Seite:Die Gartenlaube (1891) 622.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

die elektrische Glühlichter in der erhobenen Rechten schwingt. Aber diesmal ist es – wie schon das Gewand verräth – nicht Signora Galvani, es ist auch nicht „Pandora“, jenes tückische Geschenk des Zeus, es ist die Siegerin „Kultur“. Alle die glänzenden Gestalten des Ballets huldigen ihr in den bunten Verschlingungen des Tanzes, man sieht wieder die Elemente, die Metalle, die schwarze Kohle und den hellschimmernden Krystall, dann die Errungenschaften der Kultur wie Bergbau, Telegraphie, Telephonie, Phonographie und Photographie und andere mehr. Die Kultur, von Europa ausgegangen, das ihr zu Füßen lagert, hat nun auch die übrigen Erdtheile erobert, und so huldigen sie ihr alle, Asien und Afrika, Amerika und Australien, die beiden ersteren im Vordergrunde, die beiden letzteren im Hintergrunde unseres Bildes rechts und links hervorragend. Zuletzt öffnet sich die Säule, auf welcher die Kultur steht, fächerartig, ein Parkett leuchtender Blumen strahlt aus ihnen empor, und unter den Jubelklängen der Musik fällt der Vorhang. –

Wir verlassen das Theater und treten hinaus ins Freie. Ein herrlicher Sommerabend, lind und duftig – die phantastischen Linien der Giebel, Kuppeln und Thürmchen verschwimmen in den Schatten der Nacht. Die Poesie dieser Stunde, das leise Rauschen des Wassers aus der Ferne, die Klänge der Musik, die gedämpft an unser Ohr dringen, das alles zaubert eine Stimmung hervor, die uns bald vergessen läßt, wo wir sind. Die Wissenschaft, die Technik, die Elekricität – sie liegen weit hinter uns und vor uns ist nur die Nacht mit ihren geheimnißvollen Linien und Tönen, mit ihrer Dämmerung und ihrem milden Wehen. Da blitzt es plötzlich auf – in blendendem Schein liegt der weite Ausstellungsplatz vor uns; und dort wird eine Grotte hell in eletrischem Lichte, ein Frauenleib, von Silberlicht umstrahlt, hebt sich aus der leuchtenden Fluth, wie rothglühende Lava wälzt sich das Wasser über Felsen herab, aus dunkler Höhle schimmert ein Drachenungethüm in allen Farben hervor, und das Zickzack der Giebel und Firste zeichnet sich scharf ab von der märchenhaft erhellten Luft.

Wir stehen still und die Empfindungen des Morgens erwachen aufs neue. All dies wundersame Leuchten ist nur Schwingen der Moleküle, Licht gewordene Kraft. Und ergriffen von der Poesie dieses Gedankens starren wir in das elektrische Märchen, bis uns die Glocke der Ausstellung zum Aufbruche mahnt.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Am Viktoria-Njansa.

Im Norden von Deutsch-Ostafrika liegt der größte der Seen, aus denen der heilige Nilstrom entspringt. Die Eingeborenen nennen ihn einfach Njansa, d. h. See, die Araber hatten ihm nach einer seiner Inseln den Namen Ukerewe gegeben; am 30. Juli 1858 schaute ein Europäer, John Hanning Speke[WS 1], von einem Hügel zum ersten Male auf seine unendlichen Wassermassen und taufte ihn seiner Königin zu Ehren „Viktoria-Njansa“. Seit jener Zeit wurde der See wiederholt von Forschern besucht, Missionare ließen sich an seinen Gestaden nieder, aber niemand war bis jetzt imstande, seine Ufer genau zu vermessen; so können wir seine Größe nur annähernd angeben, er mag eine Fläche ungefähr so groß wie das Königreich Bayern bedecken.

Auf diesen Wassern, die, vom Sturm erregt, beinahe wie das Meer tosen und branden, haben bis jetzt nur die einfachen Boote der Eingeborenen ihre Fahrten von Küste zu Küste, von Insel zu Insel vollzogen; aber der Tag naht, an welchem auch hier der erste Dampfer kreuzen wird, und dieser erste Dampfer auf dem größten Quellsee des Nils wird ein deutsches Schiff sein! Die Gebiete am Viktoria-Njansa sollen neben anderem den Schauplatz der künftigen Thätigkeit deutscher Kulturträger in Afrika bilden; versuchen wir, das weite Feld, das für Deutschland immer mehr an Bedeutung gewinnt, in knappen Umrissen zu schildern!

Die Völker am Viktoria-Njansa haben ihre Geschichte. Als der erste Europäer, John Hanning Speke, sich jenen Gebieten näherte, da belehrte ihn der Araber Nasib: „Diese Wahuma-Könige sind nicht wie die, welche Ihr in Unjamwesi oder sonstwo gesehen habt, sie haben Offiziere und Soldaten gleich dem Sultan von Sansibar.“ Wer sind nun diese Wahuma?

