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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Um sechs Uhr abends wurde Seiner Hoheit Hofrath Müller gemeldet. Der Prinz erhob sich rasch, ging dem Eintretenden entgegen und reichte ihm die Hand. „Mein lieber Hofrath,“ sagte er lebhaft, während er das offene, ehrliche Gesicht betrachtete, „kein Wort von der Vergangenheit! Hören Sie, nicht jetzt, nicht ein andermal! Minister Imhof ordnet die Sache ohne uns –“ der Mann gefiel ihm und so setzte er mit voller Aufrichtigkeit hinzu: „Wir sind Freunde!“

Die Abendsonne schien durch das Rundfenster ins Treppenhaus. Die Wandgemälde – deutsche Kaiser und Könige – welche die Eingangshalle schmückten, wurden im warmen Lichte lebendig. Eins war ein Nachbild von Dürers Karl dem Großen. Beim Eintritt hatte die innere Erregung das Auge Müllers umflort, jetzt da er in dankbarer, freudiger Bewegung das Schloß verließ, fiel ihm das Gemälde auf. Es erinnerte ihn an seinen König Karl in Hohenwart.

Der höchste Gerichtsbann, die Krone hat ihn freigesprochen! Unwillkürlich nickte er dem Erhabenen mit einem seligen Lächeln zu. „Frei! Aber der Krone, dem Staate doppelt verpflichtet!“

Unweit vom Schlosse hielt der Wagen, der ihn vom Bahnhofe hergebracht hatte. Mutter und Tochter saßen drin. Als Vitus wieder bei ihnen Platz nahm, fragte ihn Ida mit tiefer Bewegung: „Ist jetzt alles gut?“

„Alles!“ erwiderte er, „und Du habest ein Herz so treu wie Gold, sagt der Prinz.“

„Sagt er? – O Vitus, Vitus, was für ein Abend!“

Am Nachmittag des folgenden Tages begegnete Ida dem „Drachen von Hohenwart“. Als die Majorin von der geheimnißvollen Abberufung des Stadtrichters in die Residenz hörte, fand sie in der Nacht keinen Schlaf und am Morgen keine Ruhe. Sie benutzte den ersten Zug, um mit Minna nach der Hauptstadt zu fahren. Sie gönnten sich kaum das Mittagsbrot, streiften ruhelos durch die Straßen und fingen die Gesuchte am Ende glücklich ab. Nach den gegenseitigen Freudenbezeigungen über die Ueberraschung und den merkwürdigen Zufall erzählte Ida die große Neuigkeit. Die Majorin blieb sekundenlang sprachlos, dann lächelte sie giftig.

„Hofrath Seiner Hoheit? Aber Frau Baronin, bedachten Sie auch, was die böse Welt dazu sagen wird?“

„Ich verstehe,“ erwiderte Ida gelassen. „Allein die Welt glaubt nicht alles, was sie sagt, und darum ist die Welt nicht so bös, wie man sie macht. Uebrigens ein für allemal, liebe Majorin – wir werden uns ja hoffentlich noch recht oft sehen – nennen Sie mich nicht immer Frau Baronin! Der Titel meines Mannes ist Hofrath. Wenn Ihnen jedoch die Hofräthin nicht gefällt, so nennen Sie mich gut bürgerlich Frau Müller!“




Die eidgenössische Bundesfeier in Schwyz.

Von Dr. Thiessing.0 Mit Abbildungen von Fritz Bergen.

In den ersten Augusttagen dieses Jahres waren es sechshundert Jahre, daß die Orte Uri, Schwyz und Unterwalden zum Schutze ihrer Unabhängigkeit einen „ewigen“ Bund geschlossen haben. Sechs Jahrhunderte sind mit ihren Stürmen hinweggegangen über diese Vereinigung, die einst bei ihrem Beginn in unscheinbarem Rahmen sich darstellte, und doch ist sie durch keinen Wechsel der Zeit vernichtet worden. Was Wunder, daß die Erben jener That das sechshundertjährige Jubiläum des Bündnisses allenthalben und vor allem in Schwyz feierlich begangen haben, in jenen Alpenthälern, die mit Recht als die Wiege der Eidgenossenschaft gelten. Werfen wir, ehe wir dieses Fest selbst schildern, einen Blick zurück auf die Geschichte jener drei Urkantone.

