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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„Nur zum Teil! Was mich besonders interessierte, die Jugend und die Offiziere aus der Stadt, deren Plätze hab’ ich bestimmt – das übrige hat Papa sich nicht nehmen lassen, war mir auch gleichgültig!“

„Wo wird Baroneß Doßberg sitzen?“

„Warum?“ Des jungen Mädchens Stimme klang scharf und hart.

„Warum? Sonderbare Frage! Georges’ wegen, er ist ja doch offenbar im besten Fahrwasser!“

„Und Du billigst das vielleicht?“

„Meine Billigung oder Mißbilligung würde ihn ohne allen Zweifel ganz kalt lassen. Er wird doch in der Nähe seiner Angebeteten sein wollen.“

„Ist mir gleichgültig. Mir genügt es, zu wissen daß wir beide, Du und ich, nebeneinander sitzen.“ Ob dies Botho gleichfalls genügte, blieb dahingestellt, jedenfalls antwortete er nicht.

Indessen hatte Ilse sich von Herrn von Montroses Arm frei gemacht und ihre alten Bekannten begrüßt – sie konnte es aber nicht hindern, daß der Herr des Hauses in ihrer Nähe blieb. Unterwegs hatte sie ihrem Vater gelobt, ganz ruhig zu sein – aber sofort, da sie am Arm Montroses einherging, hatte sie wieder dies innerliche Zittern, diese Machtlosigkeit gespürt wie immer in seiner Nähe. Sie gab es auf, darüber zu grübeln, sie nahm es hin wie etwas, dem sie sich eben unterwerfen mußte. Den Begrüßungen mit den alten Bekannten hielt sie tapfer stand. Faft alle waren freundlich und zuvorkommend gegen sie wie gegen ihren Vater – Ilse war freilich klug genug, zu wissen, daß dies bei vielen nur Maske war, daß sie ihr die Demütigung gönnten. Am besten kam sie mit der Herrenwelt zurecht, die bei soviel Jugend und Schönheit jederzeit liebenswürdig zu sein pflegt und es auch heute war. Ihr alter Freund, Landrat Melchior, stand Ilse treu zur Seite, er hatte ihren Vater bereits mehrfach im Verwalterhause besucht, war auf dem Laufenden mit allen Verhältnissen der Doßbergschen Familie und quälte Ilse weder mit taktlosen Fragen, noch mit mitleidigen Blicken, wie es wohl von anderen geschah. Nur nahm der wackere Herr zu seinem ungemessenen Staunen wahr, daß sein Liebling, seine Ilse, die heute das Aussehen und die Haltung einer jungen Königin hatte, merkwürdig unsicher und befangen in Ausdruck und Gebärde wurde, sobald der Herr des Hauses ihr nahe kam oder das Wort an sie richtete. Es fiel dem Landrat ein, daß Ilse sich schon damals so sonderbar betragen hatte, als er sie zu jener Bitte Herrn von Montrose gegenüber veranlassen wollte ... sollte es denn möglich sein? Aber es war ja nicht zu denken – ein Mann, der erwachsene Kinder hatte, und die schöne junge Ilse, die dieses Mannes Tochter sein könnte! Freilich, der Fall wäre nicht der erste – Ilse war arm, ganz arm, und für Doßberg würden mit einem Schlage alle Schwierigkeiten gelöst sein.

Unbehaglich schob der Landrat seine Schultern hin und her – was ihm auch für ungemütliche Gedanken kamen! Sicher war er der einzige hier, der solch wunderlichen Einfällen nachhing. Anstatt sich der glänzenden Versammlung zu freuen, das Auge an der wirklich großartiger Pracht ringsum zu weiden und im voraus das wahrscheinlich auserlesene Mahl zu würdigen, machte er allerlei gewagte Gedankensprünge. Augenblicklich bot die Situation ja doch gar nichts Bedenkliches! Die Offiziere aus St. umstanden Baroneß Doßberg und baten schon zum voraus um diesen Tanz und jenen Tanz; aber sie zogen lange Gesichter. Wie – Baroneß wollte gar nicht zum Tanz bleiben, wollte gleich nach dem Essen fort, da die Mutter sie entbehre? Das war ja undenkbar, war einfach unmöglich, man gedachte, sich hier bis tief in die Nacht hinein zu amüsieren, und dabei sollte Baroneß fehlen? Da mußte Kamerad Montrose herbei, er mußte helfen bitten, die Gnädige umstimmen! Man wollte eine Massenpetition zur gnädigen Frau Mama hinüberschicken, Mütter seien immer selbstlos, und da doch Baroneß einmal hier sei – – sie redeten einzeln, sie redeten im Chor, aber Ilse schüttelte standhaft den Kopf und blieb bei ihrem Entschluß. Wie sollte sie es diesen Herren begreiflich machen, daß ihre arme Mutter gar nichts von der Existenz eines Hauses Montrose, von einem Besitzwechsel der „Perle“ ahnte und daß Ilse unter dem Vorwand heftiger Kopfschmerzen heute für einige Stunden vom Krankenbett fern blieb?

