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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Nachmittag wählen, wo sie ihren Kaffee einnehmen werden und ob sie nach dem Kaffee noch ein Stündchen in das Lesekabinett sich verfügen oder der Musik zuhören oder irgendwelches nicht aufregende Spielchen machen sollen und auf welcher Bank sie Platz nehmen könnten, um von den ungemeldeten und unwillkommensten Kurgästen, den Mücken, möglichst wenig belästigt zu werden.

Wenn man als Zugereister die Leute in den Bädern über diese kleinen Sorgen um das Ich mit der wichtigsten Miene der Welt debattieren hört, kann man sich eines Lächelns nicht erwehren, und doch sind sie alle so beschäftigt und gehen abends mit derselben Erschöpfung zu Bett, als wenn sie ein ungeheures Tagewerk hinter sich hätten. Es kommt aber etwas hinzu, was immer und überall anregend wirkt und wenn nicht das Hauptheilmittel, so doch mit den Hauptreiz dieser Kurorte bildet, was die von den gesellschaftlichen Pflichten des Winters und von den sehr lieben, aber oft sehr quälenden Ansprüchen der Kinderstube abgemattete Hausfrau alle Müdigkeit überwinden läßt, wenn es an das Einpacken ins Bad geht, und was den eingestaubtesten Philister seinem Skat und seiner Stammkneipe entfremdet: die Gesellschaft.

All die kleinen Leiden, welche der einzelne zu ertragen hat und daheim unausgesprochen in seinem Innern birgt, um seiner Umgebung nicht lästig zu fallen, hier trifft er Gleichgesinnte, denen er sie in aller Ausführlichkeit vorlegen und bei denen er stets überzeugt sein darf, ein geneigtes Ohr zu finden. Es ist ein Trost im Elend, Genossen zu haben: hier findet die nervöse Dame, welche bei jedem Tastenanschlag zusammenschrickt, Nachbarinnen, welche schon das Summen einer Fliege aus dem Häuschen bringt: hier schließt sich der fette Herr, welcher Jahrzehnte nicht mehr das Glück gehabt hat, seine Füße anders als im Spiegel zu sehen, an eine ganze Kohorte von Leidensgefährten an, im Verhältniß zu denen er sich eine Sarah Bernhardt an Schlankheit vorkommt und mit denen er nun gemeinsam die großen Märsche ausführt, welche ihnen der Arzt gerathen hat; hier trösten sich an attackenfreien Tagen gichtleidende Gourmands über das frugale Mahl, welches ihnen ihr Arzt gestattet, und vornehme hysterische Damen finden bei liebenswürdigen Kavalieren für ihr interessantes Leiden verständnißvolles Eingehen.

Während man aber in den kleineren Bädern einander bald kennt und von jedem zugekommenen Gaste Notiz nimmt, bildet in den großen internationalen Kurorten die Badegesellschaft – dem Meere gleich – eine in ewigem Fluß und Wechsel befindliche Masse, die alle Morgen wenn nicht neue Erscheinungen, so doch neue Toiletten auf den Platz bringt, an deren Oberfläche Bekanntschaften sich anknüpfen, oft flüchtigerer Art, erlöschend, sobald der eine Theil nach Hause fährt, oft beständigerer Natur, mit verhängnißvollem Ausgange, das heißt mit schließlicher – Vermählung.

