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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

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Blätter & Blüten

Die „Gesellschaft der Waisenfreunde“. In aller Stille setzt dieser wahrhaft gemeinnützige Verein, über dessen Wirksamkeit die „Gartenlaube“ schon wiederholt berichtet hat (zuletzt in Nr. 41 des Jahrgangs 1892) seine segensreiche Tätigkeit fort, zum Heil der armen kleinen Wesen, die, mittellos und ihrer Ernährer beraubt, ohne barmherzige Hilfe einem traurigen Lose verfallen müßten, zum Heil aber auch manches still trauernden Ehepaars, dem ein beglückender Ersatz für die schmerzlich vermißten eigenen Kinder geworden ist. 69 Kinder haben die „Waisenfreunde“ bis jetzt untergebracht, und der Geschäftsführer des Vereins, Schuldirektor Karl Otto Mehner in Burgstädt, berichtet mit Freuden, daß er die im vergangenen Jahre besuchten Schützlinge durchweg bei guter Gesundheit und in guter geistiger Entwicklung fand. „Sie bereiteten ihren Eltern Freude und Glück, wie sie selbst glücklich waren“, sagt er, und er bedauert nur, daß so manche Versorgung an unmöglichen Bedingungen, sei es der in Aussicht genommenen Pflegeeltern, sei es der Verwandten des unterzubringenden Kindes, scheiterte. Kam es ja doch z. B. vor, daß Großeltern dem Verein ein Enkelkind nur unter der Voraussetzung übergeben wollten, daß ihnen für die Zeit, da sie selbst das Kind in Pflege gehabt hatten, Kostenersatz geleistet werde!

Nach den Erfahrungen Mehners richtet sich das Begehren der annehmenden Eltern vorzugsweise auf eheliche Vollwaisen, insbesondere Mädchen im Alter von 1 bis 3 Jahren. Es wäre zu wünschen, daß vorurteilslose Eltern sich auch nichtehelich geborner Kinder erbarmten, sie würden eine ebenso große Liebesthat, wenn nicht eine größere, verrichten. Zu bedauern ist ferner, daß für kleine Knaben weniger Nachfrage ist. Und doch könnten Eltern, die in großen Städten mit guten Schulen leben, manchem befähigten Knaben eine schöne Zukunft bereiten, zu ihres eigenen Herzens Freude!

Indem wir der Hoffnung Ausdruck geben, daß es auch unter den Lesern der „Gartenlaube“ dem Vereine nicht an thätiger Unterstützung fehle, wünschen wir seinem Wirken auch fernerhin reichen Erfolg.

Vogelherzen. Man spricht so oft von dem „kleinen“ Vogelherzen und hebt mit Bewunderung hervor, wie viel Liebe und Leidenschaft darin wohne. Auch die Naturforscher bewundern das Vogelherz; nur erscheint es ihren Blicken nicht klein, sondern ungewöhnlich groß. Es muß ja alles mit richtigem Maß gemessen werden und das Maß für die Größe eines Herzens ist sein Gewicht, verglichen mit dem Gesammtgewichte des Körpers, durch den es das Blut treibt. In diesem Verhältnis betrachtet, erscheint nun das Vogelherz weit größer als das Menschenherz. Je mehr der Körper arbeitet, desto mehr wird auch das Herz in Anspruch genommen. Und der Vogel zählt ohne Zweifel zu den beweglichsten und leistungsfähigsten Geschöpfen; er fliegt, läuft, springt und schwimmt. Dabei überholt die Schwalbe den Eilzug, der Haubentaucher hält im Schwimmen „Schritt“ mit dem Dampfschiff und der Falke trägt die bis 11/2 Kilo schwere Beute hoch in die Lüfte, ohne daß seine Flugkraft und seine Schnelligkeit Einbuße erlitten. Nach einer Berechnung des berühmten Vogelkundigen Marey verrichtet eine Möwe, die nur 623 Gramm wiegt, in der Sekunde 3,8 Kilogramm Arbeit; ein 75 Kilogramm schwerer Mensch müßte, um seiner Größe entsprechend dieselbe Leistung zu vollbringen, 460 Kilogramm in der Sekunde 1 Meter hoch heben. Versucht er es, arbeitet er als Athlet, so wächst sein Herz übermäßig. Kein Wunder also, daß die beweglichen Vögel ein für ihre Körpermaße auffallend großes oder schweres Herz besitzen.

