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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Blätter und Blüthen.

Hunnen vor dem Feind. (Zu dem Bilde S. 712 u. 713.) Es waren blutige Zeiten, jene Zeiten der Völkerwanderung vom vierten bis sechsten Jahrhundert n. Chr., wo unter dem Ansturm der hunnischen Horden von Osten her die germanischen Stämme gezwungen wurden. die alten Wohnsitze zu verlassen und nach Süden und Südwesten gegen die römischen Grenzen vorzurücken. Als ob eine übermächtige Gewalt die Nationen wie Spreu durcheinanderschüttelte, so stoben damals in buntem Gemisch die Völkerschaften durcheinander. Die Hand aller stand gegen alle, am gewaltigsten aber lastete der Arm der Hunnen auf der europäischen Völkerwelt, ihr König Attila führte die Geißel, vor der vom äußersten Osten bis zum italienischen Süden hinab die Reiche bangten, bis die vereinigten Römer und Westgoten durch die Schlacht auf den katalaunischen Feldern im Jahr 451 seinen Heeresmassen Halt geboten und ihn zum Rückzug zwangen. Eine bewegte Scene aus jenen Raubzügen der Hunnen hat der Maler unseres Bildes dargestellt. Eine Horde der wilden Sendlinge Asiens hat plündernd fremde Ansiedlungen überfallen, auf schnellen Rossen suchen sie die Beute zu entführen; sogar ein Mädchen, das nicht rechtzeitig mehr in die Wälder zu fliehen vermochte, wurde rasch aufs Pferd gebunden und muß nun als willkommene Beute den rasenden Schlachtritt mitmachen. Denn mitten in ihrer Plünderung sind die Hunnen ihrerseits von ihren rachedürstenden Gegnern überrascht worden und in rascher Wendung stürmen sie nun zum Angriff gegen den Feind.

König Alfons XIII. von Spanien.

Europas jüngster Herrscher. Alfons XIII. von Spanien, der am 17. Mai dieses Jahres seinen 6. Geburtstag und zugleich die fünfjährige Dauer seiner Königsherrschaft feiern konnte, mußte am 17. Juli einen großen Schmerz erleben; nicht der hohen Politik des Staates galt er indessen, sondern einer Entsagung, die man ihm aus erzieherischen Gründen auferlegte. An diesem Tage erfolgte nämlich seine Abreise von Madrid nach San Sebastian und zugleich seine Trennung von einem heißgeliebten Wesen, von seiner Amme, welcher man die Wartung des jungen Herrschers ganz gegen die Gewohnheit fünf volle Jahre überlassen hatte, welche aber zugleich ihren Pflegebefohlenen durch allzugroße Nachgiebigkeit zu verhätscheln drohte. Der Knabe war untröstlich, als er ohne seine ama abfahren mußte, allein am neuen Aufenthaltsort vergaß er bald seinen Kummer über der Lust, mit seinen Schwestern im Sande des Strandes Burgen und Häfen aufzubauen. – Es ist eine „leichte“ Königsfamilie, die sich dort in San Sebastian aufhielt, die Mutter wiegt zusammen mit ihrem Sohne und ihren beiden Töchtern nur 117 Kilogramm, wovon auf den kleinen König bloß 15 entfallen, während seine Großmutter, die ehemalige Königin Isabella, für sich allein 117. Kilogramm in Anspruch nimmt. Möge Alfons XIII. in die Wage der Geschichte schwerer fallen als in die von San Sebastian! R. S.     

Der Silhouettenschneider. (Zu dem Bilde S. 717) Vor zwanzig Jahren gab es in Berlin einen wahrhaft genialen Silhouettenschneider. Es war ein kleiner Mann mit einem fragenden, gleich die Personen auf ihre besondere Eigenartigkeit im Gesichtsausdruck prüfenden Blick, und man traf ihn überall, wo das Publikum sich zusammenfand, um des Tages Last und Mühe abzuschütteln. Oft fragte er, mit der Schere in der Hand, ob er ein Porträt anfertigen dürfe, vielfach setzte er sich ohne Auftrag von seinem „Opfer“ an einen nicht zu weit entfernten Tisch, fertigte mit wahrer Virtuosität ein Profilbild an und bot dann sein Kunstwerk gegen beliebige Bezahlung zum Kaufe an. Und der Berliner ist daheim viel zu kameradschaftlich und zu gutmüthig, um in solchem Fall nicht in die Tasche zu greifen. Er giebt, was seinen Verhältnissen entspricht, und der kleine Mann stellte – ich habe ihn häufig beobachtet – auch niemals höhere Forderungen. Ich besitze noch ein aus jener Zeit herrührendes, überraschend ähnliches Bildchen, aus schwarzem Papier geschnitten, und es weckt die Erinnerung an die in belebten Berliner Vororten oder in Konzertsälen, Bierschenken, kleinen Theatern und Belustigungslokalen verlebten frohen Stunden.

