Seite:Die Gartenlaube (1894) 558.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Auge und Blendung.

Von Professor Dr. Hermann Cohn.
I.

Seit uralten Zeiten wurde das Auge als das schönste Geschenk der Natur betrachtet, und als der härteste Verlust, nächst dem des Lebens, gilt der Verlust des Augenlichtes. Daher wurde in alten Zeiten jeder, der das Auge eines anderen verletzte, mit Blendung seiner eigenen Augen bestraft. „Auge um Auge, Zahn um Zahn,“ heißt es in der Bibel.

Aber auch Feinde wurden in den ältesten Zeiten geblendet, so Simson von den Philistern und König Zedekia von Nebukadnezar. Im 7. Jahrhundert vor Christus hatte der weise König Zaleukos den Bewohnern von Lokri in Unteritalien ein Gesetz gegeben, wonach die Blendung als Strfse des Ehebruchs einzutreten habe. Nun beging aber zuerst sein eigener Sohn dieses Verbrechen, der König wollte die Strafe an ihm vollstrecken lassen, das Volk jedoch bat für ihn, und der Vater ließ, um dem Gesetze Genüge zu thun, dem Sohne ein Auge und sich selbst das zweite ausstechen. In späteren Zeiten war es bei den Griechen Sitte, daß einem Manne, der einen anderen blind gemacht, nur ein Auge ausgestochen wurde, falls er einen Teil seines Vermögens dem Erblindeten gab, hatte er aber kein Geld, so wurde er vollkommen geblendet.

Besonders roh verfuhren die Karthager. Sie schnitten nach der römischen Ueberlieferung dem römischen Feldherrn Marcus Regulus die Augenlider ab und setzten ihn den hellen Strahlen der Sonne aus, so daß er geblendet wurde und nicht mehr schlafen konnte. Schließlich sollen sie ihn in ein mit Nägeln ausgeschlagenes Faß gesteckt und dieses einen Berg hinabgerollt haben. Unter den fränkischen Königen und bei den Langobarden wurden den Dieben, die das erste Mal stahlen, die Augen ausgestochen.

Als der Enkel Karls des Großen, Bernhard, König von Italien, 817 gegen Ludwig den Frommen zu Felde zog, wurde er unter dem Schein von Unterhandlungen nach Chalons gelockt und mußte dort mit unverwandten Augen „in ein gülden Becken sehen, welches gegen die Sonne gesetzet war“, so lange, bis er erblindete. Auch Kaiser Barbarossa hat den Ueberläufern und Verrätern die Zunge ausschneiden und die Augen ausstechen lassen.

Bis zu den Zeiten Karls IV. konnte man sich in Deutschland, ähnlich wie im Altertum in Griechenland, durch Geld von seiner eigenen Blendung loskaufen, allein in einer böhmischen Chronik wird erzählt, daß ein Edelmann Namens Zahora, der seinem Pfarrer hatte die Augen ausstechen lassen und nun all sein Geld hergeben wollte, um seine eigenen Augen vor der Strafe der Blendung zu retten, nicht begnadigt wurde. Der Kaiser sagte, es könne kein Mensch dem anderen sein Gesicht ersetzen, und ließ dem Edelmann im Jahre 1366 in Prag vor allem Volke beide Augen ausstechen.

Noch in der peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. vom Jahre 1532 wurde das Ausstechen der Augen als Strafe für den ersten schweren Diebstahl angeordnet.

Glücklicherweise ist seit Jahrhunderten in Europa kaum mehr die Strafe der Blendung ausgeübt worden; im Orient besteht sie aber noch heute.

Wenden wir uns ab von den Gräueln vergangener Jahrhunderte und sehen wir lieber zu, was wir im Zeitalter der Civilisation thun können, nicht um die Augen zu blenden, sondern um sie vor Blendung zu schützen.

Zunächst freilich müssen wir betrachten, welche krankhaften Erscheinungen denn blendendes Licht in unseren Augen hervorruft. Wir können heute vier Folgen von Blendungen unterscheiden: 1) die Netzhautentzündung, 2) die Nachtblindheit, 3) die Bindehautentzündung und 4) den Grauen Star.

Fig. 1

1. Netzhautentzündung. Das Auge ist bekanntlich wie eine Zwiebel aus aneinander geschachtelten Häuten zusammengesetzt. Vorn bei h (Fig. 1) befindet sich die Hornhaut, durch welche die Lichtstrahlen in das Auge fallen. Hinter ihr liegt die Regenbogenhaut oder Iris (i), deren Mitte das Sehloch, die Pupille (p), bildet. Dahinter liegt die Kryslalllinse (l) und der Glaskörper (g), die sogenannten lichtbrechenden Medien, durch welche das Licht auf die innerste Haut, die Netzhaut (n), fällt. Hinter der Netzhaut liegt die Aderhaut. In der Mitte der Netzhaut, an der Stelle, mit der wir am schärfsten sehen, ist ein kleiner quer ovaler Fleck, genannt der „Gelbe Fleck“ (m). Hier sind viele Tausende von schmalen, feinen Zellen, die sogenannten Zapfen oder Sehzellen, dicht aneinander gedrängt. Die übrigen Teile der Netzhaut haben andere stäbchenartige Zellen, welche aber nicht so feine Empfindungen vermitteln wie die Sehzapfen am Gelben Fleck.

