verschiedene: Die Gartenlaube (1894) | |
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Mithridat und Theriak. Zwei gewiß für viele fremdklingende Namen! Dennoch spielten sie einst eine hochwichtige Rolle und eine wahre Verehrung knüpfte sich daran. Das eine ist aus dem anderen hervorgegangen, beide galten als die weitaus berühmtesten Heilmittel und Jahrhunderte hindurch standen sie in höchstem Ansehen, ja selbst das 19. Jahrhundert zollte ihnen noch seinen Tribut.
Kein Geringerer aber auch als der mächtige König Mithridates von Pontus war es, der dem „Mithridat“ den Namen gab, er selbst war dessen Erfinder. Es kann dies nicht wunder nehmen; ist es doch geschichtlich bezeugt, daß der pontische König eine ungemeine Furcht vor Vergiftung hegte und daß er deshalb der Erforschung der Gifte und Gegengifte eifrigst oblag. An sich selbst zunächst, dann aber auch an Höflingen und Verbrechern erprobte er die Wirkung seiner Mittel, und er soll durch täglichen Gebrauch sich so an Gift gewöhnt haben, daß im entscheidenden Augenblick – als er im Jahre 63 v. Chr., von Pompejus besiegt, von seinem Sohne verraten, sich selbst vergiften wollte – die Giftwirkung versagte. Auf seinen Befehl mußte ein Sklave ihn töten.
Dem glücklichen Sieger Pompejus aber verfiel auch die Vorschrift zu dem damals bereits berühmten Heilmittel, dem „Mithridat“, ein Fund, wie Plinius berichtet, „bedeutender für die Gesellschaft als selbst der Sieg für den Staat“. Das „Mithridat“ zeigte eine äußerst verwickelte Beschaffenheit, über ein halbes Hundert Bestandteile enthielt es, und obwohl im Anfang nur als Gegengift berühmt, galt es doch bald als besonderer Schutz gegen alle ansteckenden Krankheiten.
Dieses „Allheilmittel“ nun suchte ein Jahrhundert später – um
60 n. Chr. – Neros Leibarzt Andromachus dadurch zu verbessern, daß er
der latwergenartigen Mischung noch verschiedene andere Dinge, hauptsächlich
aber Schlangenfleisch hinzufügte, und von da soll sich die Bezeichnung „Thyriak“,
später „Theriak“ – nach der Schlange „Thyrus“ – herleiten. Wie dem
auch sei, jedenfalls galt der Theriak bereits den Römern als hochgeschätztes,
ja geweihtes Medikament, und durch fast zwei Jahrtausende bewahrte er
seinen Ruf. Mit ganz besonderer Sorgfalt, unter obrigkeitlicher Aufsicht
und unter Entfaltung großer Feierlichkeiten – Glockengeläute, Musik und
militärischen Aufzügen – ward er bereitet, es war eine hochwichtige
Staatsaktion, und geraume Zeit vorher schon waren alle Bestandteile
dieses Wundermittels im unzerkleinerten Zustand zu jedermanns
Einsicht ausgestellt. Die letzte mit allem Pompe umkleidete öffentliche
Herstellung des „himmlischen Theriak“, wie er gepriesen wurde, geschah
im Jahre 1754 in Nürnberg, und zwar in der noch heute bestehenden
Kugelapotheke. Erwähnt auch die Geschichte von da ab keiner besonderen
Feier mehr bei seiner Bereitung, so war er nichtsdestoweniger noch immer
geschätzt, und die Vorschrift des Andromachus ging in alle Arzneibücher
über, ja, die im Jahre 1880 ausgegebene „Pharmacopoea Germanica“,
das Deutsche Arzneigesetzbuch, nahm noch Notiz davon, wenn auch
nur im Auszug. Die Aerzte von heute aber verwenden das einst mit
so wunderbarem Nimbus umgebene Mittel nicht mehr, völlig verschwunden
aus dem Arzneischatz der Apotheken ist es jedoch immer
noch nicht. Ab und zu verlangt noch ein Bäuerlein nach seiner heilwirkenden
Kraft, hat er doch von seinem Großvater gehört, daß „Theriak“,
mit Schnaps gemischt, ein vorzügliches Magenmittel sei, und daß er, in
Warmbier gegeben, Pferden und Kühen wie überhaupt allen Stallbewohnern
die Kolik vertreibe! Fragt ein Wißbegieriger schließlich nach
der Zusammensetzung des Theriak, so mag er erfahren, daß er zur Zeit
kaum ein Dutzend Bestandteile hat: Angelika, Baldrian, Meerzwiebel,
Zimmet, Cardamomen, Myrrhe und Eisen, sowie geringe Mengen Opium; das Schlangenfleisch aber, woher er wie erwähnt seinen Namen erhielt, fehlt. Schmidt-Beerfelden.
