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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Rauchschwalben.  

Aufschwung ein Kerbthier über sich hascht, dort in sausender Eile mit kühnen Zickzackwendungen dahinschießt, oder drüben über der Spiegelfläche des Teiches, über den schäumenden Wellen des Flusses in abwärts geschweiftem Bogenflug das Gefieder netzt und im Auftauchen es schüttelt! So sicher ist ihr Flug, daß sie durch Oeffnungen, welche nur den Umfang einer Mannsfaust haben, ohne Anstoß hindurchschlüpft. Nicht minder unterhaltend erscheint sie, wenn sie auf einem Gebäudevorsprung fußt, um zu ruhen oder ihre Federn zu putzen und zu ordnen. Umspielt vom lauen Windhauch, umschmeichelt von den Strahlen der Sonne, schlägt sie wohlig mit den Flügeln und singt eine Zeitlang, wetteifernd mit den Nachbarmännchen, ihr kurzes, aber angenehmes Liedchen.

Plötzlich verstummen die wohlgelaunten Sänger, denn es erscheint unter dem Warnruf „Dewihlik“ ein Gefährte, der den gefährlichen Räuber, den Baumfalken, erblickt hat. Hastig erheben sie sich alle in die Luft, weitausstrebend, als wollten sie in weite Ferne von dannen ziehen, oder sie flüchten, wenn die Gefahr nahe rückt, bestürzt in die sicheren Ställe und Scheunen.

Snell hat über die Signaltöne der Rauchschwalben eingehende Beobachtungen gemacht. „Sie signalisieren den Wanderfalken ebenso wie den Baumfalken. Die Rauchschwalben haben nämlich wie die meisten Vögel zweierlei Signaltöne: der eine, ein helles lautes Aufschreien, drückt mehr Zorn und plötzlichen Schrecken aus, der andere, ein tiefer flötender Ton (‚flüh, flüh‘), ist der Ausdruck der äußersten Angst. Diesen letzteren Alarmruf nun stoßen die Rauchschwalben beim Anblick des Wanderfalken aus, wofern er ihnen nicht schon unmittelbar auf den Fersen ist, und ergreifen zugleich eilends die Flucht. Dies ist so auffallend, daß man hiernach schon unterscheiden kann, ob ein Falco palumbarius (Habicht) oder ein Falco peregrinus (Wanderfalke) in Sicht ist.“

An schönen sonnigen Tagen erblickt man die Rauchschwalbe gleich ihren Verwandten in höheren Luftschichten, weil unter diesen günstigen Witterungsverhältnissen auch so mancherlei Kerbthiere sich zur Höhe erheben. Anders an rauhen naßkalten Tagen oder bei Sturm: da halten sich die stets auf Nahrung bedachten Vögel dicht an die Erde, um an geschützten Plätzen der so viel wie möglich trockene und warme Lagen suchenden Zwei- und Netzflügler habhaft zu werden. Dabei bekundet die Rauchschwalbe ein scharfes Sehvermögen. Im raschesten Fluge entdeckt sie die an den Wänden oder Fenstern der Häuser still sitzende Beute, streift sie mit einem Flügelschlag ab, um sie sofort mit dem weiten Sperrvogelschnabel zu erfassen. Das Nest der Rauchschwalbe haben wir in Ställen, Scheunen, Schornsteinen, gemauerten Ziehbrunnen, unter Balken, über Thorwegen und in Hausfluren gefunden. Sie liebt einen Vorsprung über dem Neste als Schutz und eine Erhebung unter demselben als Stützpunkt. Das Material besteht aus Erdklümpchen mit Halmen untermischt, welche mit Speichel verarbeitet werden. Die Absonderung dieses Speichels ist mit einer zitternden Bewegung des Kopfes und anstrengendem Würgen verbunden. Sind eine Anzahl Klümpchen auf- und aneinander geklebt, so lassen die Schwalben erst eine gewisse Zeit zum Trocknen verstreichen, ehe sie weiterarbeiten. Da nur der Morgen zum Baugeschäft verwendet wird, so dauert es längere Zeit, bis das Werk vollendet ist. Die Form des fertigen Nestes bildet den vierten Theil einer Hohlkugel, die Breite desselben beträgt etwa 25, die Tiefe etwa 12 Centimeter. Innen wird es mit zarten Halmen, Haaren, Federn und filzigen Stoffen mannigfacher Art ausgepolstert, und die Erneuerung dieses Polsters ist oft jahrelang die einzige Bauarbeit eines Rauchschwalbenpaares, da es ein und dasselbe Nest gern wieder benutzt. Nicht selten nimmt jedoch ein Paar aus irgend welchem unbekannten Grunde Anstand, das alte Nest zu beziehen, und baut lieber ein neues daneben oder darüber; so kann es kommen, daß nach und nach eine ganze Anzahl von Wohnungen an einem Balken des Stalles entsteht. Uebrigens trifft man auch kleine Kolonien von Nestern mehrerer Rauchschwalbenpaare an.