In alten Zeiten – genauere Bestimmungen lassen sich nicht geben – war das Land zwischen dem Viktoria- und Albertsee von einem dunkelfarbigen Negervolke, den Witschwesi bewohnt; in das Gebiet dieses ackerbautreibenden Stammes drang, vom Norden kommend, ein heller gefärbter Volksstamm ein, der sich ausschließlich mit Viehzucht beschäftigte und von den Ureinwohnern des Landes Wahuma, d. h. „Leute aus dem Norden“, genannt wurde. Die Nomaden unterjochten die Witschwesi, und aus der Vermischung der beiden Rassen gingen die heutigen Völker im Westen des Viktoria-Njansa hervor, vor allem die Waganda und Wanjoro; aber zwischen ihnen wohnen noch zerstreut die echten Witschwesi und die echten Wahuma. Die Sieger nahmen, wie dies so oft der Fall war, die Kultur der Besiegten an, und heutzutage sind in den betreffenden Ländern die unvermischt gebliebenen Wahuma ein verachteter Stamm, obwohl in den Adern der herrschenden Geschlechter des Landes zweifellos Wahumablut fließt. Sie leben in stiller Abgeschiedenheit fernab von den Ansiedlungen der Ackerbauer am Rande von Waldungen und sind nach wie vor Hirten.

Die siegreichen Wahuma, die stammverwandt mit den Abessiniern oder den Gallavölkern sein dürften, gründeten ihre erste große Herrschaft Kittara in den Ländern, die in dem heutigen Unjoro zu suchen sind. Im Laufe der Zeit zerfiel dieses Reich in zwei selbständige Staaten, Unjoro und Uganda, von denen der letztere – an der Nordwestecke des Vikoria-Njansa gelegen – am meisten emporblühte. Thronstreitigkeiten führten in noch späterer Zeit zur Auswanderung der Wahumafürsten, die weiter südlich am Viktoria-Njansa neue Reiche gründeten, wie Karagua, Uhaija und Usinsa.

Unter diesen Wahumastaaten übernahm frühzeitig Uganda die führende Rolle. Wenn nicht alle Anzeichen trügen, so fand hier außer der Wahumaeinwanderung noch eine andere statt. Wir wissen, daß die Völker des Alterthums eine ziemlich genaue Kunde von der Lage der Nilseen besaßen; das wird nur dadurch erklärlich, daß einmal in alter Zeit regere Handelsverbindungen zwischen Aegypten und den Völkern am Viktoria-Njansa bestanden. Vermuthlich verdankt Uganda diesen alten verschollenen Einflüssen seine für Innerafrika hervorragende Kultur und die wunderbare Empfänglichkeit für jene Einwirkungen der Gesittung, die, sei es von Arabern, sei es von Europäern, in letzter Zeit dort versucht worden sind.

Als das Reich von Speke und Grant[WS 2] entdeckt wurde, kannte das Volk der Waganda bereits eine stattliche Reihe von Herrschern, und in der Nähe der Königsstadt Mengo erhoben sich zweiunddreißig pyramidenförmige Hütten, unter denen in kammerartigen Grüften die Mumien der letzten zweiunddreißig Könige des Landes bestattet lagen.

Dem entsprechend war hier auch die staatliche Ordnung fester gefügt als in anderen uns bekannten ostafrikanischen Gemeinwesen. Den Kern der Bevölkerung bildete wie überall die arbeitende Klasse und diese bestand hier in erster Linie aus dem „Mkopi“, dem Bauern; er zahlte in Bodenerzeugnissen die Abgaben und er mußte zum Speer greifen, wenn sein Herrscher sich in Kriege verwickelte. Das ganze Land war in eine große Zahl kleiner Kreise getheilt, an der Spitze eines jeden stand ein vom König ernannter Häuptling, ein „Mtongoli“; mehrere dieser Kreise bildeten eine Provinz, die von einem Oberhäuptling oder „Mkungu“ verwaltet wurde; die Leitung des Gesammtstaates lag in der Hand des Herrschers, des „Kabaka“. Diesem war zwar ein aus den vornehmsten Häuptlingen gebildeter Rath zur Seite gestellt, auf dessen Stimme er bei wichtigen Angelegenheiten Rücksicht nehmen mußte; im großen und ganzen war er aber ein Selbstherrscher, der frei über Leben und Gut seiner Unterthanen verfügte. –

Die Waganda bauen bis heute keine Häuser aus Mörtel und Stein; sie wohnen in den runden ostafrikanischen Grashütten, und auch ihre Oberhäupter bedienten sich desselben Materials, um ihre „Paläste“ zu errichten, auch deren Wohnhäuser waren Grashütten, nur im großen Stil. Trotzdem war die Residenz eines Kabaka geeignet, das Staunen des Europäers hervorzurufen. Die Könige liebten es, ihre Hauptstädte und Burgen auf Hügeln zu errichten, und da sah das Auge Tausende von Hütten und Gehöften zu einem großen Ganzen vereinigt, ein gewisser barbarischer Pomp und Prunk stellte sich dem Auge dar.

Anmerkungen (Wikisource)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_622.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2023)