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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

„Und da verlangt dieser Herr Professor, daß man Respekt haben soll vor seinem ‚höheren Standpunkte‘! Julius, schämst Du Dich denn gar nicht vor Papa und mir?“

Der Herr Professor war viel zu glücklich, um sich zu schämen. Er hatte sich auf seinem höheren Standpunkte nicht halb so wohl befunden wie bei diesem Herabsinken zum schmählichsten Aberglauben, und was hatte es denn überhaupt mit dem Aberglauben zu thun, wenn man den Schleier seiner Dame bei sich trug und bisweilen anschaute? Das war Herzenssache. Daß aber der dumme Junge, der Friedel, plaudern mußte! Normann hatte große Lust, ihn dafür noch nachträglich beim Kragen zu nehmen, als er jedoch dies helle, herzerfrischende Lachen hörte, das er so lange hatte entbehren müssen, gab er die Rachegedanken auf und – lachte mit.

Der alte Gärtner erschien jetzt, um zu melden, daß das Gepäck des Herrn Professors vom Bahnhofe gekommen sei. Herwig ging voran ins Haus, um das Nöthige anzuordnen, und das Brautpaar folgte langsam. Da blieb Dora auf einmal stehen und wies auf einen Rosenstrauch, der, all seinen Gefährten voraus, schon über und über voll frischer, zartgrüner Triebe war.

„Das ist mein Pflegling vom vergangenen Jahre! Sieh nur, wie kräftig er treibt, im Sommer bringt er sicher wieder eine Fülle von Rosen. – Und was den Friedel betrifft – den behalten wir doch im Hause?“

„Damit er dort auch überall herumspioniert wie in Schlehdorf – ich werde mich hüten!“ sagte Normann. „Morgen gehe ich mit ihm zu Deinem Lehrer, der ihn wohl auch wieder für ein Wunderkind erklären wird wie all die Herren Künstler, die ich daheim um Rath fragte. Sie sind ja einig über dies sogenannte großartige Talent des Jungen. Er kommt in die Zeichenschule und später geht er zur Akademie, und wenn er in zehn Jahren nicht ein großer Mann ist, dann drehe ich ihm noch nachträglich den Hals um!“

Friedel vernahm weder diese Entscheidung über seine Zukunft noch die fürchterliche Drohung, die sich daran knüpfte. Er war mit dem Professor Herwig vorausgegangen, und die Geschichte mit dem Schleier ging ihm noch immer im Kopfe herum. Er hatte doch den Schleier gestohlen und der Herr Professor gewann die Braut, das paßte eigentlich gar nicht und wollte dem Friedel auch durchaus nicht einleuchten. Aber er tröstete sich schließlich mit der Ueberzeugung, daß er trotz alledem die Hauptperson bei der ganzen Sache gewesen war, denn – wie der alte Sepp so nachdrücklich betonte – „gestohl’n muß es halt sein!“


Blätter und Blüthen.

Bierverladung auf dem Münchener Centralbahnhof. (Zu dem Bilde S. 833.) Es ist kaum eine allzu kühne Behauptung, wenn man sagt, man kenne die weißen Bierwagen überall, wohin Eisenbahnschienen führen, und überall begrüßt man sie als die „Bringer der Lust“. In der Studentenwelt feierte man lange schon „Bayerisch Bier und Leberwurst“ im Liede, und jetzt trinkt der Australier ebensogut wie der Bürger in San Francisko oder in Petersburg sein Glas „Münchener“, vom Berliner, Hamburger etc. ganz abgesehen, die auf das „Echte“ bald mehr geben als der Vollblut-Münchener selbst. Aus dem Münchener Bierversand ist ein Weltexport geworden, dessen Ausdehnung ein im Laderaum des Münchener Centralbahnhofs verbrachter Tag einigermaßen ahnen läßt. Genau 661 weiße sogenannte „Bierspecialwaggons“ sind Privateigenthum der Münchener Braufirmen, davon besitzt die größte Exportbrauerei, „Zum Spaten“, allein 140 Wagen, deren jeweilige Ladung auf einem dieser Brauerei zur Verfügung gestellten eigenen Ladeplatz im Centralbahnhof erfolgt. Die Herstellung eines Bierspecialwaggons mit Isolierwänden zum Schutz gegen Hitze und Kälte und mit dem Eiskühlapparat kostet 4200–4500 Mark. Ein solcher Wagen faßt dann bei 5000 Kilogramm Tragkraft 32, bei 10 000 Kilogramm Tragfähigkeit 61 bis 65 Hektoliter Bier.

Als sich die Brauindustrie Münchens hinsichtlich der Ausfuhr noch in der Entwicklung befand, war die Ablassung von sogenannten Bierzügen zeitlich auf einige Tage in der Woche beschränkt, und dabei mußte eine bestimmte Wagenzahl seitens der Brauereien eingestellt werden. In kurzer Zeit jedoch nahm der Bierversand eine gewaltige Ausdehnung an und es ist heute durchaus keine Seltenheit mehr, daß eine einzige Brauerei 25–30 Wagen mit 1800–2000 Hektolitern (gleich 3–4000 Fässern) an einem Tage verladen läßt. So gehen jetzt die Bierzüge täglich auf drei Linien ab, und zwar des Abends, je 30–35 Wagen auf der Strecke Aschaffenburg für die Rheinlande, ferner über Gemünden nach Mitteldeutschland und Hannover, Bremen und Hamburg und über Probstzella nach Berlin, Sachsen und Schlesien. Nach dem Osten, Westen und Süden dagegen werden eigene Bierzüge nicht abgelassen, sondern die Bierwagen in Güterzüge, nach Möglichkeit auch behufs der nothwendigen raschen Beförderung in Postzüge eingestellt.

