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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Blätter und Blüthen.

Rudolf Pohle und sein Senefelder-Denkmal. (Zu dem Bilde S. 517.) Ueber die Schicksale Alois Senefelders und über seine weltbewegende Erfindung sind die Leser durch den Artikel von Eduard Grosse in diesem Halbhefte ausführlich unterrichtet. Es bleibt uns noch übrig, über das neue Denkmal in Berlin und über seinen Verfertiger einiges anzufügen.

Rudolf Pohle hatte bei der Lösung seiner Aufgabe eine eigenthümliche Schwierigkeit zu bewältigen. Das Berliner Komitee hatte, um das Verfahren des Lithographen auch äußerlich an dem Denkmal zum Ausdruck zu bringen, die Forderung aufgestellt, eine am Sockel befindliche Idealfigur habe den Namen „Alois Senefelder“ in Spiegelschrift auf den Stein zu schreiben. Um nun das Sonderbare, das einer solchen Aufschrift nothwendig anhaften mußte, zu heben und den Beschauer gleichsam von selbst auf die Lösung des Räthsels hinzulenken, verfiel Pohle auf den Ausweg, der Jdealgestalt des Druckerjungen, welcher jene verkehrten Schriftzeichen schreibt, ein kleines Mädchen beizugeben, welches seine Thätigkeit aufmerksam im Spiegel verfolgt. Dieser Gedanke gefiel dem Komitee so gut, daß es von der Ausschreibung eines Wettbewerbs absah und Pohle die Ausführung übertrug.

Die Statue Senefelders ist aus carrarischem Marmor. Sie stellt den Erfinder sitzend, in die nachdenkliche Betrachtung einer lithographischen Platte versunken dar, umgeben von den Geräthen seiner Kunst. Selbst seine Verdienste um die Kattundruckerei sind durch ein über die Steine zu seinen Füßen geworfenes Stück Zeug angedeutet. Der Sockel trägt an seinen Seitenwänden Kränze, auf der Rückseite unter einem Feston eine Tafel mit Geburts- und Todestag Senefelders. Das ganze Denkmal ist etwas über fünf Meter hoch.

Rudolf Pohle ist die Bahn zur Kunst nicht leicht geworden. Am 19. März 1837 wurde er als der dritte Sohn eines wenig begüterten Bäckermeisters zu Berlin geboren. Wohl war dieser, soweit es seine beschränkten Mittel gestatteten, darauf bedacht, seinen fünf Söhnen eine gute Erziehung zu theil werden zu lassen; aber dem Begehren des Jungen, ein Künstler werden zu dürfen, glaubten die Eltern doch als einer allzu aussichtslosen Sache ihre Genehmigung versagen zu müssen; und erst nach langem Widerstreben willigten sie ein, den Sohn, der schon als Knabe seine künstlerischen Triebe durch Figuren aus Brotteig geoffenbart hatte, bei einem Holzbildhauer in die Lehre zu geben.

Indessen schon nach wenigen Wochen bemächtigte sich eine bittere Enttäuschung des strebsamen Jünglings, denn die Kunst, die in dem Atelier jenes Holzbildhauers betrieben wurde, bestand darin, dem herrschenden Geschmack entsprechende Möbelverzierungen anzufertigen. Auf dringendes Bitten gab der Meister, ein einsichtsvoller würdiger Herr, seinen Lehrling wieder frei, und dieser machte nun auf Anrathen Rauchs an der Kgl. Akademie der Künste regelrechte Studien, nach deren Beendigung er noch auf anderthalb Jahre Schüler von Drake wurde. Im Jahre 1858 beschickte er zum ersten Male die große akademische Kunstausstellung, und er ist seither jedesmal dort vertreten gewesen; nur der Katalog von 1890 nennt seinen Namen nicht: damals war Pohle zu Carrara mit der Ausführung seines Senefelder-Denkmals beschäftigt.

