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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Wasserdicht.

Hygieinische Skizze von 0Dr. Lorenz.


Wetterfest sollte der Mensch sein; er sollte Wind und Wetter trotzen können, ohne sich gleich Rheumatismus zu holen oder am Schnupfen zu leiden. Das ist eine Forderung, welche die Erzieher aller Zeiten auf ihre Fahne geschrieben haben, aber mächtiger als alle Schulen erwies sich die fortschreitende Kultur, welche den Menschen zarter, weichlicher gemacht und ihm trotzdem Mittel an die Hand gegeben hat, der Unbill der Witterung zu trotzen. Der civilisierte Mensch ist nicht so abgehärtet wie der Neger von Angola, der beinahe nackt im Lauf eines Tages Temperaturen von + 5° bis + 30°[1] erträgt, er ist empfindlicher gegen die Kälte als der Feuerländer oder der Eskimo, aber doch leistet er mehr als der Neger oder der Wilde der kalten Regionen und erobert Schritt für Schritt die Erde. Der Kulturmensch zieht eben eine andere Haut an und trägt sein Klima zum großen Teil mit sich herum. Die Abhärtung, die er infolge seiner veränderten Lebensweise nicht so gut wie der Naturmensch erlangen kann, ersetzt er durch seine Kleidung.

Darum ist eine zweckmäßige Kleidung von höchster hygieinischer Bedeutung. Das ist der Menschheit unserer Tage mehr denn einem früheren Geschlecht zum Bewußtsein gekommen. Die Kleidungsfrage ist in den letzten Jahrzehnten zu einer brennenden geworden, und es giebt ganze Heerlager, die in Wolle für Wolle oder in Leinwand für Leinwand streiten. Wenn man eine hygieinische Ausstellung der Neuzeit besucht, so nehmen die Manufakturwaren, die Tuch- und Wäschestoffe in dieser keinen geringfügigen Raum ein.

Ein Rundgang durch ein solches Musterlager ist höchst lehrreich; denn man sieht da, was der Mensch dem Schafe und dem Kamel entlehnen kann, wie er sich in Baumwolle einspinnt oder in Linnen wickelt, und es wird einem schwer, sich in diesem überreichen Angebot zurechtzufinden und die Spreu vom Weizen zu scheiden, denn die Bekleidungsfrage ist nicht mehr allein ein Gegenstand wissenschaftlicher Erörterung, sondern auch die Grundlage spekulativer Untermehmungen. Wenn man also über Kleidungsstoffe sprechen will, so muß man sich darauf gefaßt machen, daß man „in ein Wespennest sticht“. Trotzdem wagen wir, einer Kleidungsfrage näher zu treten, wollen versuchen, den Wert von Stoffen zu besprechen, die uns vor der empfindlichen Nässe des Regens schützen sollen. Anscheinend gehen wir dabei der Kardinalfrage: Wolle, Baumwolle oder Leinwand aus dem Wege. Und doch, wer weiß, ob wir nicht da aus dem Regen unter die Traufe geraten!

Durchnäßte Kleider sind nicht angenehm und auch nicht gesund. Die Erfahrung lehrt, daß man sich in solchen Kleidern besonders leicht erkältet. Die künstliche Haut, die der Mensch mit so vieler Mühe herstellt, ist in dieser Beziehung viel mangelhafter als das Kleid vieler anderer lebender Wesen. Die gütige Natur hat die Federn der meisten Wasservögel und das Haar so vieler Tiere, die dem Regen ausgesetzt sind, mit einer Fettschicht überzogen, an welcher das Wasser abläuft; sie hat die Blätter so vieler Pflanzen mit einem Firnis versehen, an dessen glatter Fläche die Wassertropfen abfließen; diese Wesen können also schon einen langen und starken Regenguß ertragen. Der Mensch aber, der die Fäden zu seinen Kleidungsstoffen von Tieren und Pflanzen auf dem Wege der Zwangsanleihe nimmt, beraubt diese Fäden bei seinen Fabrikationsarten des Fettes und des Firnisses und verschlechtert so seine künstliche Haut. Dem war allerdings nicht immer so. Der erste Mensch, der Wolle spann, ließ an ihr das Fett und hatte somit ein warmes und auch in hohem Maße wasserdichtes Kleid. Aber in solchen Kleidern gehen heute nur noch die Hirten barbarischer Völker oder ganz zurückgebliebene Kulturmeaschen umher, denn Stoffe dieser Art haben keine „Appretur“, können nicht gefärbt werden, sind nicht schön und nicht fein.

