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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Scheindasein, welches er führte. Wenige Familien fanden sich noch zu seinen Festen zusammen, und diese Feste nahmen nachgerade das Wesen von jenen Schmäusen an, die man in dortiger Gegend zum Angedenken an Verstorbene zu halten pflegt. Der „Königsbund“ war nicht mehr zeitgemäß, das empfanden auch die wenigen Treugebliebenen, und sie mußten sich mit dem Gedanken befreunden, das alte Wappenschild in zwölfter Stunde mit Ehren zu zerbrechen, ehe es unter dem Ruß der industriellen Neuzeit verschwand.

Unter diesen Treuen waren besonders drei Freunde, denen das Verhängniß schwer zu Herzen ging: der Justizrath und Notar Königs, der Rentner und frühere Apotheker Schmitz und der Thierarzt Vollmer. Der Justizrath war unbeweibt, dafür aber fast ein Mitglied in den Familien seiner beiden Freunde; die Familien standen von jeher in freundnachbarlichem Verkehr, und es war so ziemlich ausgemacht, daß der junge Dr. Heinrich Vollmer, welcher demnächst als Arzt die heilende Praxis seines Vaters nach der menschlichen Seite hin ergänzen wollte, und das hübsche blondlockige Gretchen Schmitz die Freundschaft bald noch durch ein eheliches Bündniß befestigen sollten. Alle diese zarten Verhältnisse, ja die Freundschaft der drei alten Herren selbst und die Stiftung der beiden Familien hatten sich vom „Königsbunde“ aus gebildet, er war die gesellige Heimath dieser wackeren und warmherzigen Menschen, und so erklärte sich vollauf der Kummer, mit welchem sie das Hinsiechen des alten bewährten Vereines verfolgten. Der Justizrath suchte die Sache mehr in seiner stillen zurückhaltenden Art mit entschuldigender Resignation hinzunehwen, die beiden anderen aber waren erregter und nahmen kein Blatt vor den Mund, wenn die Rede wieder auf eine neue Gründung in dem weiten Gebiete des Vereinslebens kam. Mit einem gewissen Behagen des Aergers vertieften sie sich in das Meer dieser Zeiterscheinungen und ließen so leicht keine neue Stiftung unbesprochen.

Dabei erwies es sich nun aber ganz allmählich, daß auch sie nicht ungestraft unter den Palmen gewandelt waren. Anfänglich unvermerkt, keimte in der Brust des Thierarztes wie des Apothekers eine verbotene Neigung auf. Da sie so lange alle Vereine außer ihrem „Königsbunde“, auch die nützlichsten, verachtet und geschmäht hatten, so rächte sich der Genius des Vereinswesens dadurch, daß er jeden für eine ganz absonderliche Spielart begeisterte; und zwar vertieften sich beide in etwas, das ihrem Wesen möglichst entgegengesetzt war. Der derbe Thierarzt, dessen blondhäuptige Riesengestalt jedem altdeutschen Kriegslager Ehre gemacht hätte, fing an, die Bestrebungen des „Philanthropischen Friedensvereines, Ortsgruppe Nr. XXIII“, mit beifälligen Blicken zu verfolgen, während der sanfte, etwas schüchterne Apotheker in aufgeregten Träumen sich schon auf dem Bärenfell, das Trinkhorn in der Hand, zu sehen glaubte; denn seine stille Liebe war der „Hainbund Walhalla“ – von Haus aus eine ganz harmlose Zechgesellschaft, welche mit allerlei altdeutschen halbverstandenen Namen und Bräuchen ihrem durstigen Thun eine „ideale Weihe“ zu geben suchte.

Anfangs, als die verschiedenen Neigungen noch winzig waren und nur erst so mit dem Köpfchen verschämt aus dem Herzensboden heraus lugten, wäre es vielleicht einer verständigen und festen Freundeshand noch gelungen, die üble Saat rechtzeitig auszurupfen. Da aber beide Freunde vor einander ein böses Gewissen hatten, so überging jeder mit ängstlicher Schonung die Neigung des andern, ohne inzwischen an der Lächerlichkeit derselben oder an der Vortrefflichkeit des eigenen heimlichen Ideals irre zu werden. Und so mußte denn das Unheil seinen Lauf nehmen.