Im Durchschnitt wiegt das normale Herz beim Menschen 5 Tausendstel des Gesamtgewichtes des Körpers, oder die Herzgröße beträgt, wie man sich ausdrückt, 5 aufs Tausend des Körpergewichts. Jüngst hat nun Dr. Carl Parrot die Herzen verschiedener Tiere und Vögel gewogen und, in Tausendsteln des Körpergewichts ausgedrückt, folgende Durchschnittszahlen erhalten: Die Herzgröße beträgt 4,52 beim Schwein, 4,59 beim Rind, 6,01 beim Schaf, 6,31 beim Pferd; die Haustiere stehen also in dieser Beziehung dem Menschcn ziemlich nahe. Das wilde, viel herumlaufende Reh besitzt ein schwereres Herz von 11,5. Die meisten Vögel übertreffen aber in dieser Hinsicht alle bekannten Tiere. Die Herzgröße der Brieftaube beträgt 12,25, die des Haussperlings 16,22, des Baumfalken 16,98 und das Herz der Singdrossel wiegt gar 25 Tausendstel des Gesamtgewichts des Vogelkörpers; folglich ist das Herz der Singdrossel im Verhältnis fünf mal so groß wie das des Menschen. J.     

Ueber die Wertschätzung der Bücher im Mittelalter. Im Mittelalter, als es noch keine gedruckten, sondern nur mit der Hand mühsam geschriebene Bücher gab, wurden diese als ein kostbarer Schatz betrachtet, der mit großer Sorgfalt vor Entwendung behütet wurde. Die Bibliotheken waren damals vorzugsweise Eigentum der Kirche; ihre Vermehrung erfolgte demgemäß beinahe ausschließlich durch geistliche Personen. Namentlich war es gebräuchlich, beim Eintritte ins Kloster Bücher zu opfern, um sich eines freundlichen Entgegenkommens zu versichern. Im Kloster St. Mesmin bei Orleans brachte der Abt Helias die Chronik des heiligen Hieronymus, welche er von einem Mönch hatte schreiben lassen, am Gründonnerstag auf dem Altare dar und verfluchte feierlich jeden, der sie dem Kloster entfremden würde. Als der Dekan zu Jllmünster 1422 seinen „allerliebsten Schatz, das ist mein Bibel und andre Volumina meiner Bücher“ dem Kloster Untersdorf zu einem Jahrtag vermachte, bat er den Abt, mit schwerem Bann und Edikt zu gebieten, „daß ihn von eurer Librey nyman nehm, entziech noch entpfrömd in kainerley weis“. Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß das Entleihen von Büchern damals nicht immer sehr leicht war. Der Abtei von Penpont wurden 1231 Bücher vermacht gegen das eidliche Versprechen, nur gegen völlig sichere Bürgschaft welche davon auszuleihen. Nur wenn einer der Brüder „ad scolas“ geschickt würde, sollte man ihm Bücher mitgeben. In Münster ward 1362 verordnet, daß nur zuverlässigen geistlichen Personen Bücher geliehen werden sollten, in anderen Fällen aber die Genehmigung des Domkapitels einzuholen sei. Gerhard Groote († 1384) vermachte seine Bücher den „Brüdern des gemeinsamen Lebens“, damit sie dieselben mit Vorsicht zwar, aber doch liberal an die Brüder und Schüler ausliehen. Meist wurde aber ein gleichwertiges Pfand als Einsatz für entliehene Bücher verlangt, wenn das Entleihen nicht überhaupt ganz verboten war. Einer der vornehmsten englischen Büchersammler, der zu Anfang des 14. Jahrhunderts lebende Richard de Bury, ein Freund Petrarkas, verordnete, daß Bücher, von welchen kein Duplikat vorhanden war, durchaus nicht aus dem Hause gegeben werden sollten. Er ermahnt die Studenten in eindringlichster Weise, die Bücher nicht zu verunreinigen, und ist von Entsetzen erfüllt über die Gefahren, welche den schön geschriebenen und gemalten Büchern durch schmutzige Hände, essende, trinkende und schwatzende Leser, durch Beschmieren der Ränder oder gar durch Diebe drohen. Die Strafe des Bannfluches hält er einem solchen Vergehen gegenüber nicht für zu schwer. Hier und da wurden Bücher auch auf Zins ausgeliehen; das Basler Domkapitel erhielt z. B. zu diesem Zwecke Bücher vermacht, und auch für das Ausleihen der von Johannes von Gmunden der artistischen Fakultät zu Wien 1435 vermachten Bücher hatte er in seinem Testamente eine Taxe festgesetzt. Hierin könnte man also die Anfänge der Leihbibliotheken sehen, wenngleich zuzugeben ist, daß der geistige Inhalt jener alten von dem dieser neuzeitlichen Bücherleihanstalten grundverschieden war.