Zur Geschichte des „jungen Deutschland“. Welche Bedeutung man dem Wirken und Wollen des „jungen Deutschland“ und seiner Hauptvertreter Heine, Börne, Gutzkow und Laube zuerkennen solle, das war stets eine leidenschaftlich umstrittene Frage. Aus diesem Mangel an ruhigem, geschichtlichem Abwägen erklärt es sich auch, daß eine endgültige Geschichte der geistigen Ziele und Erfolge, die hier angestrebt wurden, bis jetzt nicht erscheinen konnte. Nun hat neuerdings Johannes Proelß es unternommen, diese Lücke auszufüllen in seinem umfangreichen Werke: „Das junge Deutschland. Ein Buch deutscher Geistesgeschichte“ (Stuttgart, Cotta). Er hat dabei seine Aufgabe unter einen allgemeinen Gesichtspunkt gestellt, der an sich, interessant und weit genug, wohl geeignet war, für die unparteiische Würdigung jener litterarisch-politischen Bewegung die Warte abzugeben. „Während die politische Geschichtschreibung unserer Tage“, sagt Proelß in der Einleitung, „das Werden und Wachsen Deutschlands zum Reiche, soweit es sich um die Leistungen der Staatskunst und des Heerwesens handelt, mit wissenschaftlicher Gründlichkeit erforscht und dargestellt hat, ist der Einfluß der Litteratur auf die Gestaltung unseres Vaterlands zum in Einheit gefesteten Rechtsstaat noch keineswegs in gleicher Weise zu gerechter Würdigung gelangt.“ Als einen „Versuch zur Lösung dieser Riesenaufgabe auf begrenztem Gebiet“ will er sein Werk betrachtet wissen. Und in der That hat er, indem er mit regem Fleiße neues Material, namentlich über Börne und Gutzkow, zusammentrug, zugleich ansehnliche Bausteine geliefert für jene von ihm vermißte Geschichte der „Vorbereitung des Deutschen Reiches durch die Wortführer des deutschen Volkes“. Wer daher an der Hand ausgedehntester Darstellung über die Rolle, welche dem „jungen Deutschland“ bei dieser Vorbereitung zukommt, sich unterrichten und ein Urtheil bilden will, findet in dem Buche von Proelß reichen und befriedigenden Stoff zur Enträthseluug der schimmernden und schillernden Erscheinungen, welche nnter dem Namen „Das junge Deutschland“ zusammengefaßt und leider unendlich viel mehr genannt als gekannt sind.

Lieblingsplätze. (Zu dem Bilde S. 525.) Lieblingsplätze! Wer hätte sie nicht? Der Knabe behauptet, nirgends lerne es sich so gut als auf seinem Lieblingsplatz, hoch oben im Wipfel des alten Baumes. Der Großvater hat seinen Lieblingsplatz im großen Lehnstnhl am Ofen, und Mütterchen sitzt auf hohem Tritt am Fenster. Von da kann sie ja weit hinaussehen, nicht nur weit in die Welt, auch weit in die Zeit hinaus, in jene Zeiten, wo alle die Kinder, die dort unten spielen, erwachsene Menschen sein werden. Die reifere Jugend freilich sucht ihre Lieblingsplätze in der Mitte zwischen dem Baumwipfel des Knaben und dem Lehnstuhl der Alten.

Da hat uns Bauer ein paar reizende „Lieblingsplätzchen“ dieser Art vorgeführt. Man möchte gleich selber mit unter dem schattigen Baume sitzen und weit hinausblicken auf die glitzernden Wellen des Sees, während das kräftige Aroma des frischen Heues von der Wiese herüber duftet!

Auch das einsame Felsgestade dort unten ist kein übler Platz für einen, der lieber allein sein mag mit seinen Gedanken.

Die Schwalben scheinen noch nicht ganz einig zu sein über die Wahl ihrer Lieblingsplätze. Eilig streifen sie am Ufer hin und wieder. Aber nur Geduld, ein „Lieblingsplätzchen“, das traute Nest zu bauen, findet jedes Paar, das recht eifrig danach sucht. Auch die Schwalben werden es finden! C. M.     

Das Wiesbadener Schwesternheim. (Mit Abbildung S. 541.) Vor einigen Jahren brachte die „Gartenlaube“ (1888, Halbheft 4) unter der Überschrift „Ein weiblicher Beruf“ einen kurzen Aufsatz über den Wiesbadener Verein vom Rothen Kreuz, in welchem Frauen und Jungfrauen aufgefordert wurden, sich der Erlernung und Ausübung der Krankenpflege zu widmen und sich zu diesem Behuf als Schwestern zum Eintritt in den Verein zu melden. Dieser Artikel war von großem Erfolg begleitet, denn nach seinem Erscheinen liefen Anmeldungen von allen Seiten ein, selbst aus dem Innern von Rußland, aus Sibirien und aus China. Es dürfte für die Leser dieses Blattes darum von Interesse sein, zu erfahren, welche Entwicklung der Verein seitdem genommen hat und auf welche Weise er sich bemüht, das menschenfreundliche Ziel zu erreichen, welches er sich gesteckt hat.

