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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Perlen deutscher Dichtung. Den feinsinnigen Herausgeber Otto Braun haben unsere berühmten Sänger aufs beste unterstützt, und die Verlagsbuchhandlung hat der Sammlung ein des Inhalts würdiges Kleid gegeben und sie mit sechs sauber ausgeführten Kunstbeilagen geschmückt. An der Spitze stehen Prosadichtungen. „Fräulein Susannens Weihnachtsabend“, eine Humoreske von Marie von Ebner-Eschenbach, die mit einfachen Mitteln einen rührenden Eindruck hervorruft, und eine Novelle von Max Haushofer, „Der Floßmeister“, eine stimmungsvoll beleuchtete und gut erzählte Geschichte aus dem Volksleben. Beide Erzählungen zeigen einen gemeinsamen Zug: die schmerzliche Täuschung braver Menschen, welche aber in sich die Kraft finden, sich über dieselbe hinwegzusetzen. Den Reigen der poetischen Erzählungen eröffnet das umfangreiche Gedicht „Gulnare“ von Otto Roquette, es behandelt jene orientalische Mär von dem Fischer, welcher Sultan wird und die Tochter des Veziers heirathet, die er, ohne es zu wissen, früher als Ware in einem Korbe vom Markte nach Hause getragen hat. Die Erzählung geht einher in der weitbauschigen Gewandung des Ostens, aber der behaglich plauderhafte Ton hat etwas Anmuthendes. Eine kecke Anekdote behandelt Heinrirh Kruse mit gewohnter Naivität in „Godiva“; die Erzählung „Liebet eure Feinde!“ von Karl Woermann, in Terzinen abgefaßt, singt das Lied von einem braven Manne, der ebenso tapfer dem Feind wie dem Vorurtheil trotzt und zu Grunde geht, indem er einem Nebenbuhler das Leben rettet. Farbenprächtig ist „Don Juans Ende“ von Ernst Eckstein, der uns den gefährlichen Besieger der Frauenherzen als einen Reuigen und doch Unverbesserlichen vorführt, und „Die letzte Rose“ von Adolf Stern, welcher den Tod eines im russischen Feldzug 1812 aus dem Leben scheidenden Italieners schildert. Den knappen Ton der schottischen Balladen trifft Ernst Ziel in „Frau Gonerill“ und „Kathrin von Liebenzell“. An Herweghsche Dichtweise klingt „Béranger“ von Johannes Proelß an. Sonst finden sich unter den Balladen neben Bildern aus der Geschichte poetische Anekdoten und Genrebilder. Hermann Lingg, Heinrich Vierordt sind die Verfasser der Gedichte getragenen Stils; Stephan Milow, Johannes Trojan, Carl Weitbrecht u. a. haben die Genrebilder beigesteuert. Werthvolles enthält auch der Abschnitt „Gedichte verschiedenen Inhalts“. Graf von Schack in seiner Epistel erklärt dem fränzösischen Chauvinismus den Krieg, feiert aber die Großthaten Frankreichs in Kunst und Litteratur, Adolf Wilbrandts Gedicht „Auf dem Kalvarienberg“ hat den Schwung der Hymne; geheimnißvoll beleuchtet ist „Abwärts“ von Wilhelm Jensen; „Lucifer“ von Felix Dahn und „Walpurgis“^ von Rudolf von Gottschall sind zwei an altbiblische Ueberlieferung und neue Volkssage anknüpfende Gedankendichtungen, von denen die erstere an Lord Byrons Mysterien erinnert. In diesem Abschnitt und in dem folgenden, „Lyrische Dichtungen“, begegnen wir einer großen Zahl namhafter Sänger neben minder bekannten Talenten; wir heben aus der langen Reihe den durch mehrere eigenartige Lieder vertretenen Johann Georg Fischer, ferner Emil Rittershaus, Julius Rodenberg, Max Kalbeck, Martin Greif, Prinz Emil von Schönaich-Carolath, Alberta von Puttkamer, Carl Hecker, Ludwig August Frankl, Arthur Fitger, Heinrich Bulthaupt, Georg Scherer hervor. Zur Spruchdichtung haben Ludwig Fulda, Adolf Pichler, Max Kalbeck Treffendes beigesteuert. Kaum eine Tonart, welche die neue Lyrik angeschlagen, ist in dem „Musen-Almanach“ unvertreten, und das Publikum, so verschieden seine Geschmacksrichtung sein mag, findet hier seine Lieblinge wieder.

Der Porträtmaler.
Nach einem Aquarell von A. Greil.

Navidad. Allenthalben diesseit und jenseit des Oceans hat man in dem zu Ende gehenden Jahre den vierhundertjährigen Gedenktag der Entdeckung Amerikas gefeiert. Millionen von Europäern haben inzwischen in der Neuen Welt eine neue Heimath gefunden und wetteifern mit dem alten Mutterlande Europa in den Werken des Friedens. Aber den ersten weißen Ansiedlern „drüben“ hat kein glücklicher Stern geleuchtet; kurz und traurig ist die Geschichte der ersten spanischen Burg in der Neuen Welt, welche den Namen „Weihnachten“ trug.