Feiertagsvergnügen. (Zu dem Bilde S. 136 und 137.) Ein Volk von unverwüstlicher Zähigkeit sind sie, die Bewohner des Hochgebirgs. Schwer und mühselig ist ihre Arbeit die Woche über, doch Sonn- und Feiertage finden sie immer noch aufgelegt zu den erklecklichsten Kraftleistungen. Davon wissen die Wirte, die Gendarmen und die Bader unserer Gebirgsdörfer manch heißes Stücklein zu erzählen, und auch unser Bild von Oscar Graef „Feiertagsvergnügen“ liefert dafür einen zum Glück harmloseren Beweis. Zwar die älteren gesetzten Männer ziehen es vor, in ruhiger Beschaulichkeit unter dem Vordach der Almhütte ihre Pfeife zu schmauchen. Die jungen Burschen aber haben sich das Vergnügen des Bockspringens zum Zeitvertreib erkoren, und wie sie mit Herz und Seele dabei sind, das sprüht dem vordersten von ihnen so recht aus den Augen und allen Muskeln seines guten derben Gesichts. Der Lohn für gelungene Leistungen bleibt aber auch nicht aus. Schallender Beifall aus dem Munde des zuschauenden Dirndls schlägt an das Ohr des Springers, und wenn die Reihe wieder an ihn kommt, dann werden seine Beine samt den schwerbenagelten Bergschuhen noch höher fliegen und seine Augen noch lustiger strahlen als diesmal.
Neue Gedichte von Anton Ohorn. Unter dem Titel „Brevier und Fiedel“ hat der unsern Lesern wohlbekannte Dichter Anton Ohorn eine neue Sammlung seiner lyrischen Erzeugnisse herausgegeben (Großenhain und Leipzig, Baumert und Ronge). Sie zerfällt in zwei Abschnitte „Im Festkreis des Jahres“ und „Lieder und Geschichten“. In dem ersteren werden Neujahr, Palmsonntag, Ostern, St. Johannistag, Pfingsten, Weihnachten, Sylvester besungen, und zwar sowohl nach ihrer religiösen Bedeutung, als auch nach den stimmungsvollen Naturbildern, von denen diese Tage gleichsam umrahmt sind. Indessen ist das, was uns Ohorn hier bietet, kein kalendarischer Singsang, es sind alles Lieder, die aus dem Gemüt hervorquellen; besonders gelungen sind die drei Gedichte „St. Johannistag“. In dem zweiten Abschnitt finden sich neben schlichten Liedern auch Gedichte auf die deutschen Kaiser, auf Moltke, auf Uhland und Körner, in denen ein vollerer Ton angeschlagen ist. Sehr anmutig sind die „Troubadourweisen“; sie sind einfach, aber es schwebt darüber ein poetischer Hauch, z. B.:
„Mein Herz ist gewandert jahrelang
Und konnte den Frühling nicht schauen;
Mit einmal kam er mit süßem Drang,
Mit Augen, lachenden, blauen;
Bist meiner Lieder goldner Quell,
Du lieblichste der Frauen!“
In andern Liedern spricht sich eine tüchtige kernhafte Gesinnung aus, so in dem ersten Gedicht des Abschnitts „Habe Mut!“, das Ohorn seinerzeit für den „Gartenlaubekalender“ gedichtet hat und von welchem wir hier die zwei letzten Strophen mitteilen:
„Scheint in langen Winterwochen
Trostlos die Natur erschlafft,
Unterm Eise ungebrochen
Schlummert ihre Lebenskraft,
So daß all dein Wünschen ruht,
Wieder färben sich die Wangen:
Habe Mut!
Jeder Lenz hat seine Blüten,
In des ärgsten Winters Wüten
Strahlt der Sonne mildes Licht.
Was des Jahres Lauf auch bringe,
Wechselnd steigt und fällt die Flut;
Habe Mut!“
Unter den Palmen des Val di Sasso bei Bordighera. (Zu dem Bilde S. 133.) Bei den Dichtern, Malern und Wanderern aller Nationen genießt das durch seine Scheffel- und andere Palmen männiglich bekannte Städtlein Bordighera an der Riviera di Ponente den wohltönenden Namen des „italienischen Palmyra“, d. h. „Palmenstadt“, oder des „ligurischen Jericho“. Es ist schon richtig, man braucht kein besonders phantastisches Hirn zu haben, um sich hier alsbald nach Syrien oder Palästina zu träumen: unzählbare Palmbäume kommen uns zu Hilfe, Palmen, im Freien geboren und erwachsen.