Ein Versandtag bringt für Brauerei und Bahnverwaltung Arbeit in Hülle und Fülle. Früh gegen 3 Uhr beginnt in der Brauerei die Arbeit der Bierfüllung in frisch gepichte Fässer. Auf dem Bahnhofe harren die bereitgestellten Wagen der Beladung; die allmählich mit zum Wahrzeichen Münchens gewordenen Rollwagen, mit Hengsten schwersten Schlages bespannt, rasseln dem Bahnhof zu, eigene Beamte bringen die Scheine zum Packmeister der Bahn und zu den dort thätigen Zollbeamten. Hier wird alles vermerkt, die Ladungen werden behördlich bestätigt und die Amtsscheine behufs Buchung der ausgeführten Biermengen (Rückvergütung des Malzaufschlages) an die staatliche Zollbehörde und an das städtische Anschlagsamt geleitet. Sind die „Weißen“ mit dem beliebten Gerstensaft gefüllt, geschlossen und plombiert, dann beginnt die Zusammenstellung des Zugs von Ladeplatz zu Ladeplatz durch das Rangierpersonal der Staatsbahn, bis endlich nach heißer Tagesmühe der fertige Bierzug des Abends München verlassen kann. Jeder Tag aber bringt zugleich zurückkehrende weiße Wagen mit Bergen von leeren Fässern, die sofort umgeladen und der Reinigung zugeführt werden müssen. Das ist ein stetiges Gehen und Kommen, sodaß der Bahnhof immer mit weißen Wagen einem Hasenrücken gleich „gespickt“ erscheint, worüber die einfahrenden Fremden sich nicht genug wundern können. Man darf sagen, es gehen täglich beiläufig 100–120 Bierwagen mit 6–7000 Hektolitern Inhalt aus der bayerischen Hauptstadt, eine erkleckliche Menge des edlen Getränks zur Befriedigung ausländischen Durstes; je mehr es der warmen Jahreszeit zugeht, desto größer wird auch der Versand. Wenn sich dann noch durstige Deutsche irgendwo kongreßlich versammeln, dann rollen gleich zwei und drei Züge hintereinander weißglänzend durch die Nacht, manchmal einer einzigen Brauerei gehörend, eine gefesselte Bierüberschwemmung auf Schienen. So viel aber auch hinauswandern mag in die weite Welt bis über die völkerverbindenden Oceane, es bleibt uns daheim in München gottlob doch immer der nöthige Tropfen, der noch ’mal so gut schmeckt im Bewußtsein, daß der fremde Biertrinker in der Ferne bei jedem Schluck vom „Echten“ der Stadt gedenkt, die solche Flüssigkeit erzeugt. Arthur Achleitner.     

Vor dem Tanz. (Zu dem Bilde S. 824 und 825.) O. Piltz versetzt uns mit seinem lebensvollen Bilde „Vor dem Tanz“ in den Saal eines wendischen Dorfkruges, nicht übermäßig weit vor den Thoren Berlins; denn aus der deutschen Reichshauptstadt stammt laut Aushang das Gambrinusbräu, welches dem vom Tanze erhitzten wendischen Jungvolk Kühlung und Labe bringen soll. – Zwölf macht freilich stets ein Dutzend, aber selten ein so liebliches, wie diese Zwölfzahl wendischer Mädchengestalten, die uns der Künstler aufs Papier gezaubert hat. Während die Dorfburschen, wie überhaupt fast die ganze Männerwelt, die alte heimische Tracht längst mit der modischen vertauscht haben, hält das schwächere Geschlecht mit weiblicher Zähigkeit an der hergebrachten kleidsamen Wendentracht fest. Mit Wohlbehagen mustern die Dorfburschen ihre anmuthigen Schönen, und sobald das Wirthstöchterlein den glättenden Stearin auf den blitzblanken Saalboden gestreut hat, werden sie eine der schmucken Dirnen um die andere nach den lustigen Weisen der Dorfkapelle im Kreise schwingen. W. M.-M. 

Die Reihe der Mozartgedenktage, welche uns das nun zu Ende gehende Jahr brachte, schließt am 5. Dezember mit dem wehmüthigsten von allen. An diesem Tage sind es hundert Jahre, seit der gottbegnadete Meister zu Wien die Augen schloß, noch im Sterben umwogt von den wunderbaren Klängen seiner letzten, nicht mehr vollendeten Schöpfung, des Requiems. Wie Mozart starb, das wissen unsere Leser aus den Schilderungen, welche die „Gartenlaube“ in den Nummern 23 und 39 dieses Jahrgangs veröffentlicht hat. Es bleibt uns heute nur die Pflicht, am hundertjährigen Todestage das Gedächtniß an den großen Meister pietätvoll zu erneuern, welcher der Welt in seinen unsterblichen Tonwerken ein so wunderbares Erbe hinterlassen hat.




Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

A. M. in B. Auch die Frage des Haarschwunds und des frühzeitigen Erbleichens gehört vor das Forum des Arztes!

Luise in L. Das Gedicht, welches mit den Worten beginnt: „Willst Du Dein Herz mir schenken“ hat Joh. Seb. Bach komponiert und wahrscheinlich auch gedichtet. – Eine gute Auswahl nicht allzubekannter Volkslieder bietet Ihnen „Silcher, Ausländische Volkslieder“, die Sie durch jede Musikalienhandlung beziehen können.



Inhalt: [Inhaltsverzeichnis dieses Heft, derzeit nicht transkribiert.]


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaction von Adolf Kröner. – Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. – Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_836.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)