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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

verdiene, wenn einer mich angratulieren will. – Das Verdienen ist die Hauptsache im Leben, meine Herrschaften! – Ich bin in der glücklichen Lage,“ schloß er mit einem Lächeln, das beinahe bescheiden aussah, „daß ich mir mit ruhigem Gewissen kann gratulieren lassen. – Dieses nun wünsche ich Ihnen allen auch aufs beste und erhebe mein Glas auf Ihr besonderes Wohl. Dreimal Hoch, wenn ich bitten darf!“

Während er sprach, war Gusti ganz verlegen geworden. Es hatte fast den Anschein, als ob sie ihren beiden Nachbarn den Genuß des väterlichen Trinkspruches verkürzen wollte, denn sie lenkte Käthes Aufmerksamkeit ab, indem sie ihr fortwährend etwas zuflüsterte, und dann wieder Hubert, indem sie ihm das Glas vollschenkte, ihm den Teller mit den Bäckereien zuschob oder ihn durch Gebärden um einen möglichen Wunsch fragte. Zuletzt war sie ganz rot geworden, zerzupfte ein Stückchen Brot in kleine Kügelchen und sah starr vor sich hin, beinahe, als ob sie sich schämte, daß ihr Vater ein so glücklicher Mann war.

Endlich mußte Käthe Hubert an den Heimweg mahnen, und sie gingen. Unablässig wirbelte der Schnee herab. Sie nahmen sich wieder an den Händen wie vorher.

„Komm,“ sagte Käthe. „Mir ist heute ganz übermütig zu Sinn. Wir wollen einmal um den alten Brunnen herumlaufen; es ist ja keine Seele auf dem Markte.“

Sie thaten es, bis beide ganz außer Atem waren. Sie hielten sich immer fest an der Hand.

„Was für Kinder wir sind!“ rief Käthe dann. „Und doch war es schön, Hubert, als wir wirklich noch Kinder waren!“

„Versteht sich, Käthe! Nur finde ich’s jetzt nicht minder schön,“ entgegnete er.

Im Flur klopften sie sich den Schnee von den Kleidern, und als Käthe zum Vater in die Stube trat, atmete sie auf.

„Wie es da still und gemütlich ist! Weißt Du, ich glaubte es gar nicht mehr aushalten zu können, drüben. Es ging gar so laut her, und dieser Tabaksqualm!“

Dann verbrachten sie ihren ruhigen Sylvesterabend, bis die Uhr aushob und zwölf schlug. Da reichten sie sich alle Drei die Hand und sagten sich ein freundliches Wort zum Neuen Jahr.

Als aber Käthe dann oben in ihr Zimmer kam und die Thür hinter sich geschlossen hatte, brach sie plötzlich heftig schluchzend in Thränen aus, so plötzlich, als hätte sie nur den Augenblick erwartet, wo sie allein war, so heftig, als gelangte ein geheimer Sturm in ihrem Herzen zum Ausbruch. Sie saß zusammengesunken auf ihrem Bette und vergrub das Gesicht in den Händen. Und immer und immer fort liefen die heißen Tropfen über ihre Wangen herab.

Und am Erker heulte der Sturm der Sylvesternacht und rüttelte an den alten Fenstern, daß die kleinen Scheiben zitterten.




4.

Eines Abends war Gusti da, und als sie ging, verabschiedete sich auch Hubert und geleitete sie hinüber. Sie klagte scherzend über die Kälte und hing sich fest in seinen Arm.

„Wie groß Sie sind,“ sagte sie, „ich muß mich recken.“

Und sie streckte sich, während sie neben ihm ging, und er fühlte ihre Gestalt an seiner Seite lehnen. Drüben angekommen, hielt sie seine Hand fest.

„Ich gebe Sie nicht frei,“ lachte sie, „bis Sie nicht versprechen, daß wir bald wieder singen. Ich hab’ so etwas Hübsches – ein Duett!“

Er sagte zu, sie schüttelte ihm die Hand mit einer komischen Gebärde, nach Männerart, und als sie sich getrennt hatten, wandten sie sich gleichzeitig wieder um, sie unter dem Thore, im Lichte der Lampe, die am Flur brannte, und er im Schatten draußen. Dann ging er nachdenklich heim.

Das nächste Mal brachte er eine besondere Nachricht. Er kam wegmüde aus der Försterei zurück. Die Dämmerung war angebrochen und von der Kirche klangen die Vesperglocken.

„Nur im Vorübergehen,“ sagte er, in die Stube tretend, wo Käthe und der Vater saßen. „Ich muß gleich weiter, aufs Amt. Aber ich wollte Euch zuerst ’was Rechtes erzählen. Heut’ habe ich mir die Sporen verdient!“

„Was war denn los?“

„Den Stoser haben wir endlich erwischt! Mehr als ein Jahr lang haben sie ihm aufgepaßt, und immer umsonst. Die schönsten Böcke hat er uns abgeschossen, das meiste Holz hat er gestohlen, und nie hat man ihm ankönnen. Nun sitzt er fest!“

Hast Du’s gemacht? fragte Käthe und sah mit Stolz auf ihn.

