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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

drei, liegen auf dem Tisch, und einen davon probiert sie eben vor dem Spiegel auf und macht ein ganz verzweifeltes Gesicht dazu.

„Ach Hanne, sieh doch – in alle Ewigkeit habe ich keine Besuche gemacht, und nun besitze ich kaum einen vernünftigen Hut.“

„Süh, süh!“ antwortet Hanne, „und wenn ich ’mal gesagt hab’, gnä’ Fröln, Sie sollten sich doch ’nen hübschen Kirchenhut zähmen, dann haben Sie gesagt: ‚Ach, Hanne, das verstehst Du nicht, die schwarzen Filzhüte sind die feinsten.‘“

„Ja, das ist auch wahr,“ giebt Ditscha zu. „Nun ist er aber doch verregnet, als ich neulich mit Onkel Jochen nach Britzhagen gefahren bin, und die alte Dame scheint so sehr eigen und ‚adrett‘, wie Du sagst.“

„Ach wat,“ meint Hanne ernsthaft, „olle Lüd sehen slecht; aber was der junge Heer is, der kikt aufs Smucke, der hat’s gern, wenn allens pük is.“

Ditscha dreht ihr den Rücken zu und betrachtet den unglücklichen Filzhut sehr angelegentlich.

„Ich würd’ mir da ein’ Sleuer aufstecken, gnä’ Fröln Ditscha,“ schlägt Hanne endlich vor.

„Du hast recht,“ antwortet Ditscha, „das geht.“

„Ja, und dann will ich man sagen, der Damastweber hat die Wappenhandtücher noch immer nich’ geschickt, wolln gnä’ Fröln nich’ vorfragen? Es wör’ doch möglich, daß man sie ’mal braucht, wenn auch alle Kastens vollgeproppt sind mit so’n Sachens. Na, ich will nu’ runter, die Madmoisell, das überspönige Ding, hat sich bei ihr Lesen gestern in der Käuhle Halsschmerzen geholt, und wer anders soll ihr denn die kollen Umsläg’ machen?“

Ditscha bleibt allein und schämt sich ein wenig, denn in ihrem ganzen Leben hat sie sich noch nie so angelegentlich mit ihrer Toilette beschäftigt wie heute. Ob es Hanne gemerkt hat? Zu dumm ist’s! – Sie blickt in den Spiegel und schüttelt den Kopf über sich selbst.

Gegen vier Uhr fährt der Wagen vor; Ditscha ist nicht ohne Begleitung, das Brüderchen fungiert als Ehrengarde. Der kleine Kerl hat so lange gebettelt, bis Frau Cilly ihm erlaubte, mitzufahren, denn erstlich ist Mademoiselle krank und der Junge ein Quälgeist, und dann wäre er auch bei etwaigen Besuchen sehr im Wege; also – sie ist froh, ihn los zu sein.

Ditscha in ihrer einfachen schwarzen Trauertoilette von englischem Schnitt, das angezweifelte Filzhütchen auf den schönen Flechten, Handschuhe und Stiefel tadellos, neben sich den frischen kleinen Kerl, fährt ab, begleitet von unzähligen Kußhänden und dem Lachen des alten Herrn. Die Luft ist wundervoll klar und duftend, die Heide noch rot, die Eichen sind noch grün, und Ditscha hört wie im Traume das Plaudern des Kindes. Ihr ist so wunderlich zu Mute seit gestern, so still, so friedlich und hoffnungsreich zugleich.

Onkel Jochen hat den Friedrich in großer Livree neben Franz auf den Bock kommandiert; die Pferde prangen in silberblitzendem Geschirr, und soweit ihre etwas betagten Beine es zulassen, traben sie auch ganz munter. Als der Schloßturm von Dombeck sichtbar wird, richtet Ditscha sich aus ihrer nachlässigen Stellung auf, ein starkes Herzklopfen meldet sich, sie möchte am liebsten sagen: Franz, kehren Sie um! Und sie greift nach der Hand des Kleinen, als böte der Knirps ihr Schutz. Aber sie fahren schon durch die Allee von mächtigen Eichbäumen und zwischen zwei Sandsteinpfeilern, auf denen das Moos des Alters sitzt, hindurch in den Park und halten nach wenig Minuten vor der überdeckten Anfahrt. Friedrich, der herabspringt, übergiebt einem herzueilenden Diener die Karte Ditschas, nachdem er gefragt, ob die gnädige Frau zu sprechen sei. Und während Achim sich über die riesige Dogge freut, die in der offenen Rundbogenpforte erscheint, fühlt Ditscha eine solch’ ungeheure Befangenheit, daß sie Gott anfleht, er möge die Herrschaften nicht daheim sein lassen.

Aber siehe, da kommen eilige Schritte durch das Haus, und sein Herr empfängt mit freudig strahlendem Gesicht den Besuch. Er hebt den Jungen aus dem Wagen und bietet Ditscha die Hand, und in der großen Halle kommt ihr am Fuß der Treppe schon das Mutterle entgegen, genau so freudig verklärt wie der Sohn.