Kennt ihr die Alpenblumen? Wer in die Alpen hinauswandert, dem begegnen auf Schritt und Tritt neue Pflanzen, deren Schönheit und Eigenart er bewundert, die er aber nur selten dem Namen nach kennt. Da erwacht in ihm oft der Wunsch, über diese Kinder der alpinen Flora Näheres zu erfahren; es steht ihm aber niemand zur Seite, der ihn belehren könnte. Nun giebt es seit Jahren einen trefflichen Führer durch die Blumenwelt des Hochgebirges, auf den wir die Wanderlustigen unter unseren Lesern aufmerksam machen möchten, die „Taschenflora des Alpenwanderers“ (Zürich, Albert Raustein), die auf 18 Tafeln treffliche farbige Abbildungen von 170 Alpenpflanzen enthält. Der naturwissenschaftliche Zeichner Ludwig Schröter hat sie nach der Natnr gemalt und Dr. Carl Schröter, Professor der Botanik am eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, hat dazu kurze botanische Erläuterungen in deutscher, französischer und englischer Sprache geschrieben. Diese Taschenflora ist soeben in vierter Auflage erschienen – ein Beweis, daß sie einem Bedürfnisse der Touristenwelt entspricht.*     

Vom Ueberhungern. Wer kennt nicht den Zustand des Ueberhungerns? Aus irgend welchem Grunde haben wir zu der gewohnten Zeit eine der Hauptmahlzeiten nicht einnehmen können. Zuerst regte sich in uns der Appetit, dann kam ein nagendes Hungergefühl, bis auch dieses nach einiger Zeit verschwand. Bei gut genährten, kräftigen Menschen hat diese Verzögerung der Nahrungsaufnahme um wenige Stunden keine üblen Folgen. Wenn man aber dann das Versäumte nachholen will, ist einige Vorsicht nötig. Der Magen ist erschlafft und kann nicht wie sonst größere Nahrungsmengen ohne weiteres bewältigen. Ißt man alsdann ohne eigentliches Hungergefühl und ohne Appetit die ganze übliche Mahlzeit auf, so bemerkt man nur zu oft, daß sie nicht bekommt. Es stellen sich Benommenheit des Kopfes, Uebelkeit und andere Beschwerden ein, und es dauert mitunter lange, bis der Magen wieder in Ordnung ist. In solchen Fällen von „Ueberhunger“ empfiehlt es sich darum, dem Magen zunächst nur leichte Speisen und in geringen Mengen zuzuführen, z. B. nur einen Teller Suppe und ein Weißbrötchen oder eine Tasse Kaffee mit einem Brötchen. Nach einiger Zeit stellen sich Appetit und Hungergefühl wieder ein und inzwischen ist auch die Stunde der nächsten Mahlzeit gekommen, bei der man das „Versäumte“ nachholen kann. Wichtig ist diese Vorsichtsmaßregel für Leute, die durch die Art der von ihnen betriebenen Geschäfte, durch vieles Reisen u. dergl. zu einem weniger regelmäßigen Lebenswandel genötigt sind. Bei ihnen kann das Ueberfüllen des oft überhungerten Magens den Grund zu dauernden Verdauungsstörungen legen. – k –      


Kleiner Briefkasten.

A. D. in München. Sie haben die Anführungszeichen vor und hinter „Kempten“ übersehen und infolgedessen den Scherz unseres Zeichners nicht verstanden.

Landsmannschaft der Mecklenburger zu Hamburg-Altona. Wir haben mit Freuden von Ihrer Reuter-Gedächtnisfeier Kenntnis genommen. Leider verbietet uns der Raum, näher darauf einzugehen.


Inhalt: Die Brüder. Roman von Klaus Zehren (6. Fortsetzung). S. 549. – Die Tempelinsel Philä. S. 555. Mit Abbildungen S. 549, 553 und 555. – Vom VIII. deutschen Turnfest in Breslau. Von G. A. Weiß. S. 556. Mit Abbildungen S. 556 und 557. – Auge und Blendung. I. Von Professor Dr. Hermann Cohn. S. 558. – „Up ewig ungedeelt!“ Novelle von Jassy Torrund (2. Fortsetzung). S. 560. – Gänselieschen. Gedicht von F. Vochazer. Mit Bild. S. 561. – Blätter und Blüten: Die „Gesellschaft der Waisenfreunde“. S. 564. – Vogelherzen. S. 564. – Ueber die Wertschätzung der Bücher im Mittetalter. S. 564. – Kennt ihr die Alpenblumen? S. 564. – Vom Ueberhungern. S. 564. – Kleiner Briefkasten. S. S64.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_564.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2023)