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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Diener über unsere ,Maus‘ – na, nun sagen Sie’s ihr doch, Herr Professor – was das Bild mit dem Epheu bedeutet, das kennt man ja!“

„Thusy,“ stammelte Paula, am ganzen Körper bebend, „schweig’! Schweig, Du – Du –“

„Ach was! Meinst Du, ich könnte den Jammer noch länger mit ansehen – ich hab’ es ja schwarz auf weiß gelesen, was Dir fehlt!“

„O Gott,“ schluchzte Paula ganz geknickt, „mein Tagebuch! Also Du hast? – Weißt Du, was Du bist –“

„Sst!“ machte die tapfere Thusy, „kein Wort! Was ich bin, das kannst Du mir hernach sagen, jetzt stelle ich mich hier vor die Thür, und wenn Du dann nachher noch immer lieber hättest, daß die Nocturna statt meiner Dein Buch erwischt hätte, wie Du hinunterliefst, als Dein Vater vorfuhr, dann – dann – ist es mir auch egal, dann bist Du Deine beste Freundin los!“

„Paula, liebes Fräulein Paula!“ sagte Hans, dessen Seele in einem Meer von glückseligen unbestimmten Hoffnungen umhergewirbelt wurde, und er ergriff die kleine Hand mit dem roten Striemchen und begann leise, innig zu flüstern – – –

„Na ja!“ machte Thusy befriedigt und schloß die Thür hinter sich zu.


15.

Der Herr Senator stand im großen Salon inmitten einer Gruppe von jungen Damen und unterhielt sich köstlich. Er war in bester Laune. „Aber wo steckt denn eigentlich meine Tochter?“ fragte er lachend. Alles blickte sich suchend um, sie war nicht zu sehen.

„Merkwürdig,“ bemerkte Hetty von Siegendorf mit ihrer etwas scharf klingenden Stimme, „der Herr Professor ist auch verschwunden.“

In diesem Augenblick näherte sich Frau Doktor Ulrich dem Senator. „Ach bitte, auf ein Wort,“ flüsterte sie ihm zu und ließ sich von ihm in ihr Privatzimmer geleiten.

Was er dort sah – so anmutig es auch war – beraubte den Herrn Senator zunächst der Sprache, und ehe er sie wiedergefunden hatte, stand Hans bereits vor ihm:

„Herr Senator, ich bitte um die Hand Ihrer Tochter Paula!“

„Aber da hört doch alles auf!“ rief der Ueberraschte, „Paula, was soll das heißen? – Herr Professor, Ihr Antrag ist mir zwar sehr schmeichelhaft, aber ich muß doch bitten – ich kenne ja noch gar nichts von Ihren Verhältnissen –“

„Herr Senator verzeihen,“ sagte Hans, stramm aufgerichtet, „über meine Person und meine gesellschaftliche Stellung stehen Ihnen alle Referenzen zur Verfügung, und was das andere angeht, so glaube ich annehmen zu dürfen, daß Sie, Herr Senator, darüber gerade als Kaufmann selber das beste Urteil haben. Das Haus Seeling –“

„Ja, was der Tausend, Herr Professor,“ unterbrach ihn der Kaufherr sichtlich erfreut, „so sind Sie der Sohn von Johann Seeling und Kompagnie? Richtig, erinnere mich, sollte ja Gelehrter werden. – Nun dann allerdings bin ich in diesem Punkte aufgeklärt. Aber ich weiß doch nicht –“

„Vater!“ flehte Paula, indem sie ihn zärtlich umfing, „ach bitte, lieber Vater!“

„Ja,“ meinte der so Bestürmte ziemlich wehrlos, „was sagen Sie dazu, Frau Doktor?“

„Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich sagen soll,“ seufzte diese, und dann nahm Paula mit einem neuen Ansturm die Festung ein.

„Das ist nun das Los der Väter,“ seufzte der alte Herr. „Na, weine nur nicht, Paula, Deine Schwester hat mir’s gerade so gemacht. Aber offen heraus, Herr Professor, Sie gefallen mir! Und also, Kinder – meinen Segen habt Ihr! Aber Ihr Herr Vater?“

„Ich habe Blanco-Vollmacht!“ antwortete der glückliche Hans, und dann folgte eine große Rührscene, abschließend wie üblich in allerlei Scherzreden.

