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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Der Centurio wollte noch an den Sterbenden eine Frage richten. Lucius Menenius aber winkte ihm ab. Er war zu hinfällig, um weitere Auskunft zu geben. Die Hauptsache stand ja nun über jeden Zweifel erhaben: auf das Einzelne kam es nicht an. Der Polizeioffzier entfernte sich schweigend. Als dann fünfzehn Minuten später Lucius Menenius mit einem klagenden Seufzer hinsank und seinen Atem verhauchte, trug keiner von seinen Sklaven mehr Fesseln, sondern mit freien Händen und mit freien Gemütern vereinigten sich alle im frommen Gebet für den Abgeschiedenen.

Cajus aber vollzog den letzten Willen des teuern Vaters mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit und erfüllte auch sonst die Hoffnungen, die Lucius Menenius auf eine gedeihliche Zukunft gesetzt hatte. Er kehrte seinem bisherigen Treiben den Rücken, vermählte sich noch im folgenden Jahr mit der jüngeren Paulina und ward ein mustergültiger Hausvater, Beamter und Patriot. Im Senate griff Cajus die Traditionen des verewigten Lucius auf und machte sich so zum Haupturheber jener Gesetze, die dem Uebermut der „Chaldäer und Mathematiker“ Einhalt geboten.

Ninus und Afra verblieben nach wie vor im Verband der Menenischen Häuslichkeit – ein glückliches und Glück verbreitendes Paar. Ninus aber konnte es nicht übers Herz gewinnen, dem edleu Cajus, der ihn, wie einst der Vater, mit Güte und Wohlwollen überhäufte, den wahren Sachverhalt zu verschweigen. Cajus, aufs tiefste erschüttert, staunte, wie klar und wie sicher dem unvergleichlichen Manne in jenem entsetzlichen Augenblick das Herz eine Lösung zeigte, die dem Verstand und dem klügelnden Scharfsinn vielleicht entschlüpft wäre. Die Wahrheit, die Lucius Menenius unter Anrufung der unsterblichen Götter beteuert hatte, war nicht die kleine alltägliche Wahrheit gewesen, die mit den Steinen des Abacus rechnet, sondern die Wahrheit im höheren ewigen Sinne, die vielleicht mit den Ergebnissen eines gewöhnlichen Zahlenexempels in Widerspruch steht, aber eins ist mit dem allwaltenden Willen der Vorsehung.



Blätter & Blüten.

Hermine Spies. Zwei Sommer sind über das Grab von Hermine Spies hingezogen, über das Grab, das einem Schicksal von wunderbarer Glücksfülle und Schönheit jäh und erschütternd ein Ziel setzte. Ein Jahrzehnt lang hatte Hermine mit ihrer Lieder Zaubermacht die Herzen von Hunderttausenden entzückt, hatte Licht und Sonnenschein um sich verbreitet und Licht und Sonnenschein genossen – und dann, als sie in der Ehe mit dem Amtsrichter Hardtmuth in Wiesbaden die reine volle Befriedigung gefunden, als das letzte, beseligendste Glück des Weibes vor ihr aufstieg, das Mutterglück, da hat sie Abschied nehmen müssen von der Erde, die ihr so schön gewesen.

Der Ruhm einer Sängerin, wie schnell pflegt er zu verhallen! Aber Hermine Spies ist ein besseres Los zu teil geworden. Sie war eben nicht bloß eine große Sängerin, sie war auch so reich an Gaben des Geistes und Gemütes, so gewinnend in ihrem Wesen, daß sie überall, wo sie auf ihren Künstlerfahrten hinkam, nicht nur Bewunderer, sondern auch Freunde hinterließ, treu ergebene Freunde. Die hervorragendsten Geister, Kunstgenossen und Kunstliebhaber, Dichter, Gelehrte, Männer und Frauen aus allen Kreisen, zollten ihr begeisterte Huldigung, und tausendfältig ward es deutlich und im vertraulichen Gespräche bestätigt, daß neben der vollendeten Kunst ihres Gesanges es noch etwas sei, was ihr Macht gebe über die Gemüter und zu ihr hinziehe mit unwiderstehlicher Gewalt. Schon als Hermine noch ein sechzehnjähriges Mädchen war, hat das Emil Rittershaus, der sie bei einem Ausflug an den Rhein hatte singen hören – und zwar noch vor ihrer eigentlichen künstlerischen Ausbildung durch Ferd. Sieber und Julius Stockhausen – in einem schönen Widmungsgedicht ausgesprochen:

