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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Morgen geträumt, die von Wein und Freude durchglühten Wangen, die herzlich strahlenden Augen, nickte er ihm zu und fing an:

Und so sing’ ich denn Amen,
Mein herzlieber Sohn!
Vor’m mündlich’n Examen
Entließ man Dich schon.
Hast’s ihnen schriftlich gegeben,
Und das war genug,
Daß Du reif bist fürs Leben
Und weltprüfungsklug.

Zieh’ hin! Deine achtzehn
Schnurrbärtigen Jahr’
Nicht länger bewacht sehn,
Was hat’s für Gefahr?
Bist zur Freiheit erzogen,
Für eigenen Sinn;
Flieg’ hoch und verwogen
Ins Leben dahin!

Doch auf Ja und auf Amen
Sollst doch vor dem Gehn
Dein mündlich’s Examen
Vor mir noch bestehn.
Wie wirst Du’s nun halten
Ohne Vaters Hut
Mit des Lebens Gewalten,
Jung hitziges Blut?

„O es lacht mir das Leben,
Das Herz in mir lacht;
Drum wird wohl noch eben
Manche Dummheit gemacht.
Doch nicht schlecht werd’ ich werden,
Denn die Liebe mich hält
Zu den Brüdern auf Erden,
Zum Vater der Welt.“

Und so weiß ich’s, so kenn’ ich’s,
Dein lauteres Blut;
Dein Glühen – wie nenn’ ich’s? –
In heiliger Glut.
Doch wie wirst Du’s nun halten,
Du, so weltbrüderweich,
Mit der Heimat, der alten,
Und denn jungdeutschen Reich?

„Alle Menschen zu lieben
In opfernder Lust,
Hast nicht Du mir’s geschrieben
In die sehnende Brust?
Doch soll Gott mich verderben,
Verlier’ ich mein Pfand:
Zu leben, zu sterben
Für mein Volk und mein Land!“

Dich wird Gott nicht verderben,
Wie Dein Aug’ mich anblickt;
Noch der Teufel Dich werben,
Der die Deutschen berückt.
Doch wie wirst Du’s nun halten,
Das sag’ mir zuletzt,
Mit mir, Deinem „Alten“,
Der Dein Stab war bis jetzt?

„O Vater! Du weißt es!
Was fragst noch so viel?
Uns beide, uns reißt es
Zum nämlichen Ziel:
Der Junge, der Alte
Als Bruder und Freund
Bis ans Ende, das kalte,
Untrennbar vereint!“

Untrennbar! Das gebe,
Der die Welt hat erbaut;
Und die Erde erlebe,
Was sie nie noch geschaut!
Es wachs’ uns’re Liebe
Gen Himmel so hehr:
Ob Wahl oder Triebe?
Man weiß es nicht mehr.

Zieh’ denn hin! Kannst Dich weisen
Getrost allerwärts:
Die Muskeln von Eisen,
Doch liebreich das Herz;
Die Welt schmeckst Du gerne,
Jung jauchzt Dein Humor,
Doch es zieht an die Sterne
Dein Gott Dich empor!


Nachschrift.
Albert Volkmar an seine lieben Kinder
Rudolf und Toni.

Sechs Jahre sind dahin und ein viertel, seit wir diese Geschichte erlebten, die ich hier erzählt habe. Es ist gut gegangen, Rudolf! Es ist so gekommen, wie wir beide hofften: zwei Jahre wohl viel getrennt – und auch viel beisammen – dann miteinander in „unserm Haus“, in der Isarstadt. Zwei Studenten in verschiedenen Semestern: denn man studiert ja nicht aus. Vater und Sohn, Bruder und Freund!

Aber immer lag etwas wie eine ungezahlte Schuld auf mir: immer hatte ich der guten Toni noch nicht aufgeklärt, warum Rudolf damals schrie! – „An ihrem Hochzeitsmorgen“ sollte sie’s erfahren. Ja, wer hätte damals gedacht, meine liebe Toni, daß Du wirklich heiraten würdest, Deiner Widerrede zum Trotz; und daß Du gerade Den heiraten würdest, den „Laban“, den „dummen Bengel“ – jetzt Doktor der Philosophie, Weltverbesserer. Der Hochzeitsmorgen ist da; Helene Ammann als Brautjungfer; – doch die Eingeweihten versichern, sie wird bald selber so was brauchen. Sie lächelt zuweilen überirdisch reizend; die Eingeweihten versichern, das ist nichts als Glück. Nun, man wird ja sehn!

Ihr, meine beiden Geliebten, ein Paar! – Geahnt hab’ ich’s nicht, dazu war ich zu dumm; aber manchmal heimlich wünschend geträumt. Wie weit, wie weit wuchst ihr auseinander, als eure Knospen sprangen; und nun wiegen sich eure Kelche so nah’, so innig zusammengerückt, wie auf einem Stamm. Wunderlich, meine Teuren, ist es zugegangen: in Liebe wart ihr damals schon – aber beide für Thea, die nun verschollene „Himmlische“; die stand gleichsam zwischen euch, ihr liebtet sie von rechts und von links. Dann verdunstete dieses Irrlicht; zwischen euch war nichts mehr. Da fandet ihr am Ende euch!