„Ich weiß noch immer nicht, was ich dazu sagen soll,“ meinte die Frau Doktor schließlich. „Gewiß, ich darf von Herzen gratulieren – ich habe ja das Glück, alle Beteiligten zu kennen. Aber, aber, Herr Professor, wie konnten Sie so ’was thun! Sie wußten doch, daß es streng verboten ist, sich in meinem Hause zu verloben!“

„Ich will’s auch gewiß nicht wieder thun,“ versicherte Hans mit lächelndem Gesicht. „Nicht wahr, Paula?“

Da schob sich heimlich ein Köpfchen leise durch den Thürvorhang, ein hübscher Mädchenkopf mit dickem schwarzen Zopf und blitzenden schwarzen Augen. „Thusy!“, rief Paula, riß sich von ihrem Verlobten los und zog die Freundin herein. „Hier, Vater, meine liebe Freundin Thusnelde Lehmann,“ und dann fiel sie ihr um den Hals und küßte sie und flüsterte: „Ach, Thusy, ich bin zu glücklich – Du bist auch meine liebste beste süßeste Freundin, meine einzige Thusy!“

„Na, siehst Du wohl,“ bemerkte der Schwarzkopf, „siehst Du wohl, Du liebe dumme Maus!“


Ein „Kirchtag in Tirol“.

Bilder vom Innsbrucker Volkstrachtenfest. Von J. C. Platter. Mit Zeichnungen von Oscar Graef.

Unüberwindlich schien die Macht, mit welcher der gleichmacherische Geist der Neuzeit bis in entlegene Winkel und stille Thäler vordrang, alte Ueberlieferung, Sitte, Tracht fast mit der Gewalt eines Naturgesetzes vernichtend. Mehr und mehr verschwand das bunte Bild der Besonderheiten vor einem stumpfen Einerlei, und insbesondere auf dem Gebiet der Volkstrachten bedeutete jedes Jahr einen weiteren Verlust. Aber der Rückschlag blieb nicht aus, eine Gegenströmung trat mit steigendem Nachdruck auf, Vereine zur Erhaltung der alten Volkstrachten wurden da und dort gegründet; die Einsicht, wie viel Schönes hier dem Untergange entgegengehe, zeitigte ein eifriges Bemühen um die Rettung des Bestehenden und, nachdem die ersten Erfolge sichtbar geworden, ein mutiges Vorwärtsschreiten zur Wiedereroberung verlorenen Bodens.

Eine lustige festliche Schlacht in diesem Kriege um der Väter Brauch ist am 26. August im schönen Innsbruck geschlagen worden. Tirol gehört ja zu den Ländern, wo dank dem konservierenden Einfluß des Hochgebirges noch verhältnismäßig viel von den althergebrachten Volkstrachten übrig ist. Und so hat die tirolische Hauptstadt am Inn schon seit einer Reihe von Jahren es sich zur Aufgabe gemacht, bei festlichen Gelegenheiten zu zeigen, wie viel eigenartige Schönheit an Gewand und Schmuck der Vorfahren haftet. Diesmal geschah es in besonders anschaulicher Weise, indem man ein geschlossenes Bild echt tirolischen Lebens und Treibens schuf. Den versammelten deutschen und österreichischen Anthropologen zu Ehren hat man am 26. August ein großes Volkstrachtenfest veranstaltet unter dem Titel „Ein Kirchtag in Tirol“, ein Fest, das den Männern der Wissenschaft wie den Tausenden anderer Zuschauer noch lange in Erinnerung bleiben und der Liebe zu den alten Volkstrachten einen mächtigen Aufschwung geben wird.

Der Platz und die Gewerbehalle der Tiroler Landesausstellung vom letzten Jahre wurden zur Abhaltung des Kirchtages in stand gesetzt, die weite Halle mit ihren 4000 Quadratmetern Flächeninhalt glich einem Dorfplatze, auf dem sich zum Jahrmarkt eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_645.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2023)