ich es nicht mit ihnen verderben wollte.

(Fortsetzung folgt.)


Blätter und Blüten.


Ein wichtiger Erinnerungstag für die Stadt Braunschweig war der 6. August dieses Jahres. An diesem Tage vor 700 Jahren starb daselbst Heinrich der Löwe, der eigentliche Gründer der Stadt. Der leidenschaftliche Kämpe für die Vorherrschaft des Welfenhauses in Deutschland war es, der die zusammenhanglose Siedelung an der Oker „Brunesvik“, d. h. Brunos Weiler, zu einer befestigten Stadt erhob.

Das Standbild Heinrichs des Löwen im Dom zu Braunschweig.

In der Pfalz zu Braunschweig, die er selbst in der Zeit von 1150 bis 1160 an Stelle der Burg Dankwarderode erbauen ließ, war des Herzogs liebster Aufenthalt, wenn er sich nicht auf einem seiner zahlreichen Heerzüge befand. Der herrliche alte Dom zu Braunschweig ist, wie andere Kirchen und Kapellen der Stadt, seine Stiftung. 1172, nach seiner Rückkehr aus dem gelobten Lande, legte er den Grund zu ihm und kurz vor seinem Tode – 1192 – war er vollendet. Im Mittelschiff des Domes hatte er das Grabdenkmal errichten lassen, das noch heute eine Hauptsehenswürdigkeit Braunschweigs bildet und unter welchem er neben seiner Gemahlin Mechtildis die ewige Ruhe fand. Die lebensgroße, liegende Sandsteinfigur, auf dem Grabgewölbe, welches ihn darstellt, in einer Hand das Modell des Doms haltend, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach aus etwas späterer Zeit. Aelter der Entstehung nach, aber wie jene in romanischem Stil ausgeführt, ist das Standbild aus Sandstein und Alabaster, das sich auch in dem Dome und zwar auf dem Chore befindet und den schlachtenfrohen Sachsenherzog mit gezücktem Schwert in der Hand darstellt. Die Abbildung, welche wir von diesem Standbild nebenstehend unsern Lesern bieten, ist nach einer neuerdings gemachten Aufnahme des Hofkunsthändlers George Behrens in Braunschweig angefertigt.

Eine Beratung. (Zu dem Bilde S. 597.) Wer je das vielgelesene Buch „Memoiren von Marie Bashkirtseff“ in Händen hatte, der wird mit besonderem Anteil die beifolgende Gruppe kleiner beratschlagender Straßenjungen betrachten. Ist es doch eines jener Bilder, um welche sich die glühende junge Menschenseele abrang, im heißen Streben nach Realismus, nach packender Wahrheit, nach Ueberflügelung aller mitstrebenden Künstlerinnen. Alle diese Ziele standen schon der sechzehnjährigen vornehmen und reichen Russin fest vor Augen, ihre in jenem Alter begonnenen Tagebücher sind ein einziger großer Schrei nach Ruhm, nach unzweifelhaftem Erfolg, und im fieberhaften Arbeiten hat sich in Zeit von kurzen acht Jahren das hochbegabte, seltsame Mädchen aufgerieben. Der heißersehnte Ruhm ist ihr geworden, aber nicht durch ihre Bilder, welche, hübsch und lebendig aufgefaßt, sich doch nicht von denen vieler anderer der modernen Richtung unterscheiden, sondern durch die oben erwähnten Memoiren. Dort wird mit fester Hand und rücksichtsloser Offenheit das höchst merkwürdige Charakterbild einer genialen leidenschaftlichen Künstlernatur gezeichnet, die zugleich alle Schwächen eines eitlen gefallsüchtigen Weltkindes hat und dieselben mit einer erstaunlichen Genauigkeit darlegt. Nach Mariens frühem Tode wurden diese Tagebücher durch ihre darin oft hart genug mitgenomenene Mutter veröffentlicht, und heute ist der dort so oft und glühend ausgesprochene Wunsch erfüllt: Marie Bashkirtseff ist eine europäische Berühmtheit geworden, deren wenige Bilder von Ausstellung zu Ausstellung wandern. Sie sind für eine Anfängerin sehr bemerkenswert, wer weiß, ob nicht bei längerem Leben ihre Sehnsucht nach bedeutendem Künstlerruhm sich voll erfüllt hätte! 0Bn.     

