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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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Gut verwendete Millionen.

Eine Mahnung zur Linderung sozialer Noth.

In keinem Zeitalter hat es so viele und so vielfache Millionäre gegeben wie in dem unsrigen. Sie sind eine neuzeitliche Gesellschaftserscheinung geworden und sowohl durch ihre Art wie durch ihre verhältnißmäßige Menge wohl von den durch Erbschaft Reichen der früheren Zeit zu unterscheiden. Im allgemeinen sind sie als rührige praktisch strebende Menschen durch die neuen Hilfsmittel der Industrie, durch die vielfältigen Erfindungen, den weiter erschlossenen und mächtig geförderten Weltverkehr und durch die damit wachsenden Bedürfnisse des öffentlichen wie des privaten Lebens schnell – oftmals aus Niedrigkeit und Armuth – zu außerordentlichem Kapitalreichthum gelangt.

Ist nun damit zugleich der Gegensatz von arm und reich, der allerdings immer bestanden hat und immer bestehen wird, ein größerer und härterer geworden, so ist doch auch die Zahl jener Millionäre gewachsen, welche diesem Gegensatz seine Bitterkeit zu nehmen suchten, welche für ihr äußeres Glück sich in hervorragenden Werken der Wohlthätigkeit und Gemeinnützigkeit dankbar erwiesen und sich damit Ehrendenkmäler gesetzt haben, die zugleich stolze Marksteine einer in der Richtung auf das Gute fortschreitenden Kultur bedeuten.

Viel gefeiert wurden ihrer Zeit die Stiftungen des 1869 in London als Bankier gestorbenen Amerikaners Georg Peabody. Er schenkte der Stadt Baltimore und dem Staate Maryland nach und nach 21/2 Millionen Mark zur Gründung und Unterhaltung einer Volksbildungsanstalt und erbaute für dieselbe ein prächtiges Heim. Er stiftete ferner für öffentliche Schulen in den südlichen Staaten Nordamerikas mit ihrer zahlreichen, früher von der Bildung gänzlich ferngehaltenen Negerbevölkerung 14 Millionen Mark und 10 weitere für Arbeiterwohnungen in London, der Großstadt auch hinsichtlich des proletarischen Elends. Es seien diese Millionenschenkungen deshalb wieder hervorgehoben, weil sie ein Beispiel sind für die Eigenart, welche diese Großthaten des Gemeinsinns von seiten der heutigen Industriemillionäre fast durchweg tragen. Es sind keine Almosen, keine Geldvertheilungen an die „Klasse der Enterbten“; sondern es sind Stiftungen, welche die sittliche und wirthschaftliche Hebung des Volkes durch Förderung seiner Bildung zu erreichen streben. Peabody war aus der Armuth heraus zu seinem riesigen Vermögen gelangt; er betrachtete sein äußeres Glück wie eine Schuld, die er an die Armen abzutragen habe. Der letzte Zweck seines Lebens war, als ein Menschenfreund dem Stand der Besitzlosen und Arbeitsamen dauernde Wohlthaten zu erweisen, um „Gott vor ihnen zu rechtfertigen.“

Peabody steht nicht allein da mit solcher Gesinnung, und er ist weder der erste noch der letzte, der die Welt mit seiner Freigebigkeit für Werke der allgemeinen Wohlfahrt in Erstaunen setzte. Der Amerikaner, welcher vermöge der eigenthümlichen Kulturentwicklung der neuen Welt leichter als der Angehörige irgend eines anderen Volkes in den Besitz von Millionen gelangt, zeigt fast immer einen Wohlthätigkeitssinn, der sich mit vollbewußter Absicht auf Gründungen von bleibender Nützlichkeit und auf die geistige Förderung der vermögenslosen Klassen seines Vaterlandes richtet.

Eine hervorragende Stelle unter diesen Männern, wenigstens durch die Größe seiner Schenkungen, nimmt Stephan Girard in Philadelphia ein, der sich im Anfang dieses Jahrhunderts durch kühne Handelsunternehmungen in der Kriegszeit von 1811 und 1812 ein solches Vermögen erwarb, daß er in der großen Republik der reichste Mann seiner Zeit wurde. Er war zu Périgueux in Frankreich geboren und von Jugend auf von dem Streben beseelt, sich Reichthümer zu erwerben. Als alter Mann gab er geradezu all sein Erworbenes für die Bedürftigen her und gründete mit 8 Millionen das Waisenhaus in Philadelphia, in dem er sich ein bescheidenes Gemach vorbehielt, um dort in fast dürftiger Einfachheit seine letzten Tage zu verbringen. Er starb, ein Einundachtzigjähriger, im Jahre 1831.

In neuerer Zeit haben sich unter den amerikanischen Millionären besonders Astor, Smith und Vanderbilt durch die Großartigkeit ihrer Gaben ausgezeichnet.