Nach Einwirkung hellen Lichtes, besonders nach Beobachtung der Sonne oder einer offenen elektrischen Bogenlampe, hat man nun Entzündungen der Netzhaut gefunden. Schon Galenus, einer der berühmtesten Aerzte, der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte, berichtete von Erblindungen nach Betrachtung einer Sonnenfinsternis. In letzler Zeit sind solche Fälle genauer beschrieben worden, da man nun mit dem Augenspiegel die Veränderungen der Netzhaut genau studieren kann.

Der Augenspiegel zeigte Zerstörungen am Gelben Fleck, also in der Mitte der Netzhaut, und zwar einen kleinen weißen Fleck mit blutigem Umkreise oder eine scharf umgrenzte gelb-weiße Scheibe mit dunkelbrauner Umgebung. Diese Beobachtungen stimmen sehr gut mit den Tierversuchen von Czerny und Deutschmann überein. Ersterer hatte unmittelbares Sonnenlicht mittels eines Brennglases auf der Netzhaut lebender Kaninchen vereinigt und eine wirkliche Verbrennung der Stäbchenschicht, eine Zerstörung, eine Entzündung der Netzhaut und Aderhaut, eine Gerinnung des Eiweißes in der Netzhaut und schließlich einen Schwund der Netzhaut gesehen. Von besonderem Interesse ist, daß weder die tiefsten dunkelblauen noch die tiefsten dunkelgrauen Gläser diese Einwirkung der direkten Sonnenstrahlen beeinträchtigen. Deutschmann fand sogar, daß selbst das Einschieben eines Glasrohrs von 20 cm Länge, welches, da es mit kaltem Wasser gefüllt war, die dunklen Wärmestrahlen abhielt, die Verbrennung und Zerstörung in der Netzhaut doch nicht hinderte.

Diesen Thatsachen entsprechen die Empfindungen der Betroffenen. Alle geblendeten Personen bemerkten, sofort nachdem sie in die Sonne gesehen, eine Verdunklung in der Mitte des Gesichtsfeldes, einen Schleier, Nebel oder Fleck, ein „centrales Skotom“, wie man es in der Gelehrtensprache nennt. Die Sehschärfe sank dabei im Centrum auf 1/2 bis 1/3 der normalen herab und machte es dem Kranken unmöglich, in der Mitte Farben zu unterscheiden. In den leichteren Fällen verschwand das Skotom nach längerer oder kürzerer Zeit, in den schweren bestand es ganz oder teilweise viele Jahre fort. Dementsprechend ging mitunter die mit dem Augenspiegel wahrgenommene Entzündung zurück, mitunter aber kam es zum Schwunde der Netzhaut an der erkrankten Stelle.

Aehnliche Erscheinungen wurden beim Blick in bengalisches Feuer oder beim Blick in die elektrische Sonne, die an der Decke eines Cirkus brannte, auch beim Blick in ein Mikroskop, auf dessen Spiegel plötzlich die Sonne schien, beobachtet. Vor einigen Monaten sah ich sogar dieselben Erscheinungen bei einem Liebhaberphotographen, welcher aus Versehen dem Magnesiumblitzlicht bei dessen Entzündung zu nahe gekommen war.

Die Krankheit ist im ganzen selten, aber nach Sonnenfinsternissen häufen sich meist die Fälle; so hat Professor Jäger in Wien nach einer Sonnenfinsternis im Jahre 1851 14 Erkrankungen zu teilweiser oder gänzlicher Erblindung führen sehen, und nach der Sonnenfinsternis am 17. Mai 1882 ist eine Reihe solcher Fälle in Deutschland und in der Schweiz beschrieben worden. Auch Galilei soll durch Beobachtung der Sonnenflecke sein Augenlicht verloren haben.

2. Nachtblindheit. Wenn nicht außerordentlich starke Lichter plötzlich, sondern große helle Flächen, z. B. Schneeflächen, sonnige Sandflächen, Kalkfelsen, Steppen, weiße Mauern, längere Zeit das Auge blenden, so entsteht nicht Netzhautentzündung, sondern eine eigentümliche Stumpfheit der Netzhaut, die sich mit dem Augenspiegel nicht sehen läßt, sondern sich nur der betroffenen Person dadurch kund

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_558.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2022)