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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Blätter und Blüthen.

In der Weihnachts-Kindervorstellung. (Zu dem Bilde S. 840 und und 841.) Glückliche Weihnachtszeit – glückliche Kinderzeit! Noch voll von den Wonnen des Bescherabends hat sich das kleine Volk hier versammelt, um am zweiten Feiertage das wunderschöne, furchtbar lustige Zauberstück anzusehen, wo Hanswurst allen Prügeln glücklich entwischt, dafür selbst aber unzählige austheilt als treuer Knappe seines unglücklichen, in einen Bären verwandelten Prinzen, welcher dann schließlich durch die Weihnachtsfee entzaubert und mit einer entzückenden kleinen Prinzessin vereinigt wird. Ein Feen- und Puppenreich thut sich als Hintergrund auf. Blumentempel und Christbäume, Wasserfälle, von elektrischem Licht bestrahlt, und ein solches Gewimmel von Tänzerinnen, Tirolermädchen, Pierrots, Nixen und Elfenkindern, daß man mit zwei Augen unmöglich alles sehen kann, selbst wenn sich der Vorhang unter dem stürmischen Beifallsgeklatsche wieder und wieder hebt. Und stets von neuem das Schlußbild zeigt, welches das Ganze krönt, den Weihnachtsbaum, von schwebenden Engeln umgeben. „Wunderschön!“ steht auf allen Gesichtern geschrieben. Die kleine Schwärmerin in der dritten Reihe starrt mit stummer Begeisterung dem Vorübergerauschten nach, ihre redselige Nachbarin aber muß den gehabten Eindrücken schleunigst Luft schaffen. Zwar ist’s nur „ein Kleiner“, an den sie ihr Entzücken ausströmt, aber immerhin besser als gar niemand! Er scheint auch die angethane Ehre voll zu würdigen, während sein älterer Bruder durch selbständigen Nach-Applaus als Kunstkenner höherer Ordnung sich darstellt. Und selbst das kleine dumme Baby, welches mütterliche Zärtlichkeit ungeachtet seiner noch nicht vollendeten zwei Jahre mit ins Theater nahm, es streckt doch auch die Aermchen aus und ruft „Nomal!“ Auch die Logen theilen durchaus die Ansicht des Parketts – Dichter und Darsteller haben einen vollen Erfolg zu verzeichnen. Was aber die in der vorderen Loge stehende Mutter sich denkt: daß das Publikum wohl das Sehenswertheste an der ganzen Geschichte sei, das scheint auch dem Künstler eingeleuchtet zu haben, der uns in dem liebenswürdigen Bild das „Beste von der Sache“ getreulich überlieferte. Bn.     

Der Cottasche Musenalmanach, der unter so günstigen Sternen wieder belebt wurde und der sich im Fluge die Gunst des Publikums erobert hat, tritt abermals seine Weihnachtswanderung an in verführerisch anmuthigem Kleide und vornehmer Ausstattung. Am Eingange grüßt Paul Heyses gefeierter Name über einer ergreifenden Novelle, „Vroni“. An die Erzählung in Versen „Die Hexenmühle“ von Otto Roquette schließen sich kleinere Stücke lyrischer Epik an. Es ist unmöglich, jedes einzelne aufzuführen, und indem wir Namen wie Lingg, C. F. Meyer, Dahn für sich selber sprechen lassen, erwähnen wir aus dieser Gruppe nur noch ein Bild von schönster Stimmung, „Das öde Haus“ von Max Haushofer, und das von echter Volksweisheit eingegebene „Wettrennen“ von Carl Weitbrecht. Wie erst sollen wir all den andern Abtheilungen gerecht werden! Schack, J. G. Fischer, Paulus, Bodenstedt, Carmen Sylva, Kalbeck, Hecker, Rittershaus, Gottschall, Widmann, Greif, Milow, A. Stern, Silberstein, Fulda und andere sind durch würdige Beiträge vertreten. Hopfen schreibt einen Brief voll tiefer Sehnsucht an die geliebte Frau, Richard Weitbrecht eine köstlich schalkhafte Epistel über „Rembrandt als Erzieher“. Ein glücklich gegriffenes Bildchen von J. Proelß ist „Bin halt vergnügt“, und Jensen weiß einem halbvergessenen Kinderlaut, „Belia“, tiefen Sinn abzugewinnen. Hier ist „Sicilien in Sicht“, ein echter, prächtiger, visionärer Lingg, und dort winkt eine süße, an der Sonne versöhnender Dichtung gereifte Frucht, das „Maienfest“ von Isolde Kurz. Wie eigenartig gemüthvoll die Sonette von Schneegans, wie wahr und warm „Aus der Wandermappe“ von Ebers! Und nicht zu vergessen der Bilderschmuck, worin diese schönheits- und gehaltreiche Jahresausstellung deutscher Dichtung prangt, sechs Kunstbeilagen, vorzügliche Reproduktionen einer mit feinem Geschmack getroffenen Auswahl von Werken hervorragender Maler. So vereint sich eine Fülle des Schönen und Herzerfreuenden in Wort und Bild und giebt die köstliche Gewähr, daß es um den Sinn für die Gaben der Musen noch nicht so schlimm bestellt sein kann in Deutschland, wie grämliche Zeichendeuter behaupten wollen.