„Nicht nur der Wohllaut Deiner Kehle
War’s, der zu meinem Herzen sprach,
Es war das Feuer Deiner Seele,
Das Bahn sich hier in Tönen brach.“

Und als sie auf der Höhe ihrer Kunst stand, schrieb der „gefürchtete“ Hanslick in Wien, nachdem er sie zum erstenmal gehört: „Die künstlerische Bildung dieser Stimme ist vollkommen und ihre Beseelung durch die Mächte Geist und Gemüt macht sie unwiderstehlich.“ Und als Klaus Groth, der Dichter des „Quickborn“, sie die Rhapsodie von Brahms hatte singen hören, jene Komposition eines Textes aus Goethes „Harzreise“ mit der schönen Stelle: „Ist aus deinem Psalter, Vater der Liebe, ein Ton seinem Ohre vernehmbar, o, so erquicke sein Herz!“ – da verglich er sie mit jenen Engeln, die einst „in olen Tiden“ vom Himmel herabstiegen, den Menschen den Frieden zu bringen, da nannte er auch die Sängerin einen Himmelsboten:

„De hett op eren Psalter
Vör jede Ohr den Lut,
De lös’t int Hart de Thran’n,
De makt dat Elend gut.“

Wie viele wird es freuen, das Lebensbild Herminens in ausführlicher Darstellung zum dauernden Gedächtnis zu besitzen und in der Betrachtung ihrer herrlichen Künstlerlaufbahn sich die Genüsse noch einmal zu vergegenwärtigen, die sie gespendet hat! Dieser Gedanke, der so nahe liegt, hat die Schwester Herminens, ihre treue Begleiterin auf ihren Weltfahrten veranlaßt, aus eigenen Erinnerungen, aus Briefen, Tagebuchblättern etc. der Heimgegangenen ein schlichtes biographisches Denkmal aufzurichten, das jetzt unter dem Titel „Hermine Spies. Ein Gedenkbuch für ihre Freunde“, von Heinrich Bulthaupt mit warmen Worten eingeleitet, bei Göschen in Stuttgart erschienen ist. Ein Bild von Hermine ist ihm beigegeben aus derselben Zeit, aus der auch dasjenige stammt, welches die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1887 (Nr. 13) ihren Lesern mit einer kurze Würdigung dieser gottbegnadeten Künstlerin vorgelegt hat.

Eine hochherzige Stiftung. Frau Elise Wentzel, geborene Heckmann, hat der kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin die namhafte Summe von anderthalb Millionen Mark überantwortet mit der Bestimmung, daß mit dem Erträgnis vor allem umfassende wissenschaftliche Unternehmungen, die einen größeren Aufwand verlangen, gefördert werden sollen. Seit Werner Siemens durch seine Freigebigkeit die Gründung der „Physikalisch-technischen Reichsanstalt“ ermöglichte, ist der deutschen Wissenschaft eine solch großartige Zuwendung von privater Seite nicht gemacht worden; und wenn Siemens noch die Förderung gerade seiner Wissenschaft im Auge hatte, so gilt die neue Stiftung ganz allgemein und ohne Beschränkung der Wissenschaft als solcher. Darin liegt ein großer Zug und ein schönes Vertrauen, daß die Mitglieder der Berliner Akademie das Rechte und Sinngemäße jederzeit schon finden werden. Und es ist zu hoffen, daß sie es finden werden, zu Nutz und Frommen der Wissenschaft und des Fortschritts unserer Kultur.