Erst spät, später als manches der Gemeinwesen, mit denen sie in der Folge die Eidgenossenschaft schlossen, tauchen sie in der Geschichte auf. So wird Uri zum ersten Male erwähnt im 8. Jahrhundert. Im Jahre 853 schenkte dann Ludwig der Deutsche seine Besitzungen in Uri der Fraumünsterabtei in Zürich, das Thal wurde der Reichsvogtei Zürich einverleibt und kam mit dieser am Ende des 11. Jahrhunderts an die Herzöge von Zähringen. Als diese ausstarben, gab Kaiser Friedrich II. das Ländchen Uri dem Grafen Rudolf dem Alten von Habsburg, von dem es König Heinrich, Friedrichs Sohn und Stellvertreter in Deutschland, zurückerwarb. Er gab den Urnern einen Freiheitsbrief, durch den sie reichsfrei wurden, und setzte ihnen einen Landammann aus ihrer Mitte, unter dessen Leitung sie ihre gemeinsamen Angelegenheiten selber besorgten, als eine Republik unter des Kaisers Schutz.

Das Thal Schwyz, meist von Freien bewohnt, stand unter der erblichen Landgrafengewalt der Habsburger. Die freiheitliebenden Schwyzer Bauern benutzten den Streit zwischen Friedrich II. und dem Papst, um von ihrem Grafen Rudolf dem Schweigsamen von Habsburg-Laufenburg abzufallen, nachdem dieser dem Kaiser untreu geworden war. Sie gelobten dem in Italien weilenden Friedrich Gefolgschaft und erhielten von ihm einen Freiheitsbrief, durch den er sie von Habsburg löste.

Unterwalden war von Freien und Unfreien besiedelt, der größte Theil des Bodens gehörte verschiedenen Klöstern und dem Grafen von Habsburg, der nebenbei auch die Herrschaft über die Thäler Stans und Sarnen ausübte. Wie die Schwyzer, so stellten sich auch die Unterwaldner im Kampfe Friedrichs mit Rom auf des Kaisers Seite, und da sie wie jene die Rache des Landgrafen zu befürchten hatten, so suchten sie Fühlung mit den Nachbarn von Schwyz und Uri. Man that sich zusammen, wie es eben ging, und bald wurden die habsburgischen Amtleute vertrieben, ihre Burgen zerstört (1245 bis 1250). Die Herrlichkeit der freien Bauern am Vierwaldstätter See dauerte aber nicht lange. Friedrich II. starb, und die Hohenstaufen unterlagen in Deutschland wie in Italien. Die Schwyzer und die Unterwaldner mußten sich Habsburg wieder unterwerfen, nur die Urner blieben unangefochten in ihrer Freiheit. Als jedoch bald darauf Rudolf III. von Habsburg die Herrschaft über die Waldstätte übernahm, den Besitz seines Hauses ringsum rasch zu mehren wußte und zudem auch überall schwere Steuern eintreiben ließ, da erstrebten die drei Länder am See, besorgt um ihre Zukunft, neuerdings eine Vereinigung.

In dieser Zeit kam die Nachricht vom Tode des Königs Rudolf, und neue Wirren im Reich standen in Aussicht, zugleich drohte aber auch die Gefahr der gänzlichen Unterjochung durch Rudolfs Sohn, Albrecht von Oesterreich. Jetzt war der ebenso nothwendige als günstige Augenblick gekommen, wo die Waldstätte ein festes Bündniß schließen mußten. Sie thaten es für ewige Zeiten auf der Rütliwiese am Urner See, „incipiente Augusto, anno domini MCCLXXXX primo“, das heißt am 1. August 1291. Die Urkunde über den Bund ist noch vorhanden und wird in Schwyz aufbewahrt. Sie ist lateinisch abgefaßt und trägt die Siegel der drei Landschaften, nicht aber die Namen der Männer, welche die Vereinigung abschlossen. Immerhin kennen wir aus einer andern gleichzeitigen Quelle wenigstens die damaligen Häupter der Urner und Schwyzer; es sind von Uri der Landammann Ritter Arnold, Meier von Silenen, Alt-Landammann Burkhard Schüpfer und Freiherr Werner von Attinghausen, von Schwyz Konrad von Iberg und Rudolf Stauffacher. Diese waren es wohl, welche neben den unbekannten Vertretern von Unterwalden den ewigen Bund in stand gebracht haben.

Dem Andenken jener bewegten, für die Entwicklung der Eidgenossenschaft grundlegenden Zeit galten die Festlichkeiten, die am 1. und 2. August in Schwyz und an den Gestaden des Vierwaldstättersees veranstaltet wurden.

„Mag auch,“ sagte der schweizerische Bundesrath in seiner Botschaft über die Vorbereitung einer solchen Feier, „in der Ordnung unserer inneren politischen und wirthschaftlichen Verhältnisse heutzutage, wie dies zu allen Zeiten der Fall war. Kampf und Widerstreit walten, so sind doch alle Schweizer einig in der Liebe zu dem freien Vaterlande, welches ihnen glückliches Erbtheil geworden, und segnen alle den Tag, der ihnen dasselbe gegründet hat. Eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_586.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)