Wie sie da stehen, einzeln, in Gruppen wie das Dutzend Scheffelpalmen um die alte Cisterne her, zu Gebüschen, zu Wäldern zusammengeschlossen, anspruchslos in ihren Standorten, nicht bleichsüchtig oder zimperlich und ausstellungskokett wie ihre warmhausgeborenen Schwestern, hier dicht gegen die Wellen vorschreitend, dort auf dem Hügel über die Oliven hinausragend, unter Orangen und Citronen gemischt, als Alleebaum, als Heckenpflanze, als Handelsartikel in Reih’ und – Kübel gepflanzt! Die Landschaft sieht fast nicht mehr italienisch aus; uns ist, als wären wir ins Morgenland versetzt, und die bräunlichen Mädchen von Bordighera, die da herabsteigen zu den palmenumschatteten Brunnen, das Wasser zu schöpfen, werden krügetragende Rebekken, zu denen wir als Eleazar aus dem Norden herantreten würden, sie um einen Trunk zu bitten, wenn der köstliche Wein der Küste nicht dem Cisternenwasser vorzuziehen wäre.
Am wirkungsvollsten erscheint die Palme allein und in der Einsamkeit:
über eine Klippe meerwärts wie ein Pilger zum Trinken über den
Bach geneigt, in den stillen Seitenthälern, wie eine Oase aus dem silbergrauen
Meere der Olivenwaldungen hervorragend. Der verständnisinnige
Wanderer steigt in die nahen Thäler hinein; bequem in das kleine Thal
des Sasso, das östlich von der Stadt eine Strecke in die Hügel hineinbringt
und sich eine Menge schöner Palmen mitgenommen hat. Seine
Schwesterthäler sind Valle Crosia und Valle Nervina. Hundert Maler
können nicht in hundert Jahren die Schönheiten malen, die hier sich
unter der mächtigen Sonne zusammendrängen. W. Kaden.
Fortschritte der Lebensversicherung in Deutschland. Nach der von Professor Conrad in Halle herausgegebenen Statistik bezifferte sich der Bestand der in Berechnung gezogenen 38 deutschen Gesellschaften Ende des Jahres 1892 auf 939 462 Policen mit einer Gesamtversicherungssumme von 4104 Millionen Mark. Mit anderen Worten: jeder zehnte Familienvater im Deutschen Reich hat seinen Angehörigen für den Fall seines Todes – oder auch früher – ein Kapital von durchschnittlich 4369 Mark sichergestellt. Das ist immerhin ein schöner Erfolg, wenn man rückblickend die Entwicklung der Lebensversicherung verfolgt.
1827 erscheint der erste schüchterne Versuch; die „Gothaische“ – noch heute mit 632 Millionen Mark Versicherungssumme an der Spitze marschierend – wird von Arnoldi gegründet. 1829 finden wir 2 Anstalten mit 1448 Personen und 8 Millionen Versicherungssumme; zehn Jahre später sind sie auf 6 Anstalten mit 17 978 Personen und nahezu 77 Millionen Mark angewachsen, 1849 haben wir 10 Anstalten, 34 734 Versicherte und 137 Millionen Mark Versicherungskapital. Während so der Bestand an Versicherten und die Gesamtversicherungssumme fortwährend und stetig steigt, zeigt der Durchschnittsbetrag, d. h. die durchschnittliche Einlage eines Versicherten, merkwürdige Schwankungen: vom Jahre 1829 ab, wo sie sich auf 5578 Mark belief, bis zum Jahre 1869, wo sie nur 2876 Mark aufwies, machte sich eine fortwährende Abnahme bemerkbar; von da ab fing sie wiederum an zu steigen, bis sie 1879 auf 3525 Mark, 1889 auf 4182 Mark, 1892 auf 4369 Mark angekommen war. Dies erklärt sich wohl dadurch, daß sich ursprünglich nur die besitzenden Klassen beteiligten, die größere Summen versicherten, später aber auch viele kleinere Leute beitraten; das Sinken des Geldwertes aber drängte dann wieder alle Stufen auf eine Erhöhung der versicherten Summen hin.
Inhalt:
[ Verzeichnis des Inhalts von Heft 9/1894 - hier nicht dargestellt.]
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_148.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)