Seite:Die Gartenlaube (1892) 382.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„die sehr guten Speisen vom Mittag noch vorhalten“ – und doch zögert er keinen Augenblick, „eine Remuneration von sechzig bis achtzig Thalern“, die er erhält, dem Vater anzubieten und sich von einer kleinen Zulage monatlich fünf Thaler abziehen zu lassen um sie seiner Mutter zur Verfügung zu stellen. Der große Traum seines Lebens ist, „am liebsten auf dem lieben deutschen Boden“ „eine Scholle Land“ sein nennen zu können, aber nicht um es da bequem zu haben, sondern um dort den ganzen Kreis seiner Angehörigen zu versammeln. Er, dem „auf dorniger Rennbahn“ der Wunsch zuvörderst nach eigenem Glück so mensch!ich nahe gelegen wäre, kann von Glück für sich nicht sprechen, ohne der Mutter zu sagen: „Möchte ich es für Euch alle gewinnen!“

Halbe Naturen verzehren sich unter dem Druck widriger Verhältnisse in Mißmuth und Mitleid mit sich selbst. Moltke besaß zu viel sittliche Kraft, zu viel geistige Beweglichkeit, um sich verbittert abzuschließen. Was freundlicher Zufall und eine schmale Börse ihm an bescheidenen Vergnügungen gestatten, nutzt er dankbar; er schätzt Geselligkeit und weiß, daß zu Tanz und Wein ein fröhliches Herz gehört. Aber wie er über der täglichen Noth steht, mit der er zu kämpfen hat, so auch über dem Genießen. Er ist sich bewußt, daß alle Genüsse nur Arabesken sind am ernsten Bau des Lebens, und so verliert er sich nicht im Beiwerk, sondern hält sich stets das Wesentliche gegenwärtig, das, um dessen willen ein Menschenleben allein werth ist, gelebt zu werden: die Pflichttreue zielbewußte Arbeit. Dieses Streben, immer wieder von der Oberfläche zu der Tiefe zurückzukehren, aus der die sittliche That kommt, giebt seinem Wesen die charakteristische Färbung. Zufriedenheit ist es, was er dabei erreicht, denn „am Ende sind Arbeit, Hoffnung und Gesundheit alles, was zur Zufriedenheit gehört“, und Ruhe findet er so für das stille Lächeln des Humors, mit dem er das Widrige uberwindet. Er scherzt gelassen über „das halbe Pferd“, das er sich durch seine Aufsätze „zusammengeschrieben“ hat, und doch braucht er noch weitere zweieinhalb, die trotz der Zerlegung in ökonomisch leichter beschaffbare Hälften nicht in naher Aussicht stehen; und in einer Zeit, wo er seine „schreckliche Herzkrankheit“ noch nicht überwunden hat, entwirft er in einem Brief an seine Schwester Lene das drollige Krankheitsbild: „Mit meiner Gesundheit geht’s sonderbar. Oft liege ich acht bis zehn Stunden bewußtlos, d. h. des Nachts, nicht den mindesten Appetit nach Tisch, gegelt Abend solche krampfhafte Bewegungen und Dehnen ... Reißen in allen Gliedern – wenn es Dir nur nicht ebenso geht.“

Eines würde man in dem Bilde auch des jungen Moltke vergeblich suchen: jene träumerische Lust und Schwermuth, die aus Kleinem erschütternde Empfindungen schöpft und die Dinge mit Gefühlen, statt mit Wirklichkeiten mißt. Ueberall leuchtet aus den Briefen eine überlegene ernste Ruhe, jene Sachlichkeit, die keine sprunghaften Ueberraschungen aber auch keine Enttäuschungen bereitet. Es sind die tiefsten Quellen, aus denen dieser Charakter seine Kraft zieht, aber sie kommen nicht aus dem geheimnißvollen Dunkel leidenschaftlicher Erregung, in das kein Blick hinunterreicht, sondern aus der klaren und durchsichtigen Welt eines nie gebeugten, nie verwirrten Willens. So entrotlt sich dies Leben vor uns wie etwas Naturnothwendiges und dennoch in höchstem Grade Freigeschaffenes, und die Pflicht ist der Leitstern, dem es folgt. Aus unscheinbaren Anfängen erhebt es sich zu weltgeschichtlicher Bedeutung, aber nirgends zeigt sich ein ehrgeiziges Verlangen nach solcher Größe, nirgends ein anderer Beweggrund als eben der des Pflichtgefühls. Ein Mann, der sagen kann: „Je weiter man in diesem Leben vorschreitet, je weniger lernt man von demselben erwarten“, der geizt nicht nach dem Lorbeer und findet nicht in der Meinung anderer, sondern in sich selbst das Gefühl seiner Würde.

