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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Schanze zu schlagen. Lange wanderte er planlos am flimmernden Strande hin, endlich thaten ihm die Augen weh von dem Glitzern des Sandes, seine Füße ermüdeten und mechanisch wandte er sich dem Dorfe und den schattigen Lauben des Gasthauses zu. Er fand dort seinen Vater und Pischel beim Kartenspiel sitzen, der Wirth schlummerte in einer Ecke der Laube. Von der Kegelbahn her ließ sich von Zeit zu Zeit ein dumpfes Rollen hören.

„He, hollah!“. rief Ewald und schlug mit der Faust auf den Tisch, „heut’ scheint ja ganz Massow im Schlafe zu liegen, das Nest ist wie ausgestorben. Zum Henker, Wirth, ist zum Schlafen die Nacht da oder der Tag? Hol’ ne Flasche Rothen, ich verdurste!“

Der Wirth rieb sich gähnend die Augen und sagte: „Ah, Du bist’s, Ewald? Gleich, gleich!“ Er reckte die Arme und gähnte nochmals. „Wir armen Gastwirthe müssen am Tage nachholen, was wir des Nachts versäumen – und dann – die Hitze! Mir liegt’s wie Blei in den Gliedern.“

„Je, je, min Söhneken,“ meinte der alte Monk über die Karten hin zu Ewald, „wie kreg hüt noch ’n Gewitter – dat liegt mi so in die Knaken.“

„Und mir im Blute!“ murmelte Ewald, warf die Mütze auf die Bank und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Eine Weile starrte er wie geistesabwesend in die dunkelste Ecke der Laube, dann, als der Wirth den Wein gebracht hatte, rief er seinem Vater und Pischel zu: „Laßt das verdammte Kartenspiel und trinkt ein Glas Wein mit mir!“

„Gliek, min Sohn, gliek sünd wie tau End mit die Partie,“ entgegnete der alte Monk, und fünf Minuten später strich er den Gewinn ein und rückte lachend zu Ewald hin, während Pischel, gelinde fluchend, das gefüllte Glas ergriff.

„Hm, so ’n feinen Stoff läßt Du upfahren, Ewald, wat is denn hüt los?“ Der alte Monk blickte bei dieser Frage forschend von der Flasche zu seinem Sohne hinüber; der goß, ohne zu antworten, den Rest des Weins in sein Glas und bestellte eine zweite Flasche. Er fühlte, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, wo er dem Vater und den Freunden das Geständniß von der Lösung seiner Ehe machen müsse, und doch verschloß ihm der Stolz den Mund.

Daß eine Frau den Gatten verließ, war in Massow unerhört. So lange auf dieser Halbinsel ein Haus gestanden, hatte das Schicksal des Weibes in der Hand des Hausherrn gelegen, hatte die Frau dem Manne angehört, bis der Tod sie von ihm trennte. Und nun sollte er der erste sein, den seine Frau verließ, nun sollte gerade ihm, dem Gefürchteten und Beneideten, das Unerhörte, das Schmachvolle geschehen!

Der Wirth entkorkte die zweite Flasche. Ewald füllte die Gläser und sagte mit erzwungenem Gleichmuth: „Heut’ hab’ ich einen großen Entschluß gefaßt, ich trenne mich von meiner Frau.“

„I, da sei Gott vor!“ riefen Pischel und der Wirth wie aus einem Munde, der alte Monk aber schielte mißtrauisch zu seinem Sohne hinüber und stellte die Frage: „Is sie mit dem Kirl, dem Musikanten, davonloopen?“

„Vater!“ schrie Ewald zornig auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, daß Flaschen und Gläser tanzten. „Du solltest wahrhaftig der allerletzte sein, der Betty Schlechtes nachsagt, denn Dir hat sie hundertmal bewiesen, wie gut und brav sie ist. Wir haben uns ruhig und friedlich besprochen und sind zu der Einsicht gekommen, daß wir nicht zu einander passen und daß jedes von uns beiden glücklicher wird, wenn es seine eigenen Wege einschlägt.“

Die drei Männer schüttelten nachdenklich den Kopf. Pischel meinte, er habe es gleich geahnt, daß die Sache schief gehen werde; der Wirth bemerkte, wer über seinen Stand hinausgehe, riskiere einen tiefen Fall; der alte Monk aber murmelte: „Is dat erhört, is dat erhört! Was wird min Olle dortan seggen!“

Ewalds Gesicht glühte vor Zorn und Scham. In hastig hervorgesprudelten abgerissenen Sätzen suchte er darzuthun, daß jeder verständige Mensch seinen Entschluß billigen müsse. Er rühmte Bettinas Verhalten in der Ehe und ihre Großmuth. Sie wolle das Haus verlassen, wie sie gehe und stehe, ihren ganzen Besitz lasse sie ihm zurück. Warum ihre Ehe keine zufriedene geworden sei, könne er sich nicht erklären; es müsse wohl ein Fluch darauf gelastet haben. Was er unternommen, sei fehlgeschlagen. Und darum sei es besser, daß sie sich trennten.

