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verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

Phänologische Jahreszeiten.

Die Astronomen haben je nach der Stellung der Erde zur Sonne den Anfang und das Ende der vier Jahreszeiten genau bestimmt. Das Wetter richtet sich jedoch durchaus nicht nach diesen Terminen; der Frühling hält nicht seinen Einzug am 21. März und der Sommer kehrt sich nicht an den 22. Juni. Die Meteorologen sind darum schon längst von den astronomischen Jahreszeiten abgewichen, für sie bilden die Monate März, April, Mai den Frühling, Juni, Juli und August den Sommer, während der Herbst sich über September, Oktober und November, der Winter dagegen über Dezember, Januar und Februar erstreckt. Gegenwärtig arbeiten auch die Botaniker daran, die Jahreszeiten nach neuen, für ihre Wissenschaft zweckmäßigen Gesichtspunkten zu bestimmen. Für sie ist der leitende Gedanke die Entwicklung der Pflanzenwelt, das Erscheinen bestimmter Blüten und Fruchte bedeutet für sie den Anfang von Frühling, Sommer und Herbst. Dieses Vorgehen hat gewiß auch eine praktische Bedeutung, denn es ist wohl geeignet, uns tiefere Einblicke in das Klima verschiedener Gebiete Deutschlands zu gewähren, da ja das Gedeihen der Pflanzen vom Klima abhängt. Außerdem befinden sich die Botaniker in voller Uebereinstimmung mit der volkstümlichen Anschauung, die seit jeher nach dem Blühen der Pflanzen und nach dem Reifen der Früchte den Eintritt der Jahreszeiten zu bestimmen pflegte. Diese Jahreszeiten werden phänologische genannt nach dem griechischen Worte Phänologie, womit man denjenigen Zweig der Botanik bezeichnet, der sich mit den Entwicklungsvorgängen in der Pflanze, wie Blattentfaltung, Aufblühen und Fruchtreife, beschäftigt. Dr. Ihne in Friedberg in Hessen, der zu den hervorragendsten Forschern auf diesem Gebiete zählt, hat neuerdings in der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift“ Vorschläge zur Schaffung eines „Pflanzenkalenders“ gemacht, die für jeden, der an der Beobachtung der Natur Freude hat, von größtem Interesse sind.

Als die erste phänologische Jahreszeit wird dort die Zeit des Erwachens des Pflanzenlebens bezeichnet. Es ist auch der Vorfrühling, der dadurch charakteristisch erscheint, daß in ihm nur solche Holzpflanzen aufblühen, deren Blüten sich vor den Blättern entfalten und bei denen zwischen dem Aufblühen und der Belaubung eine Pause liegt. Eine solche Holzpflanze ist unser Haselstrauch. In Gießen, an welchem Orte Prof. Dr. H. Hoffmann in einer langen Reihe von Jahren die umfangreichsten phänologischen Beobachtungen angestellt hat, blüht derselbe im Durchschnitt vieler Jahresbeobachtungen schon im Februar, ihm schließen sich als Vorboten des Frühlings einige Kräuter an wie Schneeglöckchen, Leberblümchen und Frühlingsknotenblume. Nachdem das erwachende Pflanzenleben uns mit diesen ersten Blüten des Jahres beschenkt hat, tritt in seinem Schaffen eine Ruhepause ein, und auf diese folgt die zweite phänologische Jahreszeit, der Erstfrühling. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß in ihr solche Holzpflanzen zur Blüte gelangen, bei denen sich Blüten und erste Blätter gleichzeitig oder fast gleichzeitig entwickeln, zwischen Aufblühen und Belaubung ist keine Pause, die Belaubung der Bäume beginnt. Es handelt sich hier um eine auffallende Periode in der Entwicklung des Pflanzenlebens, die im Volksmunde längst als die Zeit der Baum- oder Obstblüte eine besondere Benennung erhalten hat. In ihr blühen die Süß- und Sauerkirsche, die Schlehe, die Traubenkirsche, der Apfelbaum und der Birnbaum, sowie die Birke, die Rotbuche, die Roßkastanie, die Stieleiche etc. In Gießen beginnt der Erstfrühling durchschnittlich am 22. April erst nach etwa drei Wochen (in Gießen um den 12. Mai) tritt der Vollfrühling ein, der vor allem durch das Blühen des Flieders gekennzeichnet wird. Er beginnt mit dem Aufblühen solcher Pflanzen, deren Blüten sich deutlich nach den ersten Blättern entwickeln, und endet vor dem Aufblühen des Getreides. In ihm wird der Laubwald vollständig grün.

Als vierte phänologische Jahreszeit gilt der Frühsommer, dessen Beginn durch das Aufblühen des Winterroggens verkündet wird. In ihn fällt auch die Weinblüte und er endet vor der Reife des frühen Beerenobstes. Als sein Anfangstermin für Gießen wurde der 3. Juni ermittelt.

Nach fünfwöchiger Dauer weicht er dem Hochsommer, der Jahreszeit, in der die Früchte des Beerenobstes, außer Wein, und die des Getreides reifen und geerntet werden. Unter blühenden Pflanzen verkünden ihn die Blüten der Linde und der weißen Lilie. Er beginnt nach den Gießener Ermittelungen am 11. Juli und behält lange, bis Anfang September, die Herrschaft. Nun beginnen die Früchte der Roßkastanie und des roten Hartriegels zu reifen, wir befinden uns im Frühherbst, in welchem auch die übrigen bis dahin noch unreifen Früchte zur völligen Ausbildung gelangen. Mitte Oktober, in Gießen am 14. Oktober, tritt der Zeitpunkt ein, von dem ab die Pflanze aufhört, Nahrungsstoffe aufzunehmen, sie verarbeitet die bereits gewonnenen Stoffe, um sie während der Winterruhe sicher für den kommenden Frühling aufzuspeichern. Diese ihre Thätigkeit wird durch die allgemeine Laubverfärbung angezeigt, mit ihrem Beginn stehen wir in der siebenten phänologischen Jahreszeit, in dem eigentlichen Herbst. Er währt so lange, bis Fröste und Schneefälle den Eintritt des Winters verkünden.