„Wir haben gerad’ von Ihnen gesprochen,“ ruft sie, „o, wie nett, daß Sie den Kleinen mitbringen – und Sie lassen doch ein wenig ausspannen?“

Ditscha will danken, aber Achim ruft: „Ach ja, Ditscha, bitte, bitte!“ und steigt an der Hand der alten Dame die Treppe empor. Nach einem Weilchen sitzt man am Kaffeetisch und plaudert. Frau Rothe hält Ditschas Hand in der ihrigen und streichelt dieselbe zärtlich, und Kurt Rothe plaudert mit dem Kleinen, der sich außerordentlich für die Gewehre an den Wänden, die vielen Pferdebilder und die schönen Peitschen interessiert. Es wird gar nichts Besonderes gesprochen, am wenigsten reden die beiden jungen Menschen miteinander, und doch sind beide glücklich, nur daß keiner es von dem andern weiß.

Er ist ein kluger einfacher Mensch, der einen tüchtigen Fond von anständiger, vornehmer Gesinnung hat. Wenn es Menschen giebt, von denen man sagen kann, sie sind übertrieben ehrenhaft, so ist er einer. Er hat nie gespielt, niemals eine leichtsinnige Liebschaft gehabt, und seine Meinung von Frauen ist die allerhöchste. Er ist vollkommen der Ansicht, daß die beste Frau diejenige sei, von der am wenigsten gesprochen wird, und er ist stets unangenehm geworden, wenn einer seiner Freunde am Zechtisch gewagt hat, nach dem Befinden seiner Schwester zu fragen. Seine künftige Frau hat er sich vorgestellt als schön, klug, gut, einfach, ernst – kurz, wie Ditscha; und er ist zweiunddreißig Jahre alt geworden, ohne dieses Ideal verwirklicht zu sehen – da muß er es hier finden, hier, in seiner neuen Heimat!

Wenn er nur wüßte, ob sie ihn lieben könnte, wie er sie liebt!

Wie köstlich erscheint ihm heute sein Zimmer – man hat den Kaffee hier serviert – wie anders als sonst durch den Zauber ihrer Gegenwart! Und als jetzt der Kleine herüberkommt und sich an sie schmiegt, da hält er einen Augenblick die Hand vor die Augen, als blende ihn das Licht künftigen Glückes.

„Komm,“ bittet das Kind, „zeig’ uns den Garten, Onkel Rothe.“

Er steht auf und nimmt den Hut von einem Hirschgeweih, auf welches Zeichen zwei Teckel in die wahnsinnigste Freude geraten.

„Bleiben Sie bei mir?“ fragt das Mutterle Ditscha.

„O, gern!“

„Nein, Ditscha soll mit – bitte, bitte, Ditscha!“ fordert der kleine Tyrann, und seine Augen sind so verängstigt, daß Mutterle meint, Ditscha interessiere doch sicher der Garten auch, und ihr ein Tuch bringt zur Promenade. Und Ditscha entschuldige wohl, wenn sie oben bleibe, es sei doch sehr kühl draußen.

Die beiden jungen Menschen und das Kind gehen bald darauf durch die Wege des parkartigen Gartens. Ditscha kennt ihn schon von früher, sie war als Kind einmal in Dombeck, ein herrliches Fleckchen Erde, dessen Eichen viel berühmt sind weit und breit. Die Hunde balgen sich im herbstnassen Rasen, zum Jubel Achims, ein intensiv warmer Goldglanz bricht durch das Gezweig und überhaucht Ditschas Angesicht mit rosigem Schimmer.

Sie geht still, mit gesenktem Haupt; das Kind hat sich von ihr losgemacht und läuft ein paar Schmetterlingen nach.

„Lassen Sie ihn,“ bittet der Mann an ihrer Seite, „er kann hier im Park nicht zu Schaden kommen.“

Achims Stimmchen schallt zuletzt wie aus weiter Ferne; er jagt sich jetzt mit den Hunden.

(Fortsetzung folgt.)




Carl Vogt.

(Mit dem Bildnis auf S. 357.)

Die große Zeit der Befreiungskriege war dahingerauscht; aber die glorreichen Siege hatten nicht die Früchte gezeitigt, welche die Edelsten des Volkes mit Sehnsucht erhofften. Deutschland blieb zerrissen und freie Regungen des Volksgeistes wurden unterdrückt. In dieser Zeit der Demagogenhetze wandert auch ein deutscher Doktor der Medizin und Universitätsprofessor aus seiner Heimatstadt Gießen nach Bern aus, um in dem freien Schweizerlande zu docieren. In seiner Familie befand sich ein hoffnungsvoller Sohn, ein achtzehnjähriger Student der Medizin – Carl Vogt, der später so berühmt werden sollte und nun am 5. Mai dieses Jahres in dem hohen Alter von 78 Jahren sein thätiges Leben beschloß.

Dem weiten Kreise der Leser und Freunde der „Gartenlaube“ ist er wohlbekannt, denn seit Jahrzehnten war er einer unserer hervorragendsten Mitarbeiter. Den Aelteren unter uns sind auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_362.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)