Frau Elise Wentzel hat mit dieser Stiftung eine Absicht verwirklicht, die schon ihr Gatte Hermann Wentzel gehegt und die nur infolge des raschen Ablebens dieses treffliche Mannes (1889) unausgeführt geblieben war. Auch der Vater der Frau Elise, der im hohen Alter von 92 Jahren verstorbene Fabrikbesitzer Karl Julius Heckmann, gehört mit zu den geistigen Urhebern der Stiftung. Beide Männer haben klein augefangen, Heckmann als Kupferschmiedemeister, Wentzel als Maurer. Aber Fleiß und höheres Streben brachten sie vorwärts und Wentzel hat als Schüler Stülers einen hochgeachteten Namen unter den Berliner Architekten erworben. So hinterließen Vater und Gatte der Frau Elise Wentzel die reichen Mittel, mit denen sie jetzt die Berliner Akademie und damit die deutsche Wissenschaft beschenkt hat. Die „Elise Wentzel, geborene Heckmann-Stiftung“ wird zu allen Zeiten ein Ruhmesblatt in der Geschichte unseres Bürgertums bleiben, ein leuchtendes Beispiel selbstloser schlichter Hingabe an ein großes ideales Ziel.

Elisabeth Louise Lebrun. (Zu unserer Kunstbeilage.) Die Künstlerin, deren Selbstbildnis wir in unserer heutigen Kunstbeilage vorführen, ist den Lesern der „Gartenlaube“ schon bekannt durch jenes anmutige Bild „Die Dame mit dem Muff“, daS wir als 13. Kunstbeilage im Jahrgaug 1891 veröffentlicht haben. Wenn dort von ihr gesagt wurde, daß sie nicht bloß ein außerordentliches, frühreifes, durch glänzende äußere Verhältnisse begünstigtes Talent, sondern auch eine schöne liebenswürdige Frau gewesen sei, so finden wir diese letztere Angabe vollauf bestätigt durch das Selbstbildnis, aus dem uns ein Antlitz von entzückender Lieblichkeit entgegenschaut. Kein Wunder, daß überall, wo auch ihr vielbewegtes Leben sie hinführte, die Herzen ihr zuflogen und Ehren und Auszeichnungen ihr reichlich gezollt wurden. Elisabeth Louise Lebrun ist 1842 im hohen Alter von 87 Jahren zu Paris gestorben. Das Selbstbildnis, das unsere Kunstbeilage wiedergiebt, befindet sich heute in der Galerie der Uffizien zu Florenz.


Kleiner Briefkasten.

P. Fr. in Camburg. Die Erforschung der Ortsnamen und ihre Deutung ist ein sehr lebhaft angebautes Gebiet der Alterthumskunde. Für Ihre engere Heimath finden Sie genaue Auskunft in dem Buche von Hofrath Dr. G. Jacob „Die Ortsnamen des Herzogtums Meiningen“ (Hildburghausen, Kesselringsche Hofbuchhandlung).

„Offzier.“ Wenden Sie sich an das preußische Kriegsministerium.


manicula0 Hierzu Kunstbeilage XII: Selbstbildnis der Malerin Lebrun.

Inhalt: Um fremde Schuld. Roman von W. Heimburg (7. Fortsetzung). S. 726. – Blut und Eisen. Das Ferratin. S. 731. – Hans Sachs. Ein Gedenkblatt von Hans Boesch. S. 732. Mit Abbildungenn S. 725, 728 u. 729, 732, 733, 734, 735, 736 und 737. – Die Sklaven. Novelle von Ernst Eckstein (Schluß). S. 738. – Blätter und Blüten: Hermine Spies. S. 740. – Eine hochherzige Stiftung. S. 740. – Elisabeth Louise Lebrun. S. 740. (Zu unserer Kunstbeilage.) – Kleiner Briefkasten. S. 740.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_740.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2023)