In den wenigen Jahren seit der Gründung des Vereins ist die Zahl der pflegenden Schwestern bereits anf 42 gestiegen. Aber so bedeutend ist das Bedürfniß, in Heilanstalten wie in der Privatpflege, Schwestern zu erhalten, daß die doppelte Zahl noch reichlich Verwendung finden könnte. Anfänglich bewohnten die Schwestern, welche unter der Aufsicht und Leitung einer Oberin stehen, eine Miethswohnung. Da eine solche für die wachsende Schwesterngenossenschaft nicht mehr zu beschaffen war, entschloß sich der Verein zur Erbauung eines eigenen Schwesternheimes und in Verbindung mit demselben eines Sanatoriums, in welchem innere und operative Krankheitsfälle behandelt werden.

Als der Verein den endgültigen Beschluß zum Hausbau faßte, that er dies im Vertrauen auf die werkthätige Nächstenliebe, welche seiner guten Sache zur Seite stehen würde, denn die verfügbaren Geldmittel waren gering. Seine Hoffnung wurde nicht getäuscht. Er erhielt alsbald 50000 Mark von einem Wohlthäter geschenkt, und andere Gönner des Vereins gaben Darlehen zu niedrigem Zinsfuß.

In der gesündesten Lage der Stadt, auf einem Höhenzug mit dem Blicke nach Süden wurde der Bau errichtet und vor kurzem seiner Bestimmung übergeben. Das frei in einem großen Garten stehende Gebäude enthält in seinem westlichen Flügel das Schwesternheim nebst den Wirthschaftsräumen, in dem östlichen Flügel die Krankenzimmer. Die Verbindung zwischen den beiden Flügeln wird durch Gesellschaftsräume und eine große offene Loggia für Genesende hergestellt. Dieser gegenüber nach Norden zu liegt das Operationszimmer. Die Krankenzimmer sind unter voller Berücksichtigung der von ärztlicher Seite zu stellenden Anforderungen aufs geschmackvollste eingerichtet, so daß sie selbst anspruchsvollen Patienten Behagen bieten. Die zahlenden Kranken können sich von dem Arzte ihrer Wahl behandeln lassen, für Mittellose soll je nach der finanziellen Lage des Vereins eine möglichst große Anzahl von Freibetten geschafftn werden.

Da das Sanatorium von dem Tage seiner Eröffnung an gut besetzt war und seitdem wachsenden Zuspruch fand, mußte sofort eine größere Zahl von Schwestern in demselben zur Pflege verwendet werden. Die anderen Schwestern sind in verschiedenen Kliniken und Krankenhäusern, in der Armen- und in der Privatpflege thätig. Besonders die letztere verlangt hier sehr viele Kräfte, da sich gerade bei den Aerzten die Ueberzeugung immer mehr Bahn bricht, daß eine zuverlässige und zweckmäßige Krankenpflege, wie sie von den wissenschaftlich und praktisch gebildeten Schwestern geübt wird, sehr wesentlich zum Gelingen der Heilbehandlung beiträgt.

Aus diesem gedrängten Bilde ersehen die Leser schon zur Genüge, welch großes und dankbares Feld sich der Thätigkeit der Schwestern darbietet. Täglich und stündlich erfüllen sie die Pflichten der christlichen Nächstenliebe, indem sie Trost und Hilfe spendend in den Hütten der Armen wie in den Häusern der Reichen erscheinen. Sie bereiten sich im Frieden schon auf die Zeiten vor, die kommen müßten, wenn je einmal wieder die Kriegsfurie das Vaterland heimsuchen sollte. So viele Frauen aus den gebildeten Ständen suchen nach einem passenden Felde der Verwendung ihrer körperlichen und geistigen Kräfte! Keines ist ihrer Natur mehr angemessen, auf keinem sind sie dem männlichen Geschlecht mehr überlegen als auf dem der Krankenpflege.

Mit dem Wunsche allein, sich der freiwilligen Krankenpflege zu widmen, wird man indessen noch keine brauchbare und gute Schwester. Dieser Beruf will wie jeder andere erlernt sein, denn zu groß und zu vielseitig sind die Anforderungen, welche heute von Kranken und Aerzten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_546.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)