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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Haltung an; er hatte gewaltigen Respekt vor der ehemaligen Oberstin, „denn auch wir haben gedient,“ pflegte er zu sagen.

„Zu Befehl, Frau Baronin! Wir sind heute allein. Der Herr Referendar trat gestern seinen Urlaub an, und der Herr Assessor ist wieder leidend.“

Ida trat ins Zimmer ihres Mannes, er stand an einem Tisch inmitten des Gemaches und zählte Werthpapiere in eine eiserne Handkasse.

„Grüß’ Gott, liebe Ida,“ sagte er freundlich, „ich stehe gleich zu Diensten … Zweitausendachthundert, neuenhundert – dreitausend – stimmt!“ Er legte die Scheine in die Kasse und schloß sie ab.

„Hast Du heimliches Geld?“ fragte Ida scherzend.

„Du lieber Gott, ich! … Mündelgelder und so weiter! Und jetzt nimm Platz und erzähle! Du kommst doch vom Bahnhof? Ist Helmuth wieder zurück?“

„Ja, aber weißt Du, wie lange sein neuer Urlaub dauert?“

„Drei Wochen?“

„Acht Tage! sage: acht Tage! Muß ein sehr unliebenswürdiger Kommandeur sein, dieser Herr Oberst. Vrenerl wurde blaß wie die Wand und jetzt weint sie in ihrer Stube.“

Der Amtsrichter fuhr mit der etwas zittrigen Rechten über den Scheitel. „Arme Maus!“ murmelte er. „Doch am Ende liegt seine Garnison nicht aus der Welt.“

„Beinahe. Ein Brief nach Rom braucht nicht so lange wie einer nach Germelsheim. Und die Hochzeit? Excellenz und ich haben Helmuths stürmischen Bitten nachgegeben und sie auf des Erbprinzen Geburtstag im August festgesetzt.“

„So kommt Helmuth im August her oder wir reisen hin. Uebrigens würde es nicht besser sein, die Hochzeit auf unbestimmte Zeit zu verschieben, bis – Du weißt – bis das Geschäftliche geordnet ist?“

„Verschieben?“ rief Ida. „Eine Hochzeit aufschieben und eine Verlobung aufheben, ist fast gleichbedeutend. Das bringt Unglück. Excellenz und ich haben uns ins Geschäftliche getheilt. Er übernahm die Eingabe und ich verbürgte mich mit meinem Wort, daß die Haftsumme zu jeder Stunde bereit liegt.“

„Hm, Du scheinst mir –“

„Ach, geh’ mir mit Deinen Bedenken; rathe, wer noch angekommen ist!“

„Etwa schon der Erbprinz?“

„Nein, Onkel Anton.“

„Das freut mich.“

„Mich auch. In demselben Zug mit Helmuth. Wenn das nicht ein Fingerzeig Gottes ist –“

„Der Ausdruck ist stark. Ihr habt den Onkel doch begrüßt?“

„Freilich haben wir, ich und Verena. Doch da hat er aus Karlsbad einen abscheulichen Köter mitgebracht. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf das Thier gerichtet. Wir konnten nicht zehn Worte mit ihm reden und an eine Vorstellung Helmuths war nicht zu denken.“

Frau Ida legte die Hand auf die Schulter ihres Mannes und lehnte sich schmeichelnd an ihn: „Nicht wahr, lieber Vitus, Du sprichst morgen mit dem Onkel?“

Der Amtsrichter seufzte aus tiefster Brust.

„Schon morgen? Höre, liebe Ida, der Schritt will überlegt sein. Vor allem, nimm Platz!“

Während er seinen eigenen Stuhl für sie herbeiholte, sah sie ihn prüfend an.

„Du hast Ausflüchte!“

„Keine Ausflüchte, aber Einwände,“ vertheidigte er sich, als sie beide einander gegenübersaßen. „Onkel Anton will vorsichtig behandelt sein, er ist ein Sonderling und vor allem kein Freund des Militärs.“

„So streichst Du statt des Sohnes den Vater heraus! Die Excellenz ist dem Onkel jedenfalls dem Namen nach bekannt. Zwar ist der Präsident einstweilen in den Ruhestand versetzt, doch wenn Euer – Verzeihung! – unser Fürst heute stirbt, ist Herr von Imhof als der Liebling des Erbprinzen morgen Minister. Glaube mir, das verfängt bei dem alten Junggesellen! Zu unserem Bedauern, sagst Du ihm dann, haben wir – ob Du oder ich, würde ich zweifelhaft lassen – haben wir nicht die ganze Summe bereit; doch da wir so glücklich sind, einen liebenswürdigen, ungeheuer reichen Onkel zu besitzen, hoffen wir – und so weiter! – Unsere Bitte kann Herrn Furtenbacher nur schmeichelhaft sein. Zudem bist Du sein einziger Verwandter, sein Erbe.“

