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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Inmitten ihrer wechselnden Geschicke hat sich die Stadt eines getreulich bewahrt, die unabhängige Verwaltung innerhalb ihres Gebietes. Sie hat dies vermocht infolge ihrer reichen Besitzungen, die ihr auch in schlechten Zeiten eine sichere Einnahmequelle waren und die es jetzt mehr als je geworden sind. Neuerdings ist zum Wohl und besseren Gedeihen der Stadt, die heute über 17 000 Einwohner zählt, manches geschehen, ein größerer Zug im geschäftlichen Leben ist zu bemerken. Der Kleinhandel in der Landumgebung hat sich wieder umfangreich gestaltet, und wenn dem Großhandel auch noch bessere Verkehrswege ins Inland fehlen, so hat sich doch der Güterhandel in ansehnlichem Maße vermehrt. Korn, Vieh, Holz, Kohlen und Ziegelsteine aus den zahlreichen Ziegeleien der Umgebung bilden hauptsächlich die Gegenstände des Warenumsatzes; namentlich Kohlen, denn im gleichen Sinn, wie man sonst von „Eulen nach Athen tragen“ redet, sagt man in Mecklenburg „Kohlen nach Wismar fahren“.


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Der Zeitgeist im Hausstande.

Bilder aus dem Familienleben.
Von R. Artaria.
 (2. Fortsetzung.)

Draußen im Saal entstand eine plötzliche Bewegung; alles drängte nach dem untern Ende, wo ein hoher Vorhang den Palmengarten abschloß. „Dort giebt es noch etwas!“ hörte man von allen Seiten. Auch Walters und der Medizinalrath standen auf und schlossen sich dem allgemeinen Strome an. Jetzt ging ein leises Wallen durch den Vorhang, eine sanfte Musik ertönte dahinter, und langsam schoben sich die beiden Flügel auseinander. Ein Ruf der Bewunderung begrüßte den unerwarteten Anblick.

Bis an die Decke hinauf erglänzte mit Hunderten von Glühlichtern ein riesiger Christbaum, dessen Zweige überall Rosenbüschel trugen, und unter dem Baume stand, über eine Gruppe schlafender Kinder gebeugt, der Christengel im weißen Gewand, einen leuchtenden Sternenkranz im Haar – Vilma. Nun richtete sie sich empor und die großen Augen strahlten selbst wie Sterne über die Menschen hin, während sie einfache kurze Verszeilen sprach, vom Baume der Barmherzigkeit, der hier blühe und von dem jeder sich ein Reislein mit heimnehmen solle, auf daß es bei ihm Wurzel schlage und Früchte bringe.

Bei gutem Appetit.
Nach dem Gemälde von C. Kricheldorf.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

„Sie sieht doch ganz entzückend aus,“ flüsterte Hugo der Gattin zu. „Diese Glorie von blondem Haar um das reizende Gesicht, die wundervolle Gestalt – ich begreife nicht, wie Du sie immer nur pikant finden willst, sie ist geradezu die schönste von allen!“

Solche Anwandlungen von Begeisterung störte Emmy bei ihrem Gatten grundsätzlich nicht, sie gingen so am leichtesten vorüber.

„Sieh einmal dorthin!“ sagte sie, als nun der kurze Prolog beendigt war und unter brausendem Beifallsjubel der Engel sich wandte, die schönen Arme emporhob und mit Hilfe eines rasch aufgetauchten Knechtes Ruprecht die Rosen abzulösen begann. „Dort steht ja unser Francis und starrt wie ein Verzückter herüber! Aha, nun wird er lebendig!“

Der junge Amerikaner sah, daß einzelne sich dem Baum näherten und durch Vermittlung des Pelzmärtels, der bald den irdischen Handel mit himmlischen Rosen schwunghaft betrieb, in Besitz der Zweige kamen. Sofort stürzte auch er vor und bemühte sich angelegentlich, eine Rose unmittelbar aus der weißen Hand zu erhalten, die sie pflückte. Aber diese reichte die Blumen mit einer hoheitsvollen Bewegung an ihm vorüber dem Ruprecht hin, und eine Berührung von dessen rauher Tatze war alles, was Francis für seine drei Mark eintauschte.

Der kleine Auftritt hatte einen stillen Zuschauer; drüben unter den Palmen stand Thormann, sein Töchterlein an der Hand. Die Kleine hatte ihn so lange bestürmt, bis er sie hierhergebracht, er hatte nicht gerade ungern nachgegeben und fand nun die phantasievolle Scenerie dieses Bazars viel anziehender, als seine ernsthafte Seele geglaubt hatte. Er hatte Sigrid für schweres Geld Spielzeug und Bonbons in den Läden gekauft, war an der Bazarpost gewesen, wo er richtig auch für sich einen Brief fand, und hatte zu allerletzt noch – o Triumph! – Fridas Vase erworben, weil er die Malerei „wirklich künstlerisch“ fand. Im stillen bestimmte er sie zum Geschenk für seine Freundin Karoline Wiesner!

Und nun stand er hier und betrachtete, innerlich gefesselt, das schöne Mädchen, das ihm neulich schon im Atelier der Malerin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_085.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)