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Blätter und Blüten.



Der Drachenfels am Rhein. Mit leichten, doch kräftigen Strichen ist die Rheinlandschaft festgehalten, die wir heute dem Skizzenbuch Otto Strützels entnehmen. Wer selbst einmal in schöner Sommerzeit mit dem Dampfer bei Königswinter vorbeigefahren ist, wo sich der Blick auf die hochgewölbten waldbedeckten Höhen des Siebengebirges und den ihm vorgelagerten Drachenfels erschließt, wer hier den Dampfer verließ und zur schönen Aussichtsterrasse unterhalb der alten Burgruine emporstieg, dem wird die Skizze in der Erinnerung Stunden wachrufen, in denen ihm die Poesie der rheinischen Landschaft und des Lebens am Rhein in reichster Entfaltung aufging. Die Romantik alter Heldensage verklärt den Ruhm dieser Gegend. In einer Felswand auf halber Höhe des Drachenfelsberges klafft der Eingang zu einer Höhle, in welcher dereinst der Drache gehaust haben soll, den jung Siegfried mit dem selbstgeschmiedeten Balmung erlegte und in dessen Blut er sich zum Gewinn der schützenden Hornhaut dann badete. Zur Erinnerung daran heißt der in der Nähe wachsende Wein Drachenblut und wer in diesem die Seele badet, bekommt sie auch für eine Weile gefeit vor Unbill und Ungemach. Seitdem die Zahnradbahn zu der Burg und dem Terrassengasthof hinaufführt, läßt sich freilich mancher Besucher ein behagliches Weilen auf diesem herrlichen Aussichtspunkt, von dem man bis Bonn und Köln zu sehen vermag, bedauerlicherweise entgehen. In dem modernen Schloßbau auf halber Höhe, der neuen Drachenburg, hat der romantische Ruhm der Gegend künstlerische Gestaltung gefunden. Auch das schöne Bild von Frank Kirchbach, welches die „Gartenlaube“ in Nr. 1 des Jahrgangs 1891 gebracht hat, „Der Streit zwischen Kriemhild und Brunhild vor dem Münster zu Worms“ findet sich hier im Original als Wandgemälde.

Der Drachenfels am Rhein mit Königswinter.
Nach einer Zeichnung von Otto Strützel.

Bettelvolk in Toledo. (Zu dem Bilde S. 381.) Spanien ist das Land der Gegensätze. Wir sehen sie, wohin wir blicken, und sie zeigen sich uns in vollster Deutlichkeit auch auf dem Bilde R. de Madrazos. Der Künstler versetzt uns nach Toledo, in eines der großartigsten Gebäude der an solchen so überreichen Stadt: in das Kloster von San Juan de los Reyes. Neben der in dem vollendetsten gotischen Baustil ausgeführten Pforte, welche einen Einblick in den Klostergarten gewährt, sehen wir eine Gruppe von Vertretern des modernsten Spanien, von Bettlern in der teils resignierten, teils stolzen und gleichgültigen Haltung, die ihnen in jenem Lande eigen ist. Die Armen betrachten die im allgemeinen sehr lohnende und einträgliche Bettelei als einen Erwerbszweig, zu dessen Betrieb sie ein historisches Recht haben. Einerseits hat sie allerdings in Spanien immer bestanden und alle Versuche, die seit der Zeit des aufgeklärten Königs Karl III. gemacht worden sind, dieses Uebel auszurotten, haben sich als fruchtlos erwiesen; anderseits führen die Bettler selbst König Philipp II. als ihr Vorbild an. Wenn dieser, sagen sie, als er seine Soldaten nicht mehr bezahlen konnte, in allen Kirchen seines Landes für diesen Zweck betteln ließ, weshalb sollen wir nicht ein Recht haben, dasselbe zu thun? Weshalb sollen wir arbeiten, wenn der Staat uns den Ertrag unserer Mühe und unseres Fleißes in der Form von zahllosen Steuern raubt und uns die Mittel zum Unterhalt auf solche Weise entzieht? Dies ist allerdings einer der Hauptgründe der Bettelei, die besonders dem Ausländer auffällt und die gerade die fremden Reisenden, welche in ihrer Heimat daran nicht gewöhnt sind, in hohem Grade belästigt. Sie ist aber nirgends größer und zeigt sich nirgends widerwärtiger als an den besonders von den Touristen besuchten Stätten einstiger längst verschwundener Größe, an den Orten, in denen es an Gewerbfleiß fehlt. In Kastilien vollends, dessen massenhafte Ketzerverbrennungen dazu beitrugen, das Land zu entwalden, seinen Boden unfruchtbar zu machen und vor allem ihn seiner besten Arbeitskräfte zu berauben – in Kastilien, das sich einstmals durch Unterwerfung aller anderen Staaten das Recht der Vorherrschaft erwarb, gelangte überdies die Anschauung des Adels zu allgemeiner Geltung: daß die Arbeit entehre. Selbst unter dem äußeren Schein des größten Glanzes verbirgt sich dort oft nur mühsam das Elend, das sich uns unverhüllt an den Kirchenthüren zeigt. G. Diercks.     

