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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Joachim verläßt jetzt rasch die Stube und schreitet die Treppen empor. Es ist so spukhaft still in dem fast dunklen Treppenhause und dem Korridor. Ihm ist zu Mute, als ob er plötzlich ein alter Mann geworden, als ob ein Jammer auf seinen Schultern hocke, der ihn fast bis zu Boden drückt.

Ditschas Zimmer sind unverschlossen, die Fenster stehen weit geöffnet, hin und wieder zuckt ein Wetterleuchten herein. Ein paar Kerzen flackern auf dem Tisch, um die ein Schwarm Mücken seinen Todesreigen tanzt. – Die Thür zur Schlafstube ist weit geöffnet; auch dort innen matter Kerzenschimmer.

Joachim findet plötzlich nicht den Mut, über diese Schwelle zu treten; er lehnt sich, wie kraftlos, an den Rahmen der Thür. Wie still, wie furchtbar still ist da drüben das Lager, die regungslose schlummernde Gestalt, mit den gekreuzten Händen auf der Brust! Mit dem weißen Antlitz, dem das flackernde Licht der Kerzen Leben zu verleihen scheint. Dazu ein schwerer Duft von welkenden Rosen, die massenhaft auf der Decke liegen, die sie verhüllt.

Es packt ihn ein wahnsinniger Schmerz.

„Ditscha!“ schreit er jammernd auf und stürzt vor, nur neben dem Lager niederzusinken, „Ditscha, vergieb mir – so hatte ich es nicht gemeint!“ und er bricht in ein erschütterndes Schluchzen aus.

Auf der andern Seite des Bettes, der stille Mann kann nicht weinen. Er sitzt da, schon seitdem sie die Augen geschlossen und ihre Hand in der seinen erkaltet ist. Er hat ihr Haupt gebettet und ihr die Lider zugedrückt – er weiß, wie sehr sie ihn geliebt hat – – –.

Alles, alles hat sie ihm erzählt, ihr ganzes Leben, ihr Ringen nach Liebe, ihren Irrtum, ihr Glück durch ihn, ihren Schmerz um ihn – und das Letzte, das Schwerste, den Verlust von Joachims Liebe, dem sie ihr ganzes Leben gab. – –

Er hat sie trösten wollen, hat von einer Zukunft gesprochen, die alles noch gut machen werde –

„Nein, nein – ich bin – habe keine Kraft mehr, glücklich zu sein, ich bin müde, sterbensmüde!“ ist ihre Antwort gewesen.

Ihr letztes Wort, sie sprach es lallend wie ein müdes Kind im Einschlafen, war die tausendmal in diesen Wochen ausgesprochene Frage: „Ist kein Brief von Joachim da für mich? Grüßt ihn von mir – ich habe ihn sehr lieb – ich habe Euch alle so lieb und hab’ Euch doch nur Schmerz gebracht!“

Hanne trippelt leise herein und legt ihre Hand auf die Schulter des jungen Baron. „Steh’n Sie auf, Herr Baron, der gnä’ Herr will Sie sprecken, und Fröln Anna is nu’ auch da – kommen Sie!“

Und als er sich förmlich an das Lager klammert, nickt sie. „Ja, ja – das is nu’ allens zu spät.“

„Kommen Sie, Baron,“ sagt jetzt auch Rothe und richtet den jungen Mann empor, „Hanne hat recht, unsere Thränen, unsere Reue kommen zu spät. – Sie hat Ihnen verziehen und mir verziehen – – Wenn man von einem Erdengeschöpf sagen kann, daß es reinen Herzens war, so ist’s von ihr – Sie dürfen mit Stolz und Ehre ihrer gedenken.“

Und er leitet ihn aus dem Zimmer, hinunter zu dem Fahrstuhl des alten gebeugten Herrn, dem zur Seite Cilly und Tante Anna stehen.

Ditscha bleibt allein – aber das schmerzt sie nicht mehr!




Verhütung der Drüsenerkrankung bei Kindern.

Ein Mahnwort an Mütter und Kinderpflegerinnen.


