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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

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Ein Tag in China.

Von J. Zwenger. Mit Abbildungen von Fritz Bergen und Arthur Wanjura.

Einst lag China weit, weit von Europa entfernt. Die Zeiten haben sich geändert: in wunderbarster Weise sind die Verkehrsmittel ausgebildet worden.

Beschwörung eines Götzen.

Wenn in China etwas Wichtiges geschieht, so kann es noch an demselben Tage durch den elektrischen Funken nach Europa gemeldet werden. So verfolgen wir jetzt Tag für Tag die kriegerischen Ereignisse, in welche sich das riesenhafte Reich verstrickt sieht, um die Angriffe seines beweglicheren Konkurrenten, des Japaners, von sich abzuwehren. Das regt unser Interesse für die dortigen Zustände mächtig an, und gar manchem wird es willkommen sein, sich mit uns auf einen Tag mitten in das Treiben einer chinesischen Hauptstadt zu versetzen.

Im Kaufladen.

Nehmen wir an, wir befinden uns auf einem Ozeandampfer, der eben Kanton anläuft, die mächtige Handelsstadt, deren Einwohnerzahl auf anderthalb Millionen Seelen geschätzt wird, und wir dampfen durch die schwimmende Vorstadt, die aus lauter Booten besteht. Jedes Boot ist hier ein Familienhaus, und an 300 000 Meuschen wohnen in dieser Weise auf dem Wasser. Unser Ziel ist aber die kleine Insel Schamin, auf der sich die Fremdemkolonie Kantons befindet. Nur ein schmaler Kanal trennt diesen Zufluchtsort der Europäer von dem betäubenden Gewühl der chinesischen Großstadt.

Vor dem Polizeirichter.

Niemand hindert uns, dem berühmten Kanton einen Besuch abzustatten, und ein Führer steht bereitwilligst zu unseren Diensten. Auf der Visitenkarte, die der Mann uns überreicht, steht sein Name Ah Cum und darunter auf Englisch „Canton City Guide“ d. h. Führer durch die Stadt Kanton. Er ist ein älterer erfahrener Herr, ein echter gelber Chinese; er trägt ein Seidengewand, ein Käppchen deckt den bezopften Kopf; er geht in Filzschuhen und hält in der Rechten den Fächer. Unter der Leitung dieses Führers werden wir in Sänften in das bunte Getriebe der Großstadt getragen. Sie ist der Mittelpunkt des Handels der reichen südlichen Provinzen Chinas und unser Führer geleitet uns zunächst in einige durch ihre Verkaufsläden berühmte Straßen. Die einstöckigen Häuser stehen dicht gedrängt und bilden enge, kaum 2 m breite, gewundene Gassen. In jedem Hause befindet sich hier ein Kaufmannsladen und in China fehlen auch die Firmenschilder nicht, nur sind sie anders angebracht als bei uns zu Lande, sie hängen senkrecht vom Dache bis zum Erdboden herab, und wie uns unser der chinesischen Schrift kundiger Dollmetsch erklärt, dienen sie zugleich der Reklame. Vor allem versichert der Kaufmann seine Redlichkeit und so liest man auf den grell bemalten Holztafeln an goldenen Schriftzügen schöne Worte wie: „Der Klang unsrer Dollars ist rein wie der Sang der Nachtigall am Bache“ oder: „Ich soll nicht gelb sein, wenn ich nicht ehrlich bin“. Mit Glasscheiben versehene Schaufenster giebt es hier nicht, dafür ist am Eingang zu den Läden in Brusthöhe ein kleiner Bort angebracht, auf dem kleine Gegenstände zur Schau gestellt sind. Das befriedigt unsere Neugierde nicht; wir lassen uns also in einige dieser Läden selbst führen, um die Waren besser in Augenschein zu nehmen und auch einige Andenken an China zu kaufen. Unser bezopfter Cicerone ist ein erfahrener Mann, er kennt den Geschmack der Fremden, in raschem Tempo wird unsere Sänfte durch die Straßen getragen, in welchen Lebensmittelverkäufer ihre Stände haben; mögen die Gelben um Obst und Gemüse, um Gurken und Melonen, um Fleisch und Fische, um Haifischflossen, abgezogene Hunde, Katzen und Ratten sowie andere chinesische Delikatessen feilschen! Wir sind froh, daß wir diese mit schlimmsten Gerüchen erfüllten Straßen hinter uns haben, und machen Halt in einem Stadtviertel, in welchem die chinesische Kunst ihre Werke feil hält. Viele dieser Werke haben über Land und Meer den Weg nach Europa gefunden; sie sind in unseren Museen ausgestellt oder schmücken als Sonderbarkeiten unsere Privatwohnungen. Das meiste gehört unsren Begriffen nach unter die Leistungen des Kunstgewerbes. Der Chinese ist fleißig und geduldig und er ist Meister in seinen Künsten, die eine unendliche Geduld erfordern. Wir haben den Laden eines Elfenbeinschnitzers betreten und der ehrliche gelbe Mann bietet uns

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_797.jpg&oldid=- (Version vom 20.9.2023)