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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

wankte nicht, obgleich Mama wie auf Kohlen stand und obgleich ich deutlich merken ließ, daß eine zuviel da sei.

Die berühmte Köchin rief Mama ab mit der Frage, ob sie die Gänseleber- oder die Krammetsvögelpastete in den Korb packen solle, der zu Superintendents geschickt werde.

Des Herrn Stadtrats gebildete Zunge sorgte, daß sie auch an dem Tische der minder bemittelten Bekannten etwas für ihren ausgezeichneten Geschmack vorfinde, und bei Superintendents war nicht zu fürchten, daß der Korb zurückkam wie einst bei der Komtesse. Die viel geplagte Frau Superintendent hieß stets die Sendung willkommen, die ihr und ihrer Wirtschaftskasse eine Last abnahm.

„Gehst Du mit heute abend, Anneliese? Du gehst doch mit?“ fragte Mama, im Begriff, mich zu verlassen.

„Nein,“ sagte ich, denn ich mochte der Komtesse nicht hinderlich sein, falls sie ihr Vorhaben, Herrn Wollmeyer ins Gewissen zu reden, ausführen wollte. Meine Mutter verabschiedete sich schweigend.

„Da kommen Sie vielleicht mit uns?“ fragte Frau Sellmann, „Otto und ich wollen uns den Jux machen, ins Theater zu gehen; ich sah noch nie eine solche Wandertruppe, die in Romanen immer so köstlich geschildert werden – ich möchte ’mal lachen. Kommen Sie mit?“

„Es wird ja gar nichts zum Lachen gegeben,“ antwortete ich. Ich hatte die Ankündigung der Eröffnung des Westenberger Stadttheaters im Saal zu den „Drei Pappeln“ heute schon an den Straßenecken gelesen. „‚Don Carlos‘ wird ja gegeben.“

„Als ob gerade das nicht zum Lachen sein wird,“ meinte sie. „Denken Sie, welch eine Eboli hier auftreten wird!“

„Nein, ich danke,“ sagte ich, „ich habe Kopfschmerzen und bleibe zu Hause.“ Da stand sie plötzlich dicht neben mir; sie hatte ein rotes Juchtenetui in der Hand, und an der Feder drückend, daß es aufsprang, hielt sie mir etwas Sprühendes, Flimmerndes unter die Augen. „Ist es nicht entzückend?“

Ein reich mit Brillanten geschmückter Armreif blitzte mir entgegen, in seiner Mitte ebenfalls aus Brillanten das Emblem unseres Wappens, die Greifenklaue, die eine Kugel in den Fängen hält; diese Kugel war eine wundervolle große Perle. „Nun?“ fragte sie.

„Es ist recht hübsch, aber Mama macht sich gar nichts daraus,“ antwortete ich, in der Meinung, es sei ein Weihnachtsgeschenk Wollmeyers für meine Mutter.

„Das kommt hier nicht in Betracht,“ erklärte sie leichthin, „dies da will mein Bruder verschenken.“ Und sie verwandte kein Auge von den funkelnden sprühenden Steinen.

Ich wandte mich achselzuckend ab. Wie plump und dumm! Man spekulierte darauf, daß mich die große Aufmerksamkeit, mein Wappen in Brillanten zu sehen, rühren würde.

„Reizender Geschmack!“ sagte sie und ließ das Etui wieder in ihrer Tasche verschwinden.

Ich hatte mich indes vor den Ofen gesetzt und stocherte in der Glut herum, eine Lieblingsbeschäftigung von mir, aber heute rein mechanisch geübt, denn meine Gedanken hatten plötzlich einen wunderlichen Seitensprung gemacht; sie waren auf etwas gekommen, das mich unangenehm, peinvoll berührte. Ich dachte nämlich, ob etwa der Fremde vom Kirchhof zu der Schauspielertruppe gehörte, die heute ihren Musentempel eröffnete. Es war, als ob mir mit dieser Annahme etwas sehr Wehes geschehe, ich mußte Gewißheit haben.