„Nee, min Sohn, dat geiht nich, dat is gegen den Bruk. Sall dat ganze Dorf mit Fingern up Di wiesen? Een Kirl, dem die Fru wegloopen is, wird in Massow nich mehr als Mann ästimiert.“

„So hol’ der Henker den Brauch und ganz Massow dazu!“ schrie Ewald. „Für mich ist dies Nest nicht die Welt. Noch eh’ der Winter kommt, verklopf’ ich Haus und Hof und geh’ wieder zur See. Hier, Wirth, mach’ Dich bezahlt!“ – Er warf ein Goldstück auf den Tisch, daß es klirrte, und trat vor die Laube. Ein starker Luftzug kühlte ihm die heiße Stirn; der Himmel hatte sich mit Wolken bedeckt, ein heftiger Wind wühlte die See auf. Offenbar war Sturm im Anzug.

Der Wirth, welcher Ewald einige Silbermünzen herausgab, und der alte Monk suchten den Wüthenden zu besänftigen, aber er schüttelte beide mit einem Rucke von sich ab und lief zum Höwt hinauf. Er wollte die Natur im Aufruhr sehen. Nur der Sturmwind konnte sein heißes Blut kühlen, nur das Rauschen der Wogen und das Grollen des Donners die wirren Stimmen in seinem Innern übertönen. Er umging den „Utkiek“, weil er nicht von dem wachthabenden Kameraden bemerkt sein wollte, drang jenseit der Mulde durch die Brombeer- und Ginsterbüsche und stellte sich an den Rand des steil abfallenden Berges. Vom Schloß Lindström her zog das Gewitter herauf. Die dunklen Wolkenmassen schienen auf dem Thurme und der flatternden Fahne zu ruhen, bei jedem Aufleuchten des Blitzes glitt ein greller Feuerschein über die Mauern des breit hingelagerten Gebäudes. Dort wohnte jetzt der Mann, welcher ihm Bettinas Herz geraubt hatte – o, wenn doch ein Blitzstrahl ihn zermalmte, ihn, den er haßte und fürchtete! Aber würde mit dem Untergang des Verhaßten auch Bettinas Liebe zu Ende sein? Sie hatte jenem ihr Bestes zugewendet, und kein Sturm, keine Macht dieser Erde war imstande, sie in Ewalds Arme zurück zuführen; sie war für ihn verloren, unwiederbringlich verloren.

Mit diesem Bewußtsein zog ein Wehegefühl durch sein Inneres, das ihn völlig niederwarf; in rauhen Stammellauten verfluchte er sein Schicksal, um im nächsten Augenblick wieder weicheren Regungen nachzugeben. Der Tumult in den Lüften rüttelte ihn endlich auf. Das Gewitter stand jetzt über dem Höwt, die dunklen Wolken ballten sich unheilschwanger zusammen, der Wind heulte und peitschte die Wogen; von Zeit zu Zeit erschütterte mächtiger Donnerhall die Luft. Vor dieser majestätischen Sprache der Natur schämte sich Ewald seiner kindischen Verzweiflung. Ein wilder Gedanke zuckte durch sein Gehirn, das der Wein umnebelt hatte: da ich ohne sie nicht leben mag, so werde ich aus der Welt gehen – über Ewald Monk soll keiner spotten in diesem gottverfluchten Neste. Und Betty soll sehen, daß mit mir nicht zu spaßen ist, mein Tod wird ihr den Liebestrank verbittern …

Noch einen Blick warf er über das schäumende Meer, dann war sein Plan fertig. Im Segelboot wollte er hinaussteuern – mochten dann Wind und Wellen das schwache Fahrzeug zum Kentern bringen. Ihn verlangte danach, in den Wogen, die er so lange beherrscht hatte, unterzugehen. Da draußen auf der einsamen See, wo er nichts unter den Füßen hatte als das schwanke Brett, wo tobender Sturm und Gischt ihn einhüllten, da konnte er noch einmal all den Zorn, all die Empörung und all den Jammer, die sein Herz erfüllten, zum Himmel hinaufschreien. Und dann mochten ihn die Elemente verschlingen, was war daran gelegen! Seine Rache hatte er dann genommen, das Glück der Treulosen vergällt.

Mit wilder Hast schritt er zur Ausführung; je näher er der Klause kam, desto mehr beschleunigte er seine Schritte; der volle Ausbruch des Gewitters sollte ihn auf hoher See finden. – – Bettina stand eben im Begriff, das Mansardenfenster an der Hinterseite der Klause vor dem Gewitter zu verschließen, als sie Ewald durch die kleine Gartenpforte treten und auf die Scheune zueilen sah. Der Wind hatte ihm den Hut entführt, und es war etwas in seiner Erscheinung und seinem hastigen Gebahren, das sie erschreckte. In banger Erwartung blieb sie am Fenster stehen und bemerkte, daß ihr Gatte mit dem Segel über dem Arme die Scheune schon wieder verließ und mit raschen Schritten den Abhang hinunterlief zu der Stelle, wo eben die Brandung mit dem angeketteten Boot ein wildes Spiel trieb.

Die Frage durchzuckte Bettina: will er aufs Meer? und ein kalter Schauer ging ihr über den Rücken; einige Sekunden lang war sie wie gelähmt. Dann jedoch raffte sie sich gewaltsam auf – sie mußte Ewalds Absicht erfahren. Von schrecklichen Vorstellungen gepeinigt, sprang sie die Treppe hinab und trat vors Haus. Sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_250.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2021)