Auf der Weihnachtsmesse. (Zu unserer farbigen Kunstbeilage.) Ja, der Mann kennt seine Leute! Als die beiden schmucken Bauerndirnen auf seinen Stand zukamen, mit neugierig suchenden Augen die Herrlichkeiten seines Reiches musternd und doch mit dem Ausdruck der Unschlüssigkeit und Befangenheit im Gesicht, da hat er sofort gewußt: Aha, die suchen nichts für sich, auch nichts für Mutter und Geschwister, nicht einmal für den Vater – nein, die suchen etwas für einen – nun, von dem man halt nicht reden darf. So greift er denn mit Gewandtheit unter seinen Schätzen dasjenige heraus, was unter sothanen Umständen die größte Aussicht auf Absatz hat. Just eben setzt er die Schönheit und Vorzüge eines buntbemalten Porzellanpfeifenkopfes mit beredten Worten und verständnißvollem Schmunzeln auseinander, und fast scheint es, als ob er mit dem hübschen Mädchen, dank dem Zureden der erfahreneren Freundin, darüber handelseins werden sollte. Dann verschwindet die stattliche Tabakspfeife rasch im Tüchlein neben der Essigflasche – am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages aber steht einer draußen auf dem Dorfe unter seiner Hausthür und raucht aus einer nagelneuen Pfeife – kalt! Denn über den Gedanken an die liebliche Spenderin hat er wahrhaftig das Ziehen vergessen!

Weihnachtsglocken. (Zu dem Bilde S. 845.) Es ist auch eine Art „Lied von der Glocke“, was der Künstler auf unserem Bilde zusammenkomponiert hat, ein Lied von der Weihnachtsglocke, oder besser gesagt: von den Weihnachtsglocken. Denn verschieden wie ihre Gestalt ist ihre Sprache; eine andere Glocke ist es, die hoch vom Thurme die Beter zum hellerleuchteten Gotteshause ruft, während draußen Knecht Ruprecht seinem geheimnißvollen Werke nachgeht, eine andere, die vom einsamen Kapellchen in die winterliche Waldeinsamkeit hinaustönt, daß die Thiere des Forstes staunend zu lauschen beginnen. Und wieder eine andere Glocke ist es, die mit ihrem feinen fröhlichen Silberstimmchen den Kleinen das lange lange mit brennender Ungeduld erwartete Zeichen giebt: Klingelingling! Jetzt ist der große Augenblick da, wo die Thür des Bescherungszimmers sich aufthut und alle Geheimnisse des Christkinds sich entschleiern. Nun stürmen sie die Treppe hinauf, so rasch die kleinen, vor innerer Erregung zitternden Beinchen sie tragen, und in ihrem Herzen jubelt es – Klingelingling!

Der Heidenapostel. (Zu unserer doppelseitigen Kunstbeilage.) Sie mußten von kühnem Glaubensmuth getragen sein – jene ersten Sendlinge des Christenthums im heidnisch-germanischen Land, die im beginnenden Mittelalter, unter steter Bedrohung durch die rauhe Treue der Deutschen gegen ihre angestammten Götter, unentwegt die neue Botschaft verkündigten, deren friedliche Töne so ganz anders klangen als die Heldenmären von kriegerischem Streit und Sieg und Festgelag der alten Götter. Wie verschieden diese beiden Welten waren, die sich da berührten und nicht ohne bitteren Kampf einander gegenübertreten konnten, und welcher davon der Sieg zufallen mußte – das hat die Hand unseres Künstlers zu scharfem Ausdruck gebracht. Während der Alte auf erhöhtem Sitze mit feindlicher Miene das Bild an sich vorüberziehen läßt, welches das Weihnachtsevangelium vor ihm entrollt, während er düsteren Sinnes gegen den Zauber sich wehrt, welcher doch auch für ihn in dieser Botschaft liegt, und seinem väterlichen Glauben neue Treue gelobt, sind die andern schon gewonnen. Zutraulich haben sich die Enkelkinder des Alten dem fremden Manne genähert und horchen erstaunt auf seine Worte, indeß ihre Eltern mehr und mehr gefesselt werden von der ernsten Begeisterung des Apostel, von der Hoheit dessen, was er zu ihnen redet. Die Zukunft spricht aus diesem Bilde: die Söhne und Töchter, die Enkel verlassen den Glauben der Ahnen, und eine neue Lehre schickt ihnen ihre Sterne zum Geleite auf dem Lebensweg, zum Lichte einer neuen Zeit.




Inhalt: Weihnachten. Gedicht von J. Claus. Mit Abbildung. S. 837. – Fröhliche Weihnacht. Mit Streubildchen. S. 838. – Wie ich Großmutter wurde. Eine Weihnachtsgeschichte von E. Wuttke-Biller. S. 839. Mit Abbildungen S. 839, 843, 846 und 847. – In der Weihnachts-Kindervorstellung. Bild. S. 840 und 841. – Weihnachten im Forsthaus. Bild. S. 844. – Weihnachtsglocken. Bild. S. 845. – Mummenschanz der deutschen Weihnacht. Von Dr. Alexander Tille. S. 848. Mit Abbildungen S. 848, 849 und 850. – Am Kinderspieltisch unserer Voreltern. Von Hans Bösch. S. 851. Mit Abbildungen S. 851, 852, 853 u. 854. – Weihnachtsgeplauder. Von Emil Peschkau. Mit einer Vignette. S. 855. – Blätter und Blüthen: In der Weihnachts-Kindervorstellung. S. 856. (Zu dem Bilde S. 840 und 841.) – Der Cottasche Musenalmanach. S. 856. – Auf der Weihnachtsmesse. S. 856. (Zu unserer farbigen Kunstbeilage.) – Weihnachtsglocken. S. 856. (Zu dem Bilde S. 845.) – Der Heidenapostel. S. 856. (Zu unserer doppelseitigen Kunstbeilage.)



manicula 0 Hierzu die Kunstbeilagen „Auf der Weihnachtsmesse“. Von L. Blume-Siebert und
„Ein Heidenapostel verkündet den alten Deutschen das Weihnachtsevangelium“. Von A. Zick.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaction von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 856. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_856.jpg&oldid=- (Version vom 24.11.2023)