„Ich komme wahrscheinlich mit,“ sagte ich plötzlich zu Olga Sellmann, „das heißt, ich werde mir schon meinen Platz besorgen, Sie sollen sich nur nicht wundern, wenn Sie mich dort sehen – ich hole meine alte französische Lehrerin ab, das wird Mama erlauben.“

Frau Sellmann lachte eigentümlich. „Ich habe schon eine Karte für Sie, Anneliese, Sie werden uns doch nicht allein gehen lassen?“

„Ich habe mich doch anders besonnen, ich gehe nicht hin,“ stotterte ich, dunkelrot vor Zorn. Es stand ja auf diesem vollen, rosig lächelnden Gesicht so deutlich ein Triumph, ein Triumph, den sie mit ihrem Armband erreicht zu haben glaubte.

„Ich muß Briefe schreiben“ setzte ich kurz hinzu und ging zum Schreibtisch hinüber. Sie lächelte wieder, siegesgewiß. „Ich will nicht stören,“ lispelte sie und schwebte hinaus, als ob ich ein Fischlein wäre, das den Köder erschnappte und das sie aus grausamem Mitleid noch ein wenig in seinem Lebenselement lassen wollte. Für wie gewöhnlich mußten diese Leute mich halten!

(Fortsetzung folgt.)

Blut und Eisen.

Das Ferratin.

Wie herrlich ist das frische Rot, das die Wangen, die Lippen der Menschen färbt! Es ist die frohe Farbe der Gesundheit und des blühenden Lebens. Kein Wunder, daß das Schwinden derselben ohne sonst erkennbare Ursache schon frühe zur Untersuchung des im Blut enthaltenen Farbstoffs und zu Versuchen geführt hat, wie die krankhafte Abnahme desselben bekämpft werden könne. Die Erkenntnis, daß dieser Farbstoff mit dem Eisengehalt des Blutes identisch sei und die Bleichsucht aus einer fehlerhaften Beschaffenheit des nie rastenden Umwandlungsprozesses von Nahrung in Blut beruhe, hat dann die Erfindung von Eisenpräparaten veranlaßt, die schon seit uralten Zeiten zu dem Zwecke verabreicht werden, den Mangel an ausreichender Eisenzufuhr auf künstlichem Wege zu heben.

Die Zahl dieser Präparate ist ungemein groß. Man hat Bleichsüchtigen reines metallisches Eisen als Pulver im Zustande feinster Verteilung verabreicht, in der Annahme, daß die Magen- und Darmsäfte das Metall zu den für unsern Körper nötigen Verbindungen verarbeiten würden. Man hat zu den verschiedensten Eisenverbindungen, zu Oxyden und Salzen, seine Zuflucht genommen und kohlensaure, phosphorsaure, sowie pflanzensaure Eisenpräparate hergestellt; man hat das Eisen mit anderen Heilmitteln wie Chinin, Jod und Brom gemengt und es selbst unter Genußmittel wie Wein und Chokolade gemischt. Blutarme und Bleichsüchtige pflegen auch Kurorte aufzusuchen und trinken dort „Brunnen“, in welchen kohlensaures Eisenoxydul oder schwefelsaures Eisen, also Eisensalze, aufgelöst sind, und für diejenigen, die nicht reisen können, werden künstliche eisenhaltige Mineralwässer hergestellt, die man zu Hause trinken kann.

Aber wie groß auch die Zahl der Eisenpräparate war, sie genügten nicht den an sie gestellten Anforderungen; stets wiesen sie Schattenseiten auf. Die Eisensalze haben eine ätzende Wirkung, erregen vielfach bei längerem Gebrauch Störungen in der Magenthätigkeit, so daß sie von vielen Kranken nicht vertragen werden. Ferner hat man sich durch genaue Untersuchungen überzeugen müssen, daß die gebräuchlichen Eisensalze vom Körper nicht gut verarbeitet werden und den Leib zum allergrößten Teil verlassen, ohne ins Blut aufgenommen worden zu sein.

