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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


5. Nothbremshebel.

Bei den österreichischen Verwaltungen wird die Bremse mit Luftverdünnung nach Hardys Bauweise bevorzugt. Auch bei dieser Bremse sind die wesentlichsten Bestandtheile eine von der Lokomotive aus unter dem Zuge hingeführte Luftleitung E; in Verbindung mit derselben steht ein senkrechter Bremscylinder H, mit Kolben und Kolbenstange. Sollen die Bremsen angezogen werden, so setzt der Lokomotivführer einen ihm zur Hand befindlichen Hebel D in Thätigkeit, mittels dessen die Luft aus der Leitung und den Bremscylindern oberhalb des Kolbens in H ausgesaugt, also eine Luftleere (Vacuum) oder wenigstens eine so große Luftverdünnung geschaffen wird, daß der Kolben sich nach aufwärts bewegt. Durch diese Bewegung wird, wie dies Abbild. 6 zeigt, das mit dem Kolben verbundene Bremsgestänge gehoben, wobei wie bei einer gewöhnlichen Presse die Bewegung in der Richtung der Pfeile erfolgt und die Bremsung bewirkt wird. In der Abbildung bedeutet E die zu den einzelnen Bremsen abzweigende Rohrleitung, A ist die zur Erzielung der Luftleere dienende, durch Dampf getriebene Luftpumpe, C ein großer und G ein kleiner Behälter, beide für verdünnte Luft bestimmt und mit den Ventilen I versehen.

Um die Bremsen zu lösen, wird von der Lokomotive aus Luft von gewöhnlicher Spannung in die Rohrleitung und oberhalb des Kolbens in die Vacuumcylinder eingelassen. Da nun auf beiden Seiten der gleiche Luftdruck wirkt, so sinken die Kolben durch ihre eigene Schwere und lösen die Bremsklötze von den Rädern.

Trotzdem die besprochenen Bremsen sehr rasch wirken, ist es in Fällen dringender Noth, in denen eine einzige Sekunde verlorener Zeit verhängnißvoll werden kann, erwünscht, auch den geringen Zeitverlust zu vermeiden, welcher dadurch entsteht, daß die ganze Menge der Bremsluft durch eine einzige Oeffnung entweichen muß. Nach einem vor kurzem versuchten System wird daher die Ausströmung der Preßluft an allen Bremsen gleichzeitig bewirkt, und zwar mittels einer elektrischen Leitung, die nach einem dem früher erwähnten ähnlichen Prinzip eingerichtet ist, das heißt, sie wirkt, sobald irgend etwas nicht in Ordnung ist. Nunmehr genügt ein leiser Fingerdruck auf den Knopf der elektrischen Leitung und im nächsten Augenblick steht die ganze Masse des Zuges unbeweglich still – unsäglicher Jammer ist vielleicht verhütet.

6. Hardysche Vacuumbremse.

So sehen wir, daß der menschliche Erfindungsgeist rastlos daran arbeitet, allen möglichen Gefahren, die nun einmal mit dem Eisenbahnbetrieb verknüpft sind, vorbeugend entgegenzutreten, die Bändigung der Naturkraft, welche er in seinen Dienst gezwungen hat, zu einer immer vollständigeren zu machen. Freilich, Menschenwerk bleibt Stückwerk, das muß sich auch hier bewahrheiten. Das Eisenbahnunglück wird nicht aus der Welt verschwinden, so lange es Eisenbahnen giebt. Aber die Zahl und die Heftigkeit solcher Unfälle auf ein möglichst kleines Maß zu beschränken, klein jedenfalls im Verhältniß zu der riesigen Ausdehnung des Verkehrs, diesem Ziel schreiten wir näher und näher – und daraus mögen wir Beruhigung schöpfen, wenn traurige Berichte an unser Ohr dringen und uns in ängstliche Zweifel stürzen wollen. W–r.     





Blätter und Blüthen.


Der Vogel und der Wind. Die neueren Forschungen haben uns manche Aufklärung über das Räthsel des Vogelfluges gebracht. Eine der merkwürdigsten ist die Feststellung der Wechselbeziehungen zwischen dem Vogelfluge und dem Winde. Der letztere, gegen den die Luftschiffer vergeblich ankämpfen, ist für den Vogelflug keineswegs eine feindliche Macht. Der Wind, und zwar der Gegenwind, trägt sogar gleichsam den Vogel. Es ist eine bekannte Thatsache, daß die Vögel beim Auffliegen stets die Richtung gegen den Wind einzuschlagen pflegen, und dies geht so weit, daß sie zutreffenden Falls selbst über dem Feuerrohr des Jägers oder dem Nachen des Verfolgers aufzusteigen suchen. Die schöne Art des Fluges, die wir z. B. beim Kreisen der Störche beobachten, der Segelflug, bei welchem der Vogel nicht mit den Flügeln schlägt, sondern sie ausgebreitet hält und nur zeitweise richtig einstellt, er ist ohne Wind nicht möglich. Diese Thatsache ist den Falknern schon in alten Zeiten bekannt gewesen, da sie oft beobachten konnten, daß bei den Kämpfen, welche verschiedene Vögel hoch in den Lüften ausführten, der Wind dem mit dem Segelflug ausgestatteten Vogel den Sieg sicherte. Unser Storch, der zwischen den Bäumen ein Stümper im Fluge ist, erweist sich als Meister, wenn er in höheren Regionen den frischen Windzug unter seinen Flügeln spürt. Wenn die Vögel ihre weite Reise nach dem Süden antreten, so benutzen sie dazu den Gegenwind, und wenn sie unterwegs aufs äußerste ermattet auf Schiffe niederfallen, so geschieht das vielleicht deshalb, weil der Wind umgeschlagen hat.

Ein französischer Forscher, Mouillard, beobachtete einen höchst bezeichnenden Fall. Ein Adler saß auf dem Gipfel einer Esche, da strich eine frische Brise durch die Luft, der Vogel breitete seine Schwingen aus und ließ sich gegen den Wind fallen. Er wurde von dem Winde auf eine Strecke von etwa 100 m um 50 m emporgehoben, ohne daß er einen Flügelschlag gethan hätte. – Die Menschen mühen sich ab, das Geheimniß des Fluges zu entschleiern und auch das Reich der Lüfte zu erobern. In dem Luftballon stiegen wir schon seit über hundert Jahren, aber nicht wohin wir wollen, sondern wohin der Wind will; der Wind in seiner Unberechenbarkeit ist der größte Feind der Luftschiffer. Allein er ist, wie die Forschung uns gezeigt hat, ein Beförderer des Vogelfluges, und diese Wahrnehmung macht es uns wahrscheinlicher, daß eine Lösung des Flugproblems nicht unmöglich ist. *     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_447.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2023)