Auf Grund der bisherigen an verschiedenen Orten angestellten Beobachtungen ist man bereits zu interessanten Aufschlüssen über den Gang der Jahreszeiten in den einzelnen Gebieten von Mitteleuropa gelangt. Sie treten nicht immer zu derselben Zeit ein, es giebt frühe Jahre, in welchen der Vollfrühling um zwei Wochen früher, und späte Jahre, in welchen er bis zwei Wochen später erscheint. In verschiedenen Gebieten bemerkt man ähnliche Unterschiede im Laufe desselben Jahres, in Deutschland haben Orte mit südlicher und westlicher Lage eher Frühling als solche, die mehr nach Norden und Osten gelegen sind. Leider ist die Zahl der Orte, an welchen regelmäßig phänologische Beobachtungen angestellt werden, gering, und es wäre wohl zu wünschen, daß mehr freiwillige Mitarbeiter an diesem Werke teilnähmen. Wer dazu Beruf und Lust verspürt, findet eine genaue „Instruktion für phänologische Beobachtungen“ im XXX. Bande der „Berichte der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde“, sowie in Heft 6, Jahrgang 1894, der Zeitschrift „Das Wetter“.


Loni.

Erzählung von Anton von Perfall.

     (Schluß.)

Vorsichtig öffnete Loni das Fenster. Zwei Hände ergriffen ihre Hand, ein bärtiges Antlitz drückte einen glühenden Kuß darauf. „Da bin i, Loni, da bin i.“

„Still! Nebenan is der Flori!“ Sonst brachte sie nichts hervor.

„Der Flori!“ Der Name wurde in drohendem Tone wiederholt.

Loni rang nach Atem. „I hab’ so Angst gehabt auf di Nacht – er war g’rad auf ’m Hof – da hab’ i ihn bitt’, z’ bleiben.“

„Angst? – wovor? Hast wohl denkt, daß i komm’? Daß i Di hol’?“

Loni unterdrückte mühsam einen Aufschrei.

„Ja, Loni, um’kehrt bin i in Hamburg, ’bal’ i s’Schiff g’sehn hab’! Kunnt’s net mach’n ohn’ Di! Und da bin i. Komm!“

Loni wand sich von ihm los. „I kann net – i darf net!“ keuchte sie. „Hab’ Erbarmen mit mir! I kann net!“ Ihr Haupt sank auf das Fensterbrett.

„Kannst net? Weil’s Dir abg’redt hab’n? Und i komm so weit daher, weil i glaubt hab’ an Dei’ Wort, Dei’ Treu!“

„I kann net! Laß’ mi, um Gotteswill’n, laß’ mi!“

„So kann i aa net anders – so bleib’ i aa! Sollens mi fassen, verurteil’n vor Deine Augen – koan Schritt geh’ i!“

Wilde Entschlossenheit sprach aus diesen Worten.

„Willst des mit anschau’n? Mi im Zuchthaus, der Di so liab hat, den’s do net vergessen kannst? Pack Dei’ Tüachl, Du hast mir’s g’schwor’n, daß D’ mir folgen willst, wohin i aa geh’!“

„I kann net!“ stammelte sie noch einmal.

„Net? Nachher pfüt’ Gott! Mei Weg geht aufs G’richt.“

Er trat zurück – seine Gestalt verschwand schon im Dunkeln.

„Anderl bleib’!“ Loni flüsterte es verzweifelt.

Er trat wieder vor. „I hab’s ja g’wußt, Du kannst net naa sag’n, und wennst das heut’ sag’n thätst, käm’ i morgen wieder – und den andern Tag wieder – ’s muaß sein, Loni, denk’ aa so! Mach’, ’s hat Eil’! Mei Loni! Mei Schatz! Mei All’s auf der Welt!“

Die Bäuerin taumelte zurück in die Kammer, wieder stand ihr Wille im Bann der Leidenschaft. Sie räumte in den Kasten umher, warf Kleider heraus, Wäsche, kramte nach Geld in der Lade – sie wußte zuletzt selbst nicht, was sie in das Bündel gethan, das vor ihr lag.

„’s muaß sein,“ so dachte sie jetzt wirklich.

„Bist Du’s bald?“ rief Anderl drängend.

„Und wenn i morgen fehl’, was wird nachher ’s Marei denk’n?“ Loni stammelte es unter Thränen.

„Hinterlass’ a Brieferl, daß D’ nach Tirol ganga bist, zu Deine Leut’. Das langt für an Vorsprung.“

„Wenn i des der Marei jetzt selb’r saget, daß’s mir auf anmal so komma is – glaubhafter war’s und – und g’rad anmal seh’n möcht’ i’s no, mei Kind.“

Sie schluchzte heftig.

„Wennst meinst, thua’s, aber schnell und vorsichti, besser war’s scho, Du thätst’s net, aber i will Dir g’wiß nix versag’n.“

Loni schlich aus der Kammer in den Stall. Die Tiere schauten sie neugierig an mit ihren großen Augen.

Er war zurückgekehrt, aller Gefahr zum Trotz – er wird wieder kommen und wieder kommen und zuletzt – wird sie doch einwilligen – und wenn nicht, so wandert er ins Zuchthaus! Der

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