Vier bis sechs dünnschalige, blendendweiße, mit grauen und röthlichbraunen Punkten versehene Eier bilden das Frühjahrsgelege, welches von dem Weibchen zwölf bis dreizehn Tage bebrütet wird, während das Männchen für die Nahrung besorgt ist. Sind die Jungen einigermaßen flugfähig, so wagen sie sich gar bald auf die in der Nähe befindlichen, zum Fußen geeigneten Gegenstände, hocken im Gefühl ihrer Unsicherheit gern dicht nebeneinander und locken wie die Alten „witt witt“, welchen Ton sie rasch hintereinander ausstoßen, wenn die vor ihnen in der Luft stehenden Eltern sie füttern. Nach und nach erweitern sie ihren Flugkreis, kehren aber zu ihrer größeren Sicherheit abends zur Wohnstätte zurück. Sie halten sich noch längere Zeit vereinigt, bis sie selbst die Insektenjagd verstehen und betreiben. Zum zweiten Male brüten die Rauchschwalben im August, und beide Bruten sammeln sich im Herbste mit Scharen ihrer Brüder und Schwestern im Rohrdickicht, auf Thürmen und Häusern und verlassen uns des Nachts. Nur einzelne bleiben etwas länger und folgen endlich auch den vorangezogenen Schwärmen.

Zur Zeit der Herbstwanderung sieht man mit der Rauchschwalbe öfters eine andere Schwalbenart vereinigt, welche sonst gänzlich von jener geschieden ist, ja zuweilen mit ihr wie unter sich in Zank und Streit geräth: die Mehlschwalbe (Chelidon urbica). Sie bildet eine andere Sippe, ähnelt aber der Rauchschwalbe sehr in der Lebensweise. Ihre Ankunft fällt in den April, einige Tage nach der Rückkehr der Rauchschwalbe. Da sie einer außerordentlichen Menge von Kerbthieren zur Nahrung bedarf, so wird sie durch den zeitweisen Rückschlag der Witterung manchmal in Noth versetzt, und oft haben wir solche Thierchen traurig und matt durch die Straßen fliegen sehen, die tags zuvor noch fröhlich im Aether sich gewiegt hatten.

Während das Rauchschwalbennest nur den vierten Theil einer Hohlkugel ausmacht und demnach oben offen steht, bildet das Mehlschwalbennest in der Regel die Hälfte einer solchen und hat nur seitlich ein Flugloch. Aeußere Umstände können freilich diese Halbhohlkugel etwas verändern, auch bauen viele Schwalbenpaare ihre Nester kolonienweise neben- und selbst aufeinander. Das Baugeschäft wird ebenfalls nur morgens vorgenommen. Man sieht gewöhnlich mehrere Paare eine in Frage kommende Stelle umkreisen und untersuchen. Sie probieren und prüfen erst, ohne Material herbeizutragen, wobei es zu Zänkereien und Drohungen mit dem geöffneten Schnabel kommt. Wird ein besonders günstiges Plätzchen entdeckt, so sammelt sich alsbald wie auf Verabredung die ganze baulustige Schwalbengesellschaft der Nachbarschaft, und nun bietet sich dem Beobachter ein wirklich unterhaltendes Schauspiel dar, wenn die trippelnden, im Gehen so unbeholfenen Vögel bohnengroße Klümpchen Erde im Schnabel ansammeln und den Nestern zutragen. Selten, weit seltener als die Rauchschwalben, mischen sie der Erde Strohhälmchen bei. Die Füße klammern sich mit großem Geschick an der Wand fest, und der ausgebreitete seicht gegabelte Schwanz dient zur Stütze.

Die Klümpchen werden in derselben Weise wie von der Rauchschwalbe mit Speichel bereitet und sorgfältig aufgeklebt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_509.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)