Inzwischen war die Chemie fortgeschritten und man ging daran, neue Eisenpräparate herzustellen, welche in ihrer Zusammensetzung denjenigen Eisenverbindungen, die im Körper vorkommen, möglichst ähnlich oder gleich sein würden. Auf diese Weise wollte man dem kranken Organismus die Aufnahme des Eisens leichter machen; man verband also das Eisen mit Eiweißstoffen, bereitete Blutextrakte, in welchen der eisenhaltige Blutfarbstoff des tierischen Blutes enthalten war. Als aber auch diese Neuerungen die Aerzte nicht voll befriedigten, wurde noch ein anderer Weg eingeschlagen.

Der gesunde Mensch erhält das Eisen, das er braucht, in verschiedenen Nahrungsmitteln. Eier und Fleisch, pflanzliche Nahrungsmittel sind eisenhaltig und das Eisen ist in ihnen in einer Verbindung vorhanden, welche vom menschlichen Körper leicht aufgenommen wird. Es war aber nicht bekannt, wie reich an Eisen unsere verschiedenen Nahrungsmittel sind und aus welcher Verbindung die tägliche Eisennahrung des Menschen besteht. Dies mußte zuerst ermittelt werden. Professor Bunge fand, daß der Eidotter verhältnismäßig viel Eisen enthält, und es gelang ihm, aus demselben einen Stoff zu gewinnen, der Eisen enthielt und den er „Hämatogen“, d. h. „blutbildenden Stoff“, nannte, da ja aus ihm das Blut des Hühnchens im Ei entsteht. Professor O. Schmiedeberg in Straßburg ging weiter, er untersuchte verschiedene Nahrungsmittel und es gelang ihm, aus der an Eisen besonders reichen Schweinsleber eine Verbindung von Eisen und Eiweiß zu gewinnen, die er „Ferratin“ nannte. Es ist dies eine hellbraune Masse, die bis 7% Eisen enthält, das an einen eiweißartigen Körper organisch gebunden ist. Durch zahlreiche Versuche wurde Professor Schmiedeberg zu der Ueberzeugung geführt, daß dieses Ferratin gerade diejenige Eisenverbindung sei, die wir in unseren Nahrungsmitteln dem Körper zuführen und aus der die eisenhaltigen Bestandteile des Blutes gebildet werden. Anfangs war diese Entdeckung praktisch nicht verwertbar; denn eine Schweinsleber enthält nur 5 bis 6 Gramm Ferratin, es wäre also zu kostspielig gewesen, das Ferratin zum Gebrauch für Kranke aus den tierischen Organen zu nehmen. Im Verein mit Dr. Pio Marfori ging nun Professor Schmiedeberg daran, das Ferratin künstlich herzustellen, und nach jahrelangen Bemühungen erhielt er schließlich ein Präparat, das dem natürlichen Ferratin durchaus gleich ist. Zahlreiche Versuche, die mit ihm angestellt wurden, haben gezeigt, daß es keinerlei störenden oder gar schädlichen Einfluß auf Magen und Darm ausübt und jedenfalls zu den mildesten der bisher bekannten Eisenpräparate zählt. Verschiedene Aerzte bezeugen, daß es sich bei der Behandlung der Bleichsucht nützlich erwiesen und auch den Appetit der Kranken belebt und gesteigert hat. Im Vergleich zu ähnlichen Verbindungen des Eisens mit Eiweißkörpern zeichnet es sich noch durch seinen hohen Eisengehalt aus. Das vorhin genannte Hämatogen enthält nur 0,29% Eisen, das Ferratin dagegen 7%!

Soweit man aus verschiedenen bisherigen Erfahrungen schließen kann, ist das Ferratin eine wesentliche Bereicherung unseres Arzneischatzes, dabei aber auch ein Nahrungsmittel. Wer sich den Zusammenhang der Ernährung und Blutbildung vergegenwärtigt, wird ja zugeben, daß das Eisen für uns ein Nährstoff ist, ebenso unentbehrlich wie Eiweiß oder Fett. Ist nun das Eisen in unseren Nahrungsmitteln immer in genügenden Mengen vorhanden? Man kann auf Grund unseres bisherigen Wissens die Frage wohl verneinen. Es treten an den Körper oft höhere Ansprüche heran, in den Entwicklungsjahren muß z. B. mehr

Blut als sonst gebildet werden. In solchen Fällen reicht der natürliche

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