John Astor besaß durch seine Landspekulationen soviel an Vermögen, daß es in Zahlen schwer anzugeben war. Man schätzte seine jährlichen Einkünfte auf 12 Millionen. Er gab mit vollen Händen und mit einer förmlichen Verachtung des Geldes, wenn er einzelnen dazu verhelfen konnte und wollte, Unternehmungen auszuführen und es damit gleichfalls zu Reichthum zu bringen. Als einmal ein Freund, der allerdings auch einer der glücklichsten Landspekulanten in New-York war, bei Astor anfragte, ob ihm dieser 250 Millionen Dollars, also über tausend Millionen Mark, leihen könne, da antwortete Astor damit, daß er am nächsten Tage die Bankanweisungen über die geforderte Summe vor den Bittenden hinlegte. Dieser große Schuldner Astors war Peter Smith, ein Millionär, der in wenigen Jahren das Vorgestreckte bar zurückzahlen konnte. Alle beide klagten sich dabei die Noth, die sie mit ihrem Reichthum hatten.

„Der meine,“ sagte Astor, „bereitet mir gar keine Freude. Andere Leute haben nur Behagen und Genuß davon. Ich selbst kann nicht mehr als das brauchen, was mir zum Leben nöthig ist, und das ist wenig. Mein Geld macht mir Schererei und haftet an mir wie mit Krallen, die mich Tag und Nacht keine Ruhe finden lassen.“

Und Peter Smith, erkenntlicher für sein äußeres Glück im Hinblick auf den Segen, den er damit bereiten konnte, äußerte zu dem Freunde: „Seit Jahren bin ich ein Landkäufer. Ich meine, jeder Mensch habe ein Recht auf ein Stück Erde, um eine Farm betreiben zu können. Mehr braucht er nicht, um sich weiter zu bringen. Da kann ich wenigstens mit meinem Gelde Gutes stiften.“

Dem entsprechend schenkte Smith Farmen in Unmasse. Geschah das nicht unmittelbar aus seinen erworbenen Ländereien, so gewährte er Geldbeträge für Landankauf. Zunächst erhielt jede Witwe und jede alte Jungfer, die es im Staate New-York gab, 200 Mark für diesen Zweck. Nach dem Bürgerkriege überwies er dreitausend Farmen im Gebietsumfang von je 15 bis 75 Acres (1 Acre = 401/2 Ar) an ebensoviele durch den Krieg heimgesuchte oder ihres Ernährers beraubte Familien. Für gewöhnlich vertheilte er außerdem noch hunderttausend Dollars im Jahre an milde Stiftungen. 1874 starb er und hatte in der angegebenen Weise den größten Theil seiner Millionen wieder hergegeben, zweckbewußt, um die Ansiedlungen in seinem Vaterlande zu fördern, der Kultur neue Wege zu bahnen und vielen Armen einen festen Grund für ihr Fortkommen zu bieten.

Es scheint diesen Millionären ein inneres Bedürfniß zu sein, zur ausgleichenden Gerechtigkeit einen Theil von ihrem irdischen Ueberfluß zu opfern, um zur Verringerung des sozialen Elends nach ihren Kräften beizutragen. Auch der große Eisenbahnkönig Cornelius Vanderbilt, der als Stifter eines in seinem Vermögen gar nicht abzuschätzenden Millionärgeschlechts vor vierzehn Jahren starb, folgte diesem Zuge des Guten und Schönen im Menschen. Er muß als einer der verdienstvollsten Vorkämpfer der Civilisation in Nordamerika geehrt werden, und als er sich wirklich den reichsten Mann der Welt nennen durfte, sagte er sich wie zum Trost: „Habe ich in jedem Jahre seit meiner Geburt durchschnittlich eine Million Dollars verdient, so befriedigt es mich noch mehr, daß ich jedes Jahr dreimal so viel meine Mitbürger verdienen lassen konnte.“ Er hinterließ seinem ältesten Sohne 400 Millionen Mark und vermachte, ungerechnet alle anderen Stiftungen, noch 60 Millionen für verschiedene gemeinnützige Zwecke. Als nicht lange danach sein Sohn ebenfalls starb, hinterließ dieser die fabelhafte Summe von 400 Millionen Mark für wohlthätige Stiftungen und eine gleiche Summe seinen beiden Söhnen. New-York betrauerte diesen großartigen Menschenfreund in gebührender Weise. Niemals hatte in der That ein Privatmann solch ein Vermächtniß gemacht; die Phantasie verwirrte sich fast vor dem Strom von Gold, der hier zur Linderung und Beseitigung der Noth sich ergoß.

Wesentlich amerikanisch kann man die Größe dieser Werke der Menschenliebe von seiten industrieller Geldfürsten nennen. Allein England hat sich in solchen Leistungen nicht viel weniger ruhmwürdig gemacht, ja es ist hierin Amerika vorangegangen, wie denn wohl in dem wohlthätigen Amerikanerthum ein englischer Charakterzug sich äußert.

Jedediah Strutt erfand im vorigen Jahrhundert den Webstuhl für gerippte Strümpfe und legte damit den Grund zu einem großen Vermögen. Wie er, so suchten auch seine immer wohlhabender werdenden Nachkommen die sittliche und gesellschaftliche Stellung der Arbeiter in ihrer Fabrik zu verbessern und sich für edle Zwecke jederzeit freigebig zu zeigen. Joseph Strutt schenkte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_603.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)