Ein Skat in der Gartenlaube. (Zu dem Bilde. S. 600 und 601.) Eiee herrlicher Sonntagnachmittag hat die ganze Familie in den Garten gelockt. Und der ständige unterhaltsame Sonntagsgast, welcher zur Species der „Vettern“ gehört, hat sich gern angeschlossen. Nach kurzem Gang über die kiesbestreuten Wege umfängt sie wohlthätig die schattige Laube. „Hier müßte es sich brillant Skat spielen lassen,“ äußert der „Vetter“, ein leidenschaftlicher Skatspieler, halb für sich, halb zu seiner liebreizenden Nachbarin gewandt. Diese ist nicht so träumerisch veranlagt und so anspruchslos wie ihre Schwestern, nicht so belesen wie der Bruder, dafür aber von praktischer Lebensauffassung und Schlagfertigkeit. „Wir spieleee mit,“ stimmt sie belustigt bei, ohne die Sache ernst zu nehmen, „nicht wahr, Mutter, Du auch?“ „Natürlich!“ giebt diese beruhigend zurück. Aber siehe da – zu Aller Ueberraschung zieht der spiellustige „Vetter“ ein vollzähliges Spiel Karten aus der Tasche! Schnell wird der Skattisch hergerichtet, die nötigen Zahlmarken – denn um Geld zu spielen, erlaubt die Hausordnung nicht – werden herbeigeholt und das Spiel beginnt wirklich. Wie es verläuft? Nun, man braucht keine Lenormand zu sein, um das Kommende vorauszusehen. „Schön Bäschen“, das eben „Grand“ ansagt und neben dem Coeurbuben auch die anderen drei in der Karte hat, muß das Spiel ja – so wollen wir zu ihrer Ehre annehmen – gewinnen. Aber der „Vetter“ wird dabei auch nicht verlieren, er wird die kleine weiße Hand seiner Gegnerin, die so siegesgewiß den Kartenfächer zwischen sich und ihn hinhält, schließlich doch gefangen nehmen und fürs ganze Leben festhalten. Und die Eltern, die schon jetzt so vergnüglichen Anteil an dem Spiele nehmen, werden, wenn es erst Ernst zwischen den beiden da werden wird, gewiß nicht mit unfreundlichem Auge dreinschauen, sondern mit Freuden ihr Jawort geben. M. H – g.      

Sevillaner Stickerinnen. (Zu dem Bilde S. 605.) „Wer Sevilla nicht gesehen, hat ein Wunder nicht gesehen,“ sagt ein altes spanisches Sprichwort, und wenn dies auch nur für den Spanier, der so wenig von der Außenwelt kennt, seinem ganzen Inhalt nach als richtig gelten kann, so ist es doch nicht zweifelhaft, daß auch kein Ausländer, der sich noch Empfänglichkeit sür den Reiz eigenartiger landschaftlicher und kultureller Eindrücke bewahrt hat, sich dem Zauber entziehen kann, den Sevilla ausübt. Es bietet jedem etwas, das ihn anziehen muß. Der Geschichtskenner sieht sich überall an die große Rolle erinnert, die Sevilla im Laufe des zweitausendjährigen historischen Lebens von Spanien gespielt hat. Der strenge Gläubige, ob er Katholik oder Protestant sei, kann sich dem gewaltigen Eindruck nicht verschließen, welchen die Kathedrale auf jeden Besucher machen muß. Der Naturfreund, der Maler, der Musiker, der Dichter, der Tourist finden die größte Anregung. Wer aber könnte vollends unempfindlich bleiben bei dem Anblick der eingebornen Sevillanerinnen? Spanien ist reich an schönen Frauen und die Eigenart des Landes sowie die ungewöhnlich starke Völkermischung haben dazu beigetragen, eine außerordentliche Fülle verschiedenartiger Typen zu schaffen, die zum Teil sehr bedeutend voneinander abweichen.

Die junge Sevillanerin wird von vielen als die erste Vertreterin spanischer Frauenschönheit betrachtet; jedenfalls vereinigt sie in sich viele der Reize, die man bei den Frauen anderer Provinzen nur vereinzelt vorfindet. Das Feuer der dunkeln Augen, der Ausdruck der überwiegend ernsten Gesichtszüge, die zierlichen Gestalten, die kleinen Hände, die natürliche Anmut der gemessenen Bewegungen bilden die Faktoren der Anziehungskraft der Sevillanerin. Sie bedarf keiner künstlichen Mittel, keiner kostbaren Stoffe und Schmucksachen, um ihre Reize zu heben. Eine Rose, eine Nelke, einige Tuberosen oder andere Blumen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_611.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2023)