Das kindliche Alter ist für Drüsenerkrankungen ungemein empfänglich; ja man kann sogar sagen, daß verhältnismäßig nur wenige Kinder völlig gesunde Lymphdrüsen besitzen. Einen Beweis dafür liefert eine Untersuchung von 2506 Kindern in den Schulen der Kantone Graubünden und Aargau, die vor einigen Jahren von Dr. Volland in Davos-Dörfli angestellt wurde. Da hatten von 628 Kindern im Alter von 7 bis 9 Jahren nicht weniger als 607, d. h. 96% geschwollene Halslymphdrüsen! Je älter die Schulkinder wurden, desto geringer war der Prozentsatz der mit krankhaft veränderten Lymphdrüsen Behafteten, betrug aber noch immerhin bei Kindern im Alter von 13 bis 15 Jahren 84%! Wenn auch diese Statistik nicht für alle Gegenden maßgebend sein kann, giebt sie doch zu denken. Geschwollene Lymphdrüsen sind ja immer ein Zeichen einer geschwächten Gesundheit, und wenn auch viele im Laufe der Jahre abschwellen, so muß ein großer Teil derselben doch auf skrophulöse Anlage oder gar auf eine Ansteckung mit Tuberkelbacillen zurückgeführt werden. Es ist ja erwiesen, daß in schweren Fällen der Skrophulose die erkrankten Lymphdrüsen wirklich Tuberkelbacillen enthalten. Diese gefährlichen Spaltpilze können lange Zeit in den Drüsen durch Einkapselung von der Weiterverbreitung abgeschlossen und bei guter Pflege vom Körper vernichtet werden. Oft aber schwebt der Träger eines solchen Krankheitsherdes in der steten Gefahr, über kurz oder lang eine Aussaat des Giftes in den ganzen Organismus oder vornehmlich in die Lungen und Hirnhäute zu bekommen, welche gewöhnlich tödlich endet. In der That gehen viele der skrophulösen Kinder an rasch verlaufender Entzündung der Hirmhäute zu Grunde oder verfallen in reiferen Jahren der Lungenschwindsucht.

Man hat in der letzten Zeit überhaupt mehrere Anhaltspunkte ermittelt, die darauf hinweisen, daß Drüsenerkrankungen in sehr naher Beziehung zur Tuberkulose stehen können. Sehr häufig erkranken im kindlichen Alter die am Halse gelegenen Mandeln. Diese Entzündungen werden durch eine ganze Anzahl mehr oder weniger gefährlicher Bakterienarten hervorgerufen; als Folgen solcher Entzündungen bleiben vielfach vergrößerte Mandeln zurück. In der Sitzung der Pariser medizinischen Akademie vom 30. April d. J. hat nun Prof. Dieulafoy mitgeteilt, daß auch in solchen Mandeln Tuberkelbacillen sich einnisten können. Er untersuchte Personen mit vergrößerten Mandeln, die sonst gar keine Erscheinungen der Tuberkulose darboten, entnahm kleine Stückchen der Mandeln und impfte dieselben Meerschweinchen ein; da zeigte es sich, daß in einer Reihe von Fällen die geimpften Meerschweinchen tuberkulös wurden. Die vergrößerten Mandeln können also unter Umständen die gefährlichen Keime in sich bergen; dieselben erweisen sich nicht schädlich, wenn das Kind sich normal entwickelt, bei guter Ernährung, im Genuß frischer Luft kräftig bleibt, dann überwindet der Organismus den Feind. Wird aber das Kind schädigenden Einflüssen ausgesetzt und geschwächt, dann kann der schlummernde Krankheitsfunke erwachen und Anlaß zu einer gefährlichen Allgemeinerkrankung geben.

In Anbetracht solcher Thatsachen ist es darum von höchster Wichtigkeit, die Wege zu ermitteln, auf welchen der Krankheitsstoff in die Drüsen gelangt, um eine derartige Ansteckung zu verhüten.

Dr. Volland hat nun neuerdings eine Erklärung gegeben, die sehr wahrscheinlich und namentlich für Mütter und Kinderpflegerinnen beachtenswert ist. Er meint, daß diese Ansteckung zumeist schon zu der Zeit erfolgt, in welcher das Kind laufen lernt. Es rutscht da vielfach auf allen Vieren umher und beschmutzt sich die Hände mit Stuben- und Straßenstaub. In diesem Lebensalter ist aber beim Kinde infolge des Zahnens die Absonderung von Mund- und Nasenschleim besonders reichlich und führt zu kleinen Verletzungen an den Naseneingängen und Mundwinkeln. Durch den Reiz, den diese kleinen Schäden der Schleimhaut erzeugen, wird das Kind veranlaßt, sich mit den Händen ins Gesicht zu fahren und den daran hängenden Staub förmlich in die wunden Stellen einzureiben. Ist nun zufällig in dem Staube tuberkulöser Stoff enthalten, so ist damit die Ansteckung erfolgt.

Die Menge des Krankheitsstoffes ist in der Regel äußerst gering; er wird darum von kräftigen Kindern überwunden, bei schwächlicheren dringt er aber in die Lymphdrüsen ein, wo er vorläufig ruhen bleibt, um zur Geltung zu kommen, wenn der kleine Körper durch schädliche Einwirkungen ungünstig beeinflußt wird.

Dr. Volland empfiehlt darum folgende Mittel, um das Kind vor dieser Gefahr zu schützen: Die Mutter oder Wärterin sollte den reichlich abgesonderten Mund- und Nasenschleim unermüdlich entfernen, um das Wundwerden zu vermeiden. Sie soll sorgfältig darauf achten, daß das Kind nie mit den Händchen auf den Fußboden kommt. Auch muß alles das, was am Boden gelegen hat, vorher gereinigt werden, bevor es das Kind wieder zum Spielen erhält. Es muß beim Laufenlernen stets geführt werden oder in geeigneten Stützapparaten stehen. Ist es einmal gefallen, so müssen die Händchen sofort wieder gewaschen werden und der Sinn für Reinlichkeit derselben ist beim Kinde sehr früh zu wecken.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_498.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)