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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


unverletzten Rechten Kapuze und Mantel ab, schraubte die Gasflamme höher und trat vor den Spiegel, der sich in kristallener Klarheit über dem Kamin erhob – so stand sie und lächelte noch immer, als Schritte über den Gang kamen und zugleich mit dem hastigen Pochen die Thür aufgerissen ward.

Das junge Mädchen glaubte, ihr Vater sei es, und wandte sich freundlich um – im gleichen Augenblick zitterte ein leiser Schrei des Erschreckens durch den wohligen kleinen Raum.

„Friedrich!“

Der Mann, der da eingetreten war, sah auch zum Erschrecken aus – bleich, das blonde Haar feucht an der Stirn klebend, und in den Augen, die tief in dem abgemagerten Gesicht lagen, ein unheimliches Feuer.

„Ich sah Dich eben heimkehrend begann er, auf sie zutretend, „und beeile mich, Dich zu begrüßen. Es geht Dir gut, wie ich sehe, und ich hätte mir die Angst, die ich mir Deines gänzlichen Verstummens wegen machte, füglich ersparen können. Da ich aber einmal hergekommen bin, so möchte ich jetzt wenigstens nur als Dein erklärter Bräutigam wieder abreisen; Du wirst mir das nicht verdenken können, und es muß auch Dir angenehmer sein als diese Heimlichthuerei. Ich bitte Dich also, gehe jetzt mit mir zu Deinem Vater oder lasse ihn meinetwegen holen, damit die Sache einen Abschluß findet!“

Sie war erblaßt zurückgetreten, bis in die tiefe Fensternische, die ihr Nähtischchen barg. Der Schreck, sein unvermitteltes bestimmtes Verlangen, das unangenehme Bewußtsein, mit ihm gespielt zu haben, machten sie fast besinnungslos vor Angst. „Papa ist nicht zu Hause,“ stammelte sie.

„So werde ich warten.“

Er zog einen Stuhl zum Kamin. „Wollen wir nicht plaudern?“ fragte er mit der nämlichen unheimlichen Ruhe.

„O, ich bitte, gehen Sie!“ flehte sie jetzt. „Kommen Sie morgen wieder, ich bin jetzt nicht in der Stimmung, zu sprechen.“ Sie deutete auf ihre verwundete Hand.

Abschied.
Zeichnung von W. Leo Arndt.
Illustrationsprobe aus der neuen Cotta’schen Prachtausgabe von Uhlands Gedichten.

„Man merkte vor ein paar Minuten davon allerdings nichts,“ erwiderte er, ihre förmliche Anrede nicht beachtend, „ich hörte Dein Lachen über den ganzen Garten schallen und zum Plaudern schien Dir selbst der zugige Platz vor der Hausthür recht. Hier innen ist’s aber doch behaglicher – also bitte! Was Du einem Fremden zugestehst, wirst Du wohl Deinem Bräutigam nicht versagen?“

Sie war während seines Sprechens näher getreten. „Ich bin allein zu Haus und muß Sie nochmals dringend ersuchen, dieses Zimmer zu verlassen!“ sprach sie mit vor Aufregung bebender Stimme.

„Warum denn?“ fragte er. „Wir waren ja in dem Gartenhäuschen auch allein, als wir uns verlobten!“

„Sie wollen mich ängstigen und beleidigen!“ rief sie heftig, und die bisher mühsam zurückgehaltenen Thränen stürzten ihr aus den Augen.

Da war er auch schon herübergekommen und hatte ihre Hand ergriffen. „Du glaubst ja selbst nicht, was Du sagst, Kind,“ sprach er. „Du hast mich noch ebenso lieb wie vor ein paar Monaten, als Du mir zugeschworen, falls Dein Vater die Verlobung nicht zugeben würde, mit mir heimlich davonzugehen.“

„Nein! Nein!“ rief Therese und entriß ihm die Hand, „das habe ich nie gesagt, das bilden Sie sich ein!“

„Ich habe es zum Glück schriftlich! Gleich im ersten Briefe stand es, und diese Stelle hat mich immer wieder getröstet in den letzten Wochen des Zweifels. Also, sprich, Therese, ist Dein Vater noch immer gegen unsere Verbindung?“

„Er ist’s noch ebenso. Und – ich –“

„Du?“

„Ich habe eingesehen, daß er recht hat!“ Sie setzte sich nach diesen Worten auf die Chaiselongue und blickte an ihm vorüber mit dem ungeduldigen Gesichtsausdruck einer Frau, die um jeden Preis eine peinliche Unterredung abgekürzt sehen möchte.

„Therese, das ist nicht wahr! Das kann, das darf nicht Dein Ernst sein! Du mußt Deine Liebe mir bewahrt haben, Deine Briefe könnennicht lügen! Du bist doch kein gewöhnliches Mädchen, Du stehst über diesen spießbürgerlichen Vorurtheilen, Du bist imstande, der Welt Trotz zu bieten und auch ohne Deines Vaters Einwilligung mein zu werden. Versuche es noch einmal mit Güte bei ihm, und schlägt es fehl, dann – dann laß uns die Schiffe hinter uns verbrennen; es giebt noch irgend einen Fleck auf der Welt, wo wir – –“

„Sie meinen,“ fragte Therese Krautner mit eisiger Ruhe, „ich soll heimlich den Vater verlassen, mich in eine ungewisse abenteuerliche Zukunft stürzen?“

„Dein Vater wird sich, muß sich später versöhnen lassen –“

„Ich habe gar keinen Sinn für romantische Unternehmungen,“ schnitt sie ihm das Wort ab, „ich finde es hier schöner als irgendwo in der ganzen Welt! In meinen Augen ist Andersheim die reizendste Stadt, die ich kenne. Und nun, bitte, gehen Sie; es wäre mir nach dem Gesagten doppelt peinlich, wenn das Mädchen käme und Sie hier fände.“

„Nein!“ sagte er leidenschaftlich, „ich gehe nicht! Du bist mir Rechenschaft schuldig; Du hast mich alle Qualen der getäuschten Erwartung, der Verzweiflung durchkosten lassen – nun sprich: woher auf einmal diese Wandlung?“

Er war näher getreten und hatte drohend die Hand auf ihre Schulter gelegt.

Da sprang sie, außer sich, empor. „Papa! Papa!“ rief sie zur Thür hinausstürzend. Und schwere Schritte schallten im Flur, sie kamen herüber, und ehe noch der betroffene Mann sich besinnen konnte, stand Herr Alois Krautner vor ihm, dessen lächelndes Gesicht sich, als er den Offizier erblickte, mit einem Schlage so veränderte, wie wenn über eine im Sonnenglanz liegende Landschaft plötzlich schwarze Wolken fliegen.

„Was wünschen Sie, mein Herr?“ fragte der Vater, an den die Tochter angstvoll sich schmiegte. „Was verschafft uns die Ehre?“

„Ich habe Ihrem Fräulein Tochter bereits mitgetheilt, daß ich Sie zu sprechen wünsche,“ erwiderte Adami, rasch gefaßt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_716.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2022)