„Wenn er letztwillig nicht anders verfügt.“

„Er denkt nicht dran,“ rief Ida sorglos. „Onkel Anton gehört zu meinen Eroberungen. Auch wollen wir das Geld nicht zum Geschenk. Mein Witwengehalt deckt die Zinsen weitaus und wenn wir uns einschränken –“

„Das kannst Du nicht,“ entgegnete Vitus aufrichtig. „Das sollst Du nicht,“ setzte er zärtlich hinzu. „Ich werde mit dem Onkel reden.“

In diesem Augenblick vernahmen sie einen Wortwechsel im Vorzimmer. Jemand wollte gemeldet werden und der Amtsdiener verweigerte es. „Aber die Frau Baronin,“ klagte der Fremde, und die anfangs weinerliche Stimme wurde laut und aufdringlich, „die Frau Baronin, so liebenswürdig, so gütig –“

Der Richter drückte auf die Tischglocke. „Die Stimme ist mir bekannt,“ sagte er. „Ist seine letzte Strafe schon abgesessen? Wie die Zeit vergeht!“

„Wen meinst Du?“ fragte Ida; doch da trat der Amtsdiener schon ins Zimmer. Nicht allein, er hielt einen blassen, schlechtgekleideten Burschen am Arm.

„Schön, daß Sie ihn gleich mitbringen!“ rief Müller. „Sieh! sieh! der Schreiber Franz! Wieder ’mal losgelassen?“

Der Bursche machte dem Amtsrichter eine Verbeugung, eine zweite, tiefere vor dessen Frau.

„Ja, Herr Richter, ich wurde heute hierher abgeschoben,“ antwortete er und begann, den befreiten Arm zu reiben. „Da wollte ich den Tag nicht vorübergehen lassen, ohne mich bei Ihnen gehorsamst zu melden und unterthänigst um Arbeit zu bitten. Es ist nämlich mein unabänderlicher Entschluß, mich zu bessern. Aber von guten Vorsätzen kann man nicht leben.“

Er stockte, drehte seinen Hut hin und her und schielte nach der Amtsrichterin. „Ich würde in der Amtsstube vorm Versucher sicherer sein als auf der Landstraße. Wenn Sie es noch einmal mit mir probieren würden –“

„Nach Jahr und Tag vielleicht,“ erwiderte Müller, „wenn Du Deine Besserung bewiesen hast.“

Der Amtsdiener, dessen Geduld mit dem „nichtsnutzigen Subjekt“ zu Ende war, blickte den Richter fragend an. „Noch eins,“ sagte dieser. „Erneuere Deine alte Bekanntschaft mit dem ‚Pfannen-Gide‘ nicht! Sie hat Dir kein Glück gebracht.“

„Herr Amtsrichter –“ versetzte der Strolch und hob die Schwurfinger empor, dann ließ er sich vom Amtsdiener gutwillig abführen.

„Willst Du es nicht noch einmal mit ihm versuchen?“ fragte Ida, als sie mit ihrem Mann allein war.

„Unmöglich. Ich könnte Dir ein Dutzend Paragraphen nennen, gegen die er sich vergangen hat. Seine Eltern waren brav, er genoß eine gute Schule, hatte als Hilfsschreiber sein reichliches Brot; kurz, er beging die strafbaren Handlungen ohne jeden Zwang, nichts also entschuldigt ihn.“

„Und mit solchen Leuten hast Du täglich zu thun! Ich bitte Dich, mach’ ein Fenster auf! Der Mensch brachte Gefängnißluft mit sich.“

Vitus Müller öffnete eins der vergitterten Fenster, welche auf den Stadtplatz gingen. „Sieh! sieh!“ bemerkte er schmunzelnd, „auf dem Rathhause hat man die Flagge gehißt. Das nenne ich Ergebenheit! Der Erbprinz fährt nur durch und zwar bei Nacht –“

„Aber der Zug hat hier Aufenthalt.“

„Fünf Minuten; auch hat sich der Prinz allen Empfang verbeten.“

„Wir gehen doch hin?“

„Wenn Du meinst – obwohl –“

„Was ‚obwohl‘? Freilich müssen wir hin. Und Männchen zieht sein Amtskleid an!“

Der Richter sah seine Frau erschrocken an.

„Das versteht sich eigentlich von selbst,“ fuhr diese fort, „denk’ nur, der Erbprinz!“

„Ich bin unserm Fürstenhaus sicherlich ergeben, doch eben die wahre Treue drängt sich nicht auf.“

„Glaube mir, die Excellenz erscheint mit allen Orden!“

„Aber ich bin keine Excellenz und habe keine Orden!“

„Weil Du zu bescheiden bist. Man wird immer für das genommen, für was man sich ausgiebt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_452.jpg&oldid=- (Version vom 1.9.2023)