Am Ende, sag’ ich; als die Zeit erfüllet war. Als Rudolfs Bart und Weltanschauung ungefähr die gleiche Fülle angenommen hatten; als aus den Fledermausflügeln des reizenden Kobolds Toni die schönen Engelsfittiche – – Nein! Ein Engel wird die nicht. Immer schneidig, Toni! – Aber ein holder, tapferer, sonniger, Heiterkeit und Liebe ausstrahlender Mensch!

Und ich mit euch – da ihr’s wollt – euer Vater und Freund! – Gar, gar viel Glück. Ich schüttle manchmal den Kopf vor Glück.

Und um der Toni Wort zu halten, hab’ ich gleich diese ganze Geschichte geschrieben; Rudolfs Schrei und alles; heut am Hochzeitsmorgen zu überreichen – mein eigentliches Hochzeitsgeschenk. Rechtzeitig vollendet; nicht Rumpfstück, Torso, wie das große Drama mit der ‚dunklen Schönen‘, der ‚glutvollen‘ Zigeunerin. Verzeiht mir, Schiller und Goethe, wenn ich etwa dies und das ein wenig ausgeschmückt habe, mit des Dichters Vorwitz. Der Cherub oder Seraph, der euch damals zusah, er wird doch wohl sagen, wenn er die Geschichte liest: ja, ja, ich erkenne sie, das sind meine Backfische!

Mög’ euch Neuvermählten das Büchlein von Vater und Sohn, dieses Stück von eurem Leben, ein Haus- und Gedenkbuch sein; und dereinst – – nun ja, euren Kindeskindern!


Als Deutsche in Paris.

Erinnerungen aus dem Kriegsjahr.
Von Clara Biller.
(Fortsetzung.)


Der behagliche Zustand christlicher Feindesliebe unter den Bewohnern der französischen Kapitale hielt indes nicht lange vor. Erst zeitweilig, später immer häufiger wurde auch ich von der gereizten Stimmung beherrscht, die seit der Kriegserklärung sich der Deutschen wie Franzosen bemächtigte, sobald sie zusammenkamen. Es war, als ob unser Augenwinkel plötzlich verrückt wäre und wir – Franzosen wie Deutsche – alles verändert sähen. Früher, da war kein Zweifel, daß es hüben wie drüben ehrliche Arbeit, gute Freunde und getreue Nachbarn gäbe. Jetzt hatten die Diplomaten drauf geblasen und alles war verwandelt. Nun bestimmte der Geburtsschein, was man gut oder schlecht finden durfte. Und wenn ich mir auch vorsagte: Die Menschen sind noch ganz dieselben wie vor der Kriegserklärung, nur anders beleuchtet! – es half nichts, der Krieg hatte das ruhige Denken auf beiden Seiten lahmgelegt. Kam ich mit den alten französischen Bekannten zusammen, gleich pochte mir das Herz vor lauter Nationalgefühl, und in jedem Wort witterte ich eine Beleidigung des Vaterlandes. Selbstverständlich hatte ich Deutschland stets allen andern Ländern vorgezogen; aber daß ich Frankreich einmal hassen – wirklich hassen würde aus Patriotismus, nie hätte ich das von mir erwartet. Und doch ist es eine Zeit lang so weit gekommen. –

Unsere Hausmannsleute, die Cartiers, schätzte ich nach mehrjähriger Bekanntschaft. Die Frau, eine hübsche Lothringerin, deren deutscher Accent und ehrliche blaue Augen die Abstammung verrieten, prahlte mitunter, daß sie alle „deutschen Barbaren“ vergiften könnte. Aber auf so grausamen Patriotismus war nicht zu rechnen. Ich traf sie den Tag nach meiner Rückkehr, wie sie einen alten deutschen Arbeiter, der per Schub ins Vaterland befördert werden sollte, vorher noch mit einer kräftigen Mahlzeit stärkte. Ihrem Mann wird sie das kaum erzählt haben, der war vom Kriegsfieber stärker gepackt. Er hatte unter Mac Mahon den Feldzug in Afrika mitgemacht und konnte später dessen Niederlagen nicht verwinden. Sobald er mich über den Hof kommen sah, wandte er sich ab, als hätte ich sie verschuldet. In seiner „Loge“ hing die Kriegskarte. Frau Cartier erzählte mir, jeder ausrückende Soldat erhielte sie zur Orientierung. Kaum denkbar! Ich sah sie später auch in ein paar Buchläden. Sie umfaßte Deutschland von der Rheingrenze ab; eine kleine Specialkarte Berlins befand sich an der unteren Ecke links.

Paris kam mir nach beinahe zweijährigem Aufenthalt in Spanien recht vornehm, schön und liebenswürdig vor, als ich es zum erstenmal wieder nach dem Bois de Boulogne zu durchwanderte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_554.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2022)