Am 24. Dezember 1492 befand sich Kolumbus mit dem Admiralsschiff „Santa Maria“ und dem kleineren Schiffe „Niña^ auf einer beschwerlichen Fahrt an der Nordwestküste von Haiti. Zwei Tage lang hatte er kein Auge zugethan und erschöpft begab er sich nach seiner Kajüte in der Meinung, daß er das Steuer sicheren Händen anvertraut habe. Aber kurz vor Mitternacht scheiterte das Admiralsschiff auf einer Sandbank. Dieser Unglücksfall, bei welchem die Mannschaft und die Ladung des Schiffes gerettet werden konnten, wurde als eine göttliche Fügung betrachtet und gab den Anlaß zur Gründung der ersten spanischen Ansiedlung an jenem Orte.

Haiti war den Spaniern so verlockend erschienen, daß sie die Insel Espagnola genannt hatten. „Ihre Berge und Ebenen, ihre Auen und Fluren sind so schon und üppig!“ schrieb Kolumbus. „Hier könnte man alle Feldfrüchte bauen, alle Art Vieh züchten, Städte und Dörfer gründen!“

Vor allem aber zeichnete sich die Insel in den Augen der Spanier durch ihren vermeintlichen Goldreichthum aus. So erklärten sich auch 39 Begleiter des Kolumbus gern bereit, hier zu bleiben; sie hofften, durch Tauschhandel mit Eingeborenen rasch reich zu werden. Sie errichteten ein Kastell, und Kolumbus gab ihm den Namen „Navidad“, d. h. Weihnachten. Am 4. Januar 1493 nahm er Abschied von den ersten Kolonisten Amerikas. „Ich hoffe zu Gott,“ hatte er noch am zweiten Weihnachtstage in sein Tagebuch geschrieben, „daß ich bei meiner Zurückkunft von Kastilien hier eine Tonne Goldes finden werde, welche die Zurückgebliebenen eingetauscht haben, und daß diese inzwischen die Goldminen selbst und die Spezereien in solcher Fülle entdeckt haben, daß, ehe drei Jahre vergehen, der König und die Königin die Eroberung Jerusalems in Angriff nehmen können.“

Trügerische Hoffnungen! Am 27. November 1493 erschien Kolumbus auf seiner zweiten Entdeckungsreise wieder vor Navidad. Kein Spanier kam ihm entgegen. Er fand nur die Trümmer des Kastells, und in dem Grase der Umgegend einige Leichen. Soviel von den Indianern der Umgebung herauszubringen war, hatten die ersten Ansiedler der Neuen Welt sich Uebergriffe gegen die Eingeborenen zu Schulden kommen lassen, wurden angegriffen und sämmtlich getötet.

So knüpfen sich traurige Erinnerungen an das erste Weihnachtsfest der Christen jenseit des Atlantischen Oceans. *      

Der Porträtmaler. (Mit Abbildung.) Es ist keiner der bedeutendsten in seiner Kunst, der Meister, den unser Bildchen darstellt. Einst mag es wohl Zeiten gegeben haben, da er sich selbst für ein Genie hielt, da ihm der Himmel voller Geigen und voller – Bestellungen hing. Aber die grausame Welt, sie hat ihn schnöd verkannt und achtlos hinweggesehen über sein künstlerisches Lockenhaupt, sein genial blitzendes Auge und seine mittelmäßigen Bilder. Schritt um Schritt hat er so seine Ansprüche herabstimmen müssen, und heute ist er froh, eine recht bescheidene „Schönheit“ des Städtchens auf der Leinwand verewigen zu dürfen. Aufrecht und steif sitzt ihm die ältliche Dame, der Maler aber arbeitet mit grimmigem Eifer an ihrem Konterfei. In seinem Hirne spuken wohl noch die Träume von wunderbaren Frauenköpfen, an denen er sich einst begeistert und die er als den einzig würdigen Stoff für seinen Pinsel erachtet hat. Es hat nicht sollen sein! Doch ein süßer Trost ist ihm geblieben: seine Auftraggeberin wird es ihm nicht verübeln, wenn er seinem Talent die Zügel schießen läßt und ein klein wenig „idealisiert“.

Spiegelnde Kohle. Bekanntlich ist der Diamant mit der Steinkohle genau dasselbe seiner Natur nach; seiner „Zusammensetzung“ nach kann man nicht sagen, denn die Kohle gehört zu den „Elementen“, zu den nicht zusammengesetzten Körpern. Der Diamant ist krystallisierter Kohlenstoff. Nun wird man es begreiflich finden, daß es seit lange die Beschäftigung von Naturforschern gewesen ist, den amorphen – nicht krystallisierten – Kohlenstoff in die krystallisierte Form überzuführen. Abgesehen von der wissenschaftlichen Bedeutung liegt die riesige industrielle Wichtigkeit der Lösung dieser Frage auf der Hand. Die Versuche, die Kohle zu schmelzen und dadurch zur Krystallisation zu zwingen, haben aber bis jetzt noch zu keinem entschiedenen Ergebniß geführt, obgleich schon wiederholt von einzelnen behauptet worden ist, daß es ihnen gelungen sei.

Nunmehr berichtet ein Forscher, W. Luzi, in den „Berichten der deutschen Chemischen Gesellschaft“ von einer Entdeckung, die zwar nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_838.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2023)