Horch! Ein Trompetenstoß! Das Zeichen, sich zur Tafel zu begeben! Feierlich wurden die alten schweren Flügelthüren zurückgeschlagen. Oben in der Eingangshalle auf der vergoldeten Galerie, welche die beiden Treppen verband, standen vier in mittelalterliche Tracht gekleidete Herolde und luden die Gäste zu den Freuden der Tafel. Langsam wand sich der bunt gleißende Zug aufwärts und glitt rechts in den Bankettsaal. Hier hatten die hohen Bogenfenster die berühmte Glasmalerei, Wände und Decke waren von kundiger Künstlerhand mit Kindergruppen geschmückt, die Wildbret und Geflügel herbeischleppten, einander ganze Traubenlasten und leuchtende Fruchtgewinde reichten und aus riesigen Humpen Wein einschenkten. Die freudig brausenden Klänge der Musik empfingen die Eintretenden, und Blumen, Blumen grüßten überall; wer mochte an den Winter glauben, an Kälte und Schnee bei solchem Anblick!

Als Ilse von Doßberg, die den jungen Grafen Röstem, ihren Jugendgespielen, zum Tischnachbar hatte, sich nach dem Herrn an ihrer anderen Seite umsah, fand sie – den Gastgeber. Wieder ganz in seine Nähe gebannt und zwar stundenlang! Seine Stimme hören, in seine Augen sehen ... welche Qual! Und was sie bisher, umringt von so viel Fremden, nicht hatte thun können, sie mußte es jetzt thun: ihm ihren Dank aussprechen für die Gabe, die er ihr gestern gesandt!

Der junge Graf Röstem war ein angenehmer, aber ziemlich unbedeutender junger Mann, kaum zwei Jahre älter als Ilse, der er schon als kleiner Knabe sich blindlings untergeordnet hatte. Das geistig wie körperlich ungewöhnlich kräftig entwickelte Mädchen hatte den etwas unbeholfenen gutmütigen Jungen tüchtig herumkommandiert, was er sich gern gefallen ließ, da Ilse ihn bei alledem gern mochte und gut behandelte. Er hatte keine eigenen Gedanken, „ihm fiel nie etwas ein^, wie Ilse schon als achtjähriges Kind klagte, um so lieber fügte er sich in all’ die Rollen, die seine Gespielin ihm zuteilte, mit mehr gutem Willen als Geschick; kurz, im großen und ganzen hatten sich die beiden stets vortrefflich miteinander vertragen. Daß sie an Guido keinen sehr beredten Kavalier haben würde, wußte Ilse genau, und richtig, als die üblichen Fragen. „Wie geht es Deiner Mama, Ilse?“ „Ist Deine verheiratete Schwester schon nach dem Süden gegangen, Guido?“ „Ist denn Armin zu den Ferien nicht hergekommen?“ „Geht Dein neues Reitpferd gut?“ und derartige Dinge durchgesprochen waren, geriet die Unterhaltung ins Stocken.

(Fortsetzung folgt.)




Ludwig Kossuth.


Am 20. März 1894 ist zu Turin der einstige Diktator von Ungarn, der berühmte Führer der magyarischen Unabhängigkeitspartei, als ein 92jähriger Greis gestorben. Obwohl im Jahre 1867 auch ihm Amnestie zu teil wurde, obwohl wiederholt Abordnungen ihn zur Rückkehr nach Ungarn aufforderten und obwohl sein Herz heiß nach dem geliebten Vaterlande verlangte, hat er es doch nicht über sich vermocht, von der Gnade Gebrauch zu machen, die ihm angeboten wurde.

Ludwig Kossuth wurde am 16. September 1802 in Monok im Zempliner Komitat geboren. Sein Vater war ein in geordneten Verhältnissen lebender ungarischer Adliger, seine Mutter, eine Deutsche, war eine edle gemütvolle Frau, und Briefe Kossuths an sie bezeugen, daß er eine innige, ja schwärmerische Verehrung für sie hegte. In den Tagen der Trauer und in den Stunden des Glückes schrieb er ihr, denn sie liebte ihren Sohn über die Maßen und war das einzige Wesen auf Erden, das immer zu seiner Sache hielt.

In seinem dreiundzwanzigsten Lebensjahre kam Kossuth nach der ungarischen Hauptstadt, um hier die Rechte zu hören. Er wurde bald ein gesuchter Advokat in Sátoralja-Ujhely, doch bekam er die kleinen Chicanem denen er ausgesetzt war, satt und siedelte nach Pest über. Seine glänzenden Fähigkeiten wurden bald bemerkt und er wurde vom Baron Wesselényi nach Preßburg gerufen, wo ihm die Redaktion eines kleinen Blättchens, der „Landtagszeitung“, übertragen wurde. Obwohl dieses „Organ“ in kaum hundert Exemplaren erschien und, nebenbei bemerkt, geschrieben wurde, erregten doch die kurzen politischen Betrachtungen desselben großes Aufsehen. Diese Aufsätze vertraten die liberalen Ideen und waren geistvoll und mutig geschrieben. Die Regierung unterdrückte das kleine Blatt, Kossuth wurde des Hochverrats beschuldigt, 1837 angeklagt und nach einer langwierigen Untersuchung 1839 zu vier Jahren Kerker verurteilt. Fast zwei Jahre blieb er in der Festung Munkacs eingekerkert, und in dieser Zeit mag sich wohl der Haß in ihm festgesetzt haben, der ihn Zeit seines Lebens nicht mehr verließ. Schon 1841 begann Kossuth

in dem von ihm gegründeten ersten ungarischeu Tageblatte „Pesti Hirlap“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_236.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2020)