Vom Schönen trennt sich der Mensch nicht gern, und so entstand schon vor geraumer Zeit in ihm der Wunsch, Mittel zu erfinden, mit welchen man den schön gewobenen Stoffen Wasserdichtigkeit verleihen könnte. Vor siebzig Jahren, es war Anno 1823, jubelte man auf: denn die große Erfindung schien in der That gemacht worden zu sein. Damals lebte in Schottland ein geistreicher Chemiker, Charles Macintosh, und dieser erfand das Verfahren, Stoffe mit Gummi wasserdicht zu machen. Man begann Gummimäntel zu tragen, wurde auch in ihnen von außen nicht naß, da der Gummi keinen Regen durchließ, dafür aber von innen; man schwitzte in ihnen, weil die Mäntel nicht nur kein Wasser, sondern auch keine Luft durchließen. Man überzeugte sich, daß diese Erfidung, auf den Menschen angewandt, doch ihren Haken hatte, und später, als die Wissenschaft fortschritt, da war auch die Hygieine in der Lage, zu erklären, warum diese Macintoshmäntel nicht gesundheitsgemäß seien und welche Forderung man an einen hygieinischen wasserdichten Stoff stellen müsse. Wir müssen diesen Entwicklungsgang der Fabrikation wasserdichter Stoffe in unserer Darstellung berücksichtigen und den Leser bitten, sich ein wenig in das Kapitel von der menschlichen Eigenwärme vertiefen zu wollen.

Dieses Kapitel wird in volkstümlichen Büchern zumeist sehr kurz erledigt. Man sagt, daß die Temperatur des menschlichen Blutes bei gesunden Menschen stets 37,5° betrage, und daß der Neger im tropischen Afrika, der Europäer im gemäßigten Klima und der Eskimo am Nordpol stets dieselbe Eigenwärme besitzen, die im Laufe desselben Tages nur um wenige Zehntel auf und absteige. Das ist im allgemeinen ja auch ganz zutreffend. Der Mensch besitzt eben einen Wärmeregulierungsapparat, der die von außen an den Körper herantretende Abkühlung und Erhitzung stets ausgleicht. Die Regel hat aber auch ihre Ausnahmen, und gerade diese Ausnahmen sind für das Verständnis der Fragen, die uns hier beschäftigen, von hoher Bedeutung. Denn nicht unter allen Umständen ist der Wärmeregulierungsapparat imstande, die Eigenwärme des Menschen auf der normalen Höhe zu erhalten. Nun wissen wir, daß Menschen erfrieren, wenn ihre Blutwärme auf etwa + 25° sinkt, und auch sterben müssen, wenn sie auf + 42,6° steigt. Solche Schwankungen der Eigenwärme kommen allerdings nur unter außergewöhnlichen Umständen vor, aber diese Betrachtung lehrt uns, daß das Leben an recht enge Grenzen der Blutwärme gebunden ist, sie legt uns den Schluß nahe, daß auch schon geringere Schwankungen der Blutwärme der Gesundheit nicht zuträglich sein können. Und thatsächlich werden solche Schwankungen schon durch anscheinend geringfügige Umstände hervorgerufen.

Im kalten Bade erniedrigt sich unsere Wärme; wenn wir uns ausziehen und eine Stunde in einem Zimmer von + 24° sitzen, so sinkt unsere Körpertemperatur um etwa 1°. Der nackte Wilde ist abgehärteter, er behält seine normale Eigenwärme bei verschiedenen Temperaturen. Es kommt eben darauf an, wie der Wärmeregulierungsapparat des Menschen beschaffen ist.

Das wichtigste Entwärmungsorgan des Menschen ist die Haut. Sie ist von vielen Blutgefäßen durchzogen, die gegen Temperatureinflüsse empfindlich sind, die in der Kälte sich zusammenziehen und in der Wärme sich ausdehnen. Die Folge davon ist, daß die Haut in der Kälte bleicher, blutarmer, in der Wärme dagegen röter, blutreicher wird. Diese Einrichtung ist von besonderer Wichtigkeit für die Wärmeökonomie des menschlichen Körpers, denn die blutarme Haut giebt weniger Wärme an die Umgebung ab als die blutreiche, die warme Haut erzeugt außerdem Schweiß, der durch die Verdunstung wieder dem Körper Wärme entzieht. Dieser Vorgang, der uns in der Hitze abkühlt und in der Kälte einen zu großen Wärmeverlust verhütet, ist aber auch von einem großen Einfluß auf die Verteilung des Blutes in den inneren Organen. Zieht sich das Blut von der Haut zurück, so überflutet es die inneren Organe, geschieht der Andrang in zu hohem Maße, so tritt eine Ueberhitzung der inneren Organe ein, die schädlich werden kann. Im allgemeinen darf man den Satz aufstellen, daß durch eine übermäßige Abkühlnug des Blutes das Erfrieren eintritt, während die sogenannten Erkältungskrankheiten zumeist die Folge einer übermäßigen Erhitzung der inneren Organe sind.

Der Haut kommt aber außer der Wärmeregulierung noch eine andere wichtige Aufgabe zu: sie ist ein Ausscheidungsorgan des Körpers. Es ist nachgewiesen, daß krankmachende Stoffe, selbst Bakterien, durch den Schweiß ausgeschieden wurden, und so werden im gesunden Zustand auch verbrauchte, dem Körper schädliche Stoffe durch die Haut entfernt.

Aus allen diesen Gründen muß man an eine gesundheitsgemäße Kleidung die Anforderung stellen, daß sie, während sie uns gegen äußere Einflüsse schützt, die Thätigkeit der Haut nicht unterbricht

  1. Alle Temperaturangaben dieses Artikels erfolgen in Graden des hundertteiligen Celsiusthermometers.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_366.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)