Unser Zeichner giebt eine treffliche Skizze von einem „Bildschneider“ aus neuester Zeit. In einer Wirthschaft sitzt eine Familie um den Tisch und läßt eines ihrer Mitglieder, das lächelnd gradausschauende, die Hände auf die Stuhllehne stützende achtzehnjährige „Mariechen“, zunächst abkonterfeien. Sehr lebensvoll, der Wirklichkeit trefflich abgelauscht ist namentlich der Künstler selbst und die mittlere Gruppe der Alten. Aber auch auf den Gesichtern der übrigen ist der Ausdruck des gespannten Interesses an dem Vorgang überzeugend wiedergegeben. g     

Belauschte Werbung. (Zu dem Bilde S. 721.) Ein verschwiegenes Plätzchen, fern vom Landhaus, am äußersten Parkende, wo aus der Marmornische unter grünen Ranken hervor die kleine Fontäne in das bemooste Becken tröpfelt – und doch nicht weit genug entfernt für zwei Paar muthwilliger Lauscherohren, die hier voll Entzücken das Gelingen ihres sauberen Anschlags genießen. Die losen Spaßvögel haben ihn herbeigelockt, den guten Doktor, durch die geheimnißvolle Mittheilung, daß hier Donna Erminia, die allerliebste junge Witwe und Besitzerin dieses begehrenswerthen Landgutes, um die Vesperzeit gern ein Stündchen zubringe, vielleicht in stillen Gedanken an ihren Seligen, vielleicht an sonst wen … wer könne es wissen?!

Und das Mittel wirkte bei Doktor Gasparo stärker als je eines der seinigen bei seinen Patienten. Keinen halben Tag brauchte er bis zur Ueberzeugung, daß nur er der glückliche Erwählte sein könne. Sah sie nicht ihn bei der allabendlichen Spielpartie immer besonders freundlich an? Und mißbilligte sie es nicht regelmäßig, wenn der verwünschte Spaßmacher von Onkel und die muthwillige Freundin sich die Langeweile dieser Spielabende durch Aufziehen des Doktors zu versüßen suchten? O, es war klar wie der Tag, sie hatte sein treues Herz erkannt und suchte ihm Gelegenheit zur Aussprache zu bieten, wollte allein mit ihm sein ohne die beiden lästigen Aufpasser!

Und so kommt er denn richtig am ersten Abend schon zur Fontäne, als ahnungsloser „vierter Mann“ der Partie, im schönsten Staatsgewand. Seine Rechte hält einen Blumenstrauß, die Linke drückt er aufs Herz und beginnt eine zärtliche Ansprache, vorerst in die großen Hutfedern hinein, die ihm das Gesichtchen der Holden verdecken. Und das ist gut für seine Fassung, denn es zuckt verrätherisch um ihre Mundwinkel: als Bräutigam wird der brave Sor Gasparo diesen idyllischen Winkel schwerlich verlassen.

Der schlimme Oheim hält sich die Seiten vor Ergötzen über den Kapitalspaß, die Freundin schielt auch vergnügt von ihrem Lauerposten herab und denkt höchstens, wenn sie einen kleinen Gewissensstich fühlt: „Pah! er wird sich trösten.“

Und das ist richtig, trösten wird er sich. Auch die hübsche Donna Erminia sieht gerade so aus, als ob sie ihren Tröster allbereits im Sinn und nahe genug bei der Hand habe. Ein Jahr später aber, wie wird es dann hier aussehen? Erminia wird ihren Tröster geheirathet haben, Oheim und Freundin, die überflüssig gewordenen Anstandswächter, werden längst verduftet sein, allein nach wie vor kommt abends der längst mit dem Stand der Dinge versöhnte Freund Gasparo zur Spielpartie auf die Villa, und jetzt macht er sie mit dem Ehepaar in vergnügtem Behagen zu dritt – mit dem Strohmann! … Ja, ja, wer zuletzt lacht, lacht immer am besten. Bn.     




manicula 0 Hierzu Kunstbeilage XII. „Waldidyll“ von Gustav Courbet.




Inhalt: [Anm. WS: Inhaltsverzeichnis des vorstehenden Heftes, nicht transkribiert]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 724. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_724.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2023)