Das Schiffelbord-Spiel (Zu dem Bilde S. 385.) Seitdem die Größe und bessere Ausstattung unserer deutschen Schnelldampfer, die den Passagierverkehr über den Ocean vermitteln, den Aufenthalt an Bord viel angenehmer als früher gestaltet haben, ist den Reisenden auch mehr Raum für allerlei Unterhaltungsspiele geboten. Unser Bild veranschaulicht ein Spiel, das sich am Bord der Hamburger und Bremer transatlantischen Dampfer fest eingebürgert hat und wegen seiner Verwandtschaft mit unserem altheimischen Kegelspiel sich besonders bei den deutschen Kajütpassagieren großer Beliebtheit erfreut. Es handelt sich bei dem Spiel darum, runde Holzscheiben (Teller) mittels hölzerner Schaufeln (Schippen, Schiffeln) so vorwärts zu treiben, daß sie innerhalb der auf dem Deck gezeichneten Felder eines Zahlensystems möglichst günstig zu liegen kommen. Das Zahlensystem besteht aus einem zu den Spielern waagerecht liegenden Quadrat, das in neun Felder gleichmäßig geteilt ist und die Zahlen 1 bis 9 enthält; an der vorderen und hinteren Seite desselben in der Mitte befindet sich je ein weiteres Viereck mit der Zahl 10. Nur die vordere Zehn wird als Fehler gerechnet, alle übrigen Zahlen werden dem Gewinn zugezählt. Es spielen immer zwei Parteien gegeneinander, die Scheiben, mit denen die eine und die andere spielt, sind verschieden bezeichnet. Die nachschiebende Partei hat das Recht, die günstig geworfenen Scheiben der andern durch scharfen Anwurf aus ihren Feldern zu verdrängen. Haben beide Parteien auf diese Weise ihre Scheiben geworfen, wird das Ergebnis gebucht. Die Abrechnung ist sehr ähnlich der beim Parteln auf vielen deutschen Kegelbahnen. Um das Wesen des Spiels, seine Schwierigkeit und die Fülle von heiterer Anregung und Zerstreuung, die es den Spielern wie den Zuschauern bietet, recht zu begreifen, muß man aber im Auge behalten, daß es am Bord eines auch bei ruhiger See noch auf und nieder schwankenden Schiffs gespielt wird. Ein guter Spieler muß die Wirkungen des Schiffsgangs genau berechnen können; daß dies nicht gar leicht ist, beweist während des Spiels gar mancher unerwartete „Pudel“, der auch jenen nicht erspart bleibt, die daheim auf ihrer Kegelbahn als treffsichere „Stecher“ sich nie eines Fehlwurfs schuldig machen.


Inhalt: Haus Beetzen. Roman von W. Heimburg (9. Fortsetzung). S. 373. – Aller Anfang ist schwer. Bild. S. 373. – Katharina Cornaro als Königin von Cypern. Von Eduard Schulte. S. 378. (Mit dem Bilde S. 377.) – Blauweiß. Novelle von Theodor Duimchen. S. 380. – Bettelvolk in Toledo. Bild. S. 381. – Die Regenmacher der Neuzeit. Von M. Hagenau. S. 384. – Schiffelbord-Spiel am Bord eines transatlantischen Dampfers. Bild. S. 385. – Blätter und Blüten: Der Drachenfels im Rhein. Mit Abbildung. S. 388. – Bettelvolk in Toledo. S. 388. (Zu dem Bilde S. 381.) – Das Schiffelbord-Spiel. S. 388. (Zu dem Bilde S. 382)


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1895, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_388.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)