An einem trüben Dezemberabend saß eine kleine Schar meist bejahrter Bürger beisammen in einem größeren Gasthofzimmer. Es war der Vorstand des „Königsbundes“, welcher sich hier versammelt hatte, um die einstweilige Aufhebung des alten Vereins zu beschließen. Der Justizrath führte den Vorsitz; über ihm an der Wand hing eine improvisierte Papptafel mit dem Vereinswappen, das Bild des hochseligen Königs in der Mitte. Nach einigen kummer- und würdevollen Reden war der Beschluß gefaßt: das Vermögen des Bundes wurde einer sicheren Stätte überwiesen, die Zinsen zu wohlthätigen Zwecken bestimmt, während man den Vereinsgarten dem bisherigen Oekonomen weiter in Pacht ließ, der dort eine gedeihliche Sommerwirthschaft zu führen hoffte. Wie das Grabgeläute der alten Stiftung klangen zwischen den Reden dumpfer Lärm, Gläserklirren und Reden von links und rechts herein. Die Menge der neuentstandenen Vereine übertraf schon fast das Angebot von verfügbaren Räumen, und so waren auch die beiden Nachbarsäle an zwei Gesellschaften vergeben, die heute abend gleichzeitig tagten und um die Wette lärmten. Die eine war die Ortsgruppe des „Philanthropischen Friedensvereins“, die andere der „Hainbund Walhalla“. Man schien auf beiden Seiten schon in ziemlich lebhafter Stimmung zu sein. Ab und zu verfehlte ein Friedensbruder oder ein Walhallagenosse den Ausgang aus seinem Wigwam und öffnete statt der betreffenden Gangthür geräuschvoll die Thür zu dem Mittelzimmer, um mit einem verlegenen „Pardon!“ wieder zu verschwinden. Unter diesen beengenden Umständen hatte die letzte Sitzung des „Königsbundes“ schnell ihr Ende erreicht, und zuletzt saßen nur noch die drei Freunde unter dem Wappenschilde beisammen, um einander bei einer Flasche Rauenthaler ihr Herz auszuschütten. Während der Justizrath versuchte, die Lage mit einem gewissen Galgenhumor von der heiteren Seite zu fassen, quollen die beiden anderen über von ingrimmigen Betrachtungen über das Vereinsunwesen, wobei doch wieder bei jedem unter dem Unmuth das Schlänglein der eigenen Neigung verrätherisch hervorzüngelte. Nun hatte sie aber der Verdruß des Abends unverträglicher denn sonst gemacht, und so kam es, daß sie zum ersten Male die stillschweigend vereinbarte Schonung verletzten und ihre Steckenpferde gegen einander antrieben; erst in gutmüthigem und gleichsam scherzhaftem Spiele, dann immer schärfer und zuletzt in schonungslosem schneidigen Turnier. Worte flogen hin und her, bissig und ätzend, wie es zu geschehen pflegt, wenn ältere und ernste Männer einmal in Leidenschaft gerathen. Der Justizrath suchte umsonst zu vermitteln. Immer heftiger und persönlicher wurde der Streit, und endlich sprang der Thierarzt in heller Wuth auf, schlug mit der geballten Faust auf den Tisch und rief: „Zank’ und trink’ Du weiter, mit wem Du magst, ich hab’s längst satt, es ist Zeit, daß man in eine andere Gesellschaft kommt – adjes, Königs, ich geh’ zu den Friedensfreunden!“ Sprach’s und verschwand mit dröhnendem Schritt hinter der Thür zur rechten Hand. Der Apotheker, der auch aufgesprungen war und schon ein scharfes Wort zur Erwiderung auf den Lippen hatte, starrte einen Augenblick auf die Pforte, hinter welcher sein Gegner verschwunden war, dann lachte er höhnisch und rief seinerseits: „Mit Dir wär’ ich freilich fertig – und jetzt geh’ ich in die Walhalla!“ Und mit einem flüchtigen Abschiedswort an den Justizrath zog er eilends durch die Thür nach links ab.

In wortloser Bestürzung blieb der Dritte allein zurück. Aus den beiden Zimmern klang ein verworrenes Durcheinanderreden und Gläserklingen herein; die neuen Genossen wurden beiderseits feierlich begrüßt. Der Justizrath trank seinen letzten Rest aus und erhob sich zum Weggehen. Da fiel hinter ihm rasselnd etwas zu Boden. Es war das Interimsschild des „Königsbundes“. Der Nagel, an dem es gehangen, mochte von einem eilfertigen Kellner nur lose eingeschlagen gewesen sein, und von dem Lärm und Gestrampel nebenan war er vollends aus der Wand geglitten. Nun lag das Schild am Boden, verkrümmt und bestaubt, durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_754.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)