Von nichts ist denn auch in den Briefen Moltkes weniger die Rede als von dem Großen, das er erreicht, von der Mühe, die es ihn kostet; kaum daß das alles einmal eine kühle Erwähnung findet. Es ist fast lustig, zu sehen wie er so gelegentlich merken läßt, daß „so ein Feldzug doch die Kräfte sehr angreift, wenn man seine siebzig Jahre auf dem Rücken hat“, wie er auf die Schlacht bei Sedan nur deshalb zu sprechen kommt, weil eines seiner Pferde erkrankt ist „Eines der jungen Pferde steht stark im Kropf,“ schreibt er, „ich habe aber ein mir zugefallenes Beutepferd (bei Sedan über zehntausend) eingespannt.“ Das ist der ganze Bericht über die Schlacht, den er seinem Bruder Adolf schickt. In diesen trivialen Beispielen spiegelt sich ein tiefer Zug: der größte Feldherr des Jahrhunderts ging still hinweg über seine Erfolge ohnegleichen, weil er ein noch größerer Charakter war. Der Werth einer That bemißt sich für ihn nur nach der Gesinnung, aus der sie fließt, und an diesen Maßstab gehalten, dünkt ihm die eigene Leistung nicht höher als die anderer. „Es scheint wirklich ein gelungenes Fest gewesen zu sein,“ so schreibt er über die Enthüllung seines Denkmals in Parchim an seinen Bruder Ludwig, „aber es war mir doch angenehm, dasselbe aus sicherem Hinterhalt in Kreisau ansehen zu können. Denn wie mancher, der unter dem grünen Rasen Frankreichs schlummert, hat mehr gethan als wir Lebenden.“

Ein Geist von solcher Bescheidenheit und so überzeugtem Gefühl für den echten Werth mußte ein Feind alles Wortgeklingels und aller Vorurtheile sein. Die tönende Phrase und der theatralische Faltenwurf, mit denen die Mittelmäßigkeit zu wirken sucht, sind ihm ebenso herzlich zuwider wie eine klägliche Einbildung, die sich auf Vorzüge des Standes und Vermögens steift und dabei „so göttlich dumm“ sein kann. Was er achtet, das ist die tüchtige Kraft. Ihn freut darum die Schaffenslust des deutschen Wesens, „eine Nation in Pantoffeln“ ist ihm ein Greuel; mit Stolz begrüßt er auf einer Reise durch das öde Spanien die blühenden Kolonien jener Deutschen, die sich im 18. Jahrhundert dort angesiedelt hatten, und „die lieben treuen viereckigen deutschen Gesichter“. Ihn freut die aufstrebende Gegenwart, die an die Stelle verwitterter Wartthürme aus „alter unruhiger Zeit“ die geschäftigen Stätten der Industrie setzt; ohne Bedauern spricht er es aus: „Die Burgen zerfallen“ – denn dafür ist „die Hütte des geringen Mannes zum stattlichen Wohnhaus geworden.“

Inmitten dieses ernsten Lebens, das der Arbeit gehört, läßt die Liebe einer edlen Frau ein freundliches Glück erblühen, das nur mit ihrem Tode endet. Moltke hat sich in seinen Briefen wiederholt für die Verstandesehe ausgesprochen, aber seine eigene Ehe schließt er doch auf Grund eines innigen, wenn auch keines leidenschaftlichen Gefühls. Warmherzig klingt es wieder in den Worten des ersten Briefes, den er von Berlin aus an die Verlobte richtet: „Möchte ich Dich doch für alles entschädigen können, was Du um meinetwillen aufgeben mußt. Ja, liebe Marie, ich bitte Gott aufrichtig, daß, wenn ich Dich nicht glücklich machen kann, er mich lieber vorher abberufe.“ „Ich will Dich pflegen wie meinen Augapfel, Du zarte, kleine Pflanze,“ heißt es an anderer Stelle. Mit Offenheit und sicherem Takte erleichtert er der Sechzehnjährigen die Aufgabe, sich in den so viel älteren Mann einzuleben; er ist fern davon, „die Jugend aus ihrem Leben wegstreichen“ und ihre frische Beweglichkeit hemmen zu wollen; nur das möchte er, daß sie „bei so vielen glänzenderen Erscheinungen“, als er ist, sich stets das Gefühl bewahre, niemand meine es treuer denn ihr „alter Bär“. Humor und Ernst mischen sich wohlthuend in den Briefen des Bräutigams, so, wenn er als vorausschauender Stratege für die künftige Ehe die Parole ausgiebt: „Laß uns nur immer recht aufrichtig miteinander sein und ja niemals schmollen. Lieber wollen wir uns zanken und noch lieber ganz einig sein ... Jemand hat gesagt, es giebt nur zweierlei Ehen: solche, wo der Mann unter dem Pantoffel steht, und unglückliche. Ich verlange nichts Besseres, als unter Deinem Pantoffel zu stehen, und es wird Deine Aufgabe sein, mich durch Sanftmuth, Nachgiebigkeit und Güte auch dahin zu bringen.“ Ob wirklich der große Heerführer, der im Felde durchs Schwert nicht zu besiegen war, zu Hause gegen den so leichtsinnig heraufbeschworenen Pantoffel unterlag, muß wohl eine offene Frage der Geschichte bleiben, für deren Lösung nur der eine Anhaltspunkt vorliegt, daß seine Ehe eine glückliche war.

In seiner ganzen Selbstlosigkeit zeigt sich Moltkes Wesen, als ihm der Tod die theure Frau entreißt. Er klagt nicht über seinen Verlust und möchte die Verstorbene nicht „aus besserem Dasein“ zurückrufen. „Ich hätte nicht gemocht, daß sie wieder erwache,“ lauten seine schlichten Worte, „sie hat ein selten glückliches Leben genossen und ist des traurigen Alters überhoben.“ Völlig hat er aber diesen Verlust nie verwunden; die „Sehnsucht nach der Ruhe des Kapellenberges“ in Creisau, wo er die sterbliche Hülle der Gattin beigesetzt, hat ihn im Innersten nie mehr verlassen. In den Briefen thut er ihrer nur noch einmal ausführlicher Erwähnung, mitten in den großen Ereignissen von 1870. „Ja,

hätte Marie diese Zeitläufe noch erlebt!“ ruft er aus. „Aber ich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_382.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2020)