„Ja – so aus blindem Glück, der reinste Zufall. Wir waren zwei, der Forstwart und ich. Marx war etwas zurückgeblieben. Da fiel der Schuß. Ich bin wie eine Katze geschlichen. Aber es galt Eile. Keine dreihundert Schritt weit traf ich ihn. Er war gerade beim Ausweiden. Was der Lump behend ist! – Er merkte nichts, bis ich knapp hinter ihm stand. – Dann aber, Herrgott, das hättet Ihr sehen sollen. Er machte einen Satz in die Luft, wie ein Wiesel, auf seine Büchse los. Aber ich hatte ihn schon am Kragen. Wir balgten uns im Schnee. Wer weiß, wie schließlich es gegangen wäre! Aber Marx war da, es war alles nur ein Augenblick. Der Marx, der hat eine Faust! – Er nahm ihn nur so, riß ihn von mir los und hieb ihn nieder. Dann war er im Handumdrehen gefesselt und unschädlich. Aber wie eine wilde Bestie hieb er noch um sich, mit dem Kopf und mit den Füßen. Der Kerl ist wie ein Tier. Mit den blutrünstigen Augen hat er mich förnnlich aufgefressen, und fortwährend schrie er! „Jetzt könnt Ihr mich ins Loch werfen! Ich komm’ schon wieder heraus. Dann hüt’ Dich, Du Milchbart. Sollt Deine Pille kriegen!“

„Wie schrecklich!“ rief Käthe.

„Ach, es ist ja imnner das gleiche Geflunker!“ sagte Hubert. „Alle, die wir fassen, schwören uns Mord und Totschlag. Freilich, länger sitzen sollten sie. Aber so, was hilft’s? In ein paar Monaten sind sie wieder heraus und die Geschichte geht von vorn an.“

Käthe hatte regungslos zugehörck, aber ihr Herz pochte angstvoll.

„Nun muß ich gehen,“ sagte Hubert. „Der Forstmeister wird sich freuen! Abends komm’ ich wohl wieder!“

Als er im Flur war, kam Käthe ihm nach. Er hatte eben die Hand nach der Klinke gestreckt und wandte sich auf ihren Ruf noch einmal um.

Sie kam ganz nahe heran und sah ihm wie bittend in die Augen, während das Blut ihr plötzlich in die Wangen trat.

„O Hubert – ich habe Angst um Dich!“

Er lachte gutmütig.

„Deswegen? – Sei kein Kind, Käthe!“

„Nimm Dich in acht!“ bat sie.

„Ja, ja, natürlich!“ Und als ob er nun erst in dem Halbdunkel den feuchten Schimmer in ihren Augen gewahr würde und nach der ganzen Aufregung ein weicher Ton ihm ins Herz fiele, nahm er sie an der Schulter, zog sie so zu sich, und sie mit seinen hellen Augen musternd, sagte er beruhigend: „Sieh’ mal, altes Käthel! Mir scheint, Du fürchtest Dich wahrhaftig!“

„Ich hab’ Angst um Dich!“ sagte sie wieder, und plötzlich schlang sie ihren Arm um seinen Hals und küßte ihn mehrmals und innig, und er fühlte an seiner Wange die Thräne, die verstohlen über die ihrige rann. Sie hielt ihn so umschlungen, eine ganze Weile. Dannn machte sie sich los und schob ihn zurück.

„Geh – geh nun! – Und lach’ nicht über mich –“ und damit drehte sie sich um und lief die Stiege hinauf.

Bei Meiers drüben erzählte der Doktor von Huberts tüchtiger Aufführung, denn der Fall war ihm bald bekannt geworden und wurde in drastischer Wiedergabe besprochen.

„Ja, sehen Sie, Fräulein Gusti,“ sagte der alte spaßige Herr, „dieser Hubert, das ist ein braver Mensch und ein hübscher Bursch dazu. Schau’n Sie ihn sich nur recht gut an! Sie werden sehen, Sie entdecken so etwas an ihm – so etwas Heldenhaftes. Oder haben Sie das vielleicht ohnehin schon entdeckt?“

Worauf Gusti ihm ein Schnippchen schlug und aus dem Zimmer tanzte. Sie hatte aber das Heldenhafte wirklich schon ohne ihn entdeckt. –

Das besprochene Duett kam zustande. Käthe und Hubert wurden in aller Form dazu eingeladen.

„Wir werden es uns sehr gemütlich machen,“ sagte Gusti. „Wir Drei werden ganz allein sein. Zuerst wollen wir spielen und singen und dann werden wir ein Schälchen Kaffee trinken.“

Sie waren in Meiers guter Stube beisammen. Und diese hatte ein fast kokettes Aussehen.

Auf den weißgebohnten Dielen waren Streifen aus dunklem Eichenholz eingelegt, die im Kreuz darüberliefen. An der Wand,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_306.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2020)