Mit seinem Bilde aus Kissingen hat Meister Menzel einen Griff ins volle Badeleben gethan, und wo Menzel das Leben packt, da ist’s interessant. Wir sehen die Badegesellschaft von Kissingen in angestrengtester Thätigkeit. Rakoczy und Pandurbrunnen werden auf kleinen beweglichen Oefen vorgewärmt. Rechts kühlt Frau Kommerzienräthin den für ihre Lippen etwas zu heißen Trank durch Blasen ab, während ihre beiden schwarzlockigen Kleinen ein Vergnügen daran finden, ihre Fingerchen in den aufsteigenden Dämpfen zu wärmen; vermuthlich macht es ihnen Spaß, Mama im Trinken Gesellschaft zu leisten, obwohl sie es, Gott sei Dank – durchaus nicht nöthig haben. Der leberleidende hagere Berliner dahinter – ist’s ein Staatsanwalt oder gar ein „Geheimer revidierender Kalkulator“? – erfreut sich, aus der Nelke in seinem Knopfloch zu schließen, derzeit einer ausgezeichneten Stimmung. Zweckbewußt schlürft er sein Glas Nummer 4 – der Mann verzählt sich nicht! Links prüft ein deutscher Gelehrter mit tastenden Fingern eben „das Gemisch“, als stände er in seinem Laboratorium. Er trägt den Typus der achtundvierziger Männer, den runden Hut, den weiten Ueberzieher, den etwas verwilderten grauen Vollbart und graues Haupthaar, aber er ist längst ein ausgesöhnter Mann in Amt und Würden geworden und neigt sehr zu Hypochondrie und Schopenhauerscher Weltverachtung; den Regenschirm, welchen er in steter Gefährdung seiner Umgebung unter den Arm geklemmt trägt, läßt er auch bei sonnigstem Wetter nicht von der Hand. An ihm vorüber schreitet eben ein Mann, den ich entschieden für Hamlets Geist halten würde, wenn man nicht wüßte, daß dieser in Helsingör durchaus unabkömmlich ist. Er ist auch kein Däne, sondern ein Sohn Albions und zwar einer, welcher sein halbes Leben in einem indischen Regiment gestanden hat und im Verkehr mit den Radschputen braun wie ein Hindu geworden ist. Seine Gattin weilt mit der Familie in Brighton, während ihm sein Arzt Kissingen verordnet hat, und er wandert, sein Glas wie einen Orden vom Goldenen Vließ um den Hals gehängt, als ein wandelnder Thurm mit unfehlbarer Regelmäßigkeit schweigsam durch die Trinkerschar. Er versteht zwar kein Deutsch, wenn er aber überhaupt Neigung hätte, sich um andere Menschen zu kümmern, so würde er sich sicher über die Gruppe freuen, welche sich hinter ihm aufgestellt hat. Ein vermuthlich pommerscher Gutsbesitzer, einstmaliger Major, jetzt unternehmender Witwer, heute wieder jung geworden, in weißem Hut und weißem Beinkleide, hat es nämlich erst ungemein schüchtern, dann stufenweise kühner werdend, auf das Herz einer liebenswürdigen Dame abgesehen und überreicht ihr bereits ein Bukett, welches seinen demnächst zu erwartenden förmlichen Antrag einleiten soll. Der geistliche Herr, ein österreichischer Vikar, amüsiert sich über dieses Ereigniß, das er vorausgesehen hat, mit einer gewissen Schadenfreude, denn die lebhafte junge Witwe hat ihm anvertraut, daß sie sich vor acht Tagen mit einem jungen Deutschamerikaner heimlich verlobt hat, der nach Beendigung der Kur heimgekehrt sei, um seine Eltern, Dollarmillionäre, auf seinen Schritt langsam vorzubereiten. Heute noch oder morgen soll von Boston das Kabeltelegramm einlaufen, welches ihr gestatten wird, sich öffentlich als die Braut des vielumworbenen Mr. Bob Miller, Firma Miller Brothers, zu bekennen. Sie nimmt übrigens dem Major a. D. seine Annäherungsversuche nicht übel; die heimliche Braut freut sich, daß sie Eindruck auf den Promenadenfreund gemacht hat, und daß seine Huldigung von der interessanten jungen Dame im großen Hut mit Bänder- und Federnschmuck, welche zu verschiedenen Malen Neid auf ihre Triumphe an den Tag gelegt hatte, bemerkt wird, bereitet ihr, die ihr Schäfchen bereits im Trocknen hat, doppeltes Vergnügen.

Ueberall, wo immer man umblickt, merkwürdige Kurgäste, gemüthliche Philister, grauhaarige freundliche Matronen, junge hübsche Frauen am Arme alter Herren, ein anziehender Roman mit Hunderten von Personen. Selbst zwischen dem kleinen dem Kinderpaare zugehörigen Pudel und dem italienischen Windspiel im Vordergrunde des Bildes würde sich etwas anknüpfen, wenn nicht eine starke Hand letzteres an der Kette zurückhielte. Wie gesagt: das allerschönste von dem Bade bleibt – die Brunnenpromenade.

Daß die Bäder unterhalten, erfrischen, daß der Umgang mit neuen Menschen, die Anregung neuer Lebensgewohnheiten, der Aufenthalt in freier Luft, das regelmäßige Leben wohlthätig wirkt, scheint mir außer Frage zu stehen. Was die Wirkung der Becher und Bäder selbst betrifft, so muß ich das Urtheil darüber den Jüngern der Heikunde überlassen. So viel ist unbestritten: wenn jemand mit seinem vierzigsten Jahre anfängt, Bäder zu besuchen, und das aus Gewohnheit und Dankbarkeit so an 40 bis 50 Jahre hintereinander fortsetzt, dann wird er ein ganz respektables Alter erreichen. Oscar Justinus.     




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Alle Rechte vorbehalten.

Mein Dienst auf der „Elisabeth“.

Von H. Rosenthal-Bonin.0 Mit Zeichnungen von C. Grethe.

(Schluß.)


Wer noch nie den Tropen sich genähert hat, der kann sich gar nicht vorstellen, was der Passatwind für Schiff und Mannschaft bedeutet. Er ist das Paradies aller Seefahrer auf Erden. Eine Frühlingsluftströmung, die das Schiff wochenlang unter stets mildem, heiter lächelndem Himmel dahingleiten läßt, seinem Ziele zu! Fast nie eine Störung, nur reines, volles Genießen! Mit rosigem Glanz versinkt die Sonne, mit rosigem Schimmer steht sie auf – das Meer ist leuchtend blau, der Himmel von ungetrübter Klarheit. Die See lächelt in leichtem Spiel der Wellen und ist so voll Licht, daß man bis zum Grunde hinunter zu sehen glaubt.

Der Schiffer hat auf seine Weise Ferien, denn schwere Arbeit giebt es jetzt nicht, und ergötzt sich an dem üppigen Thierleben, das der Ocean ihm darbietet. Oft umspielen Herden von Tümmlern das dahingleitende Schiff, Rudel von schimmernden Boniten und dickköpfigen Pottfischen ziehen vorüber, Scharen von lustig springenden und ganz toll sich überschlagenden Delphinen begleiten stundenlang das Fahrzeug; es ist ein märchenhaftes Thierleben, wohin man blickt, und der Seemann greift, um nicht gar zu sehr dem Faulenzen sich zu ergeben, zur Harpune, zielt und schleudert, um sich eine Beute herauf zu holen. Die Thiere sind schlau und vorsichtig und nur selten wird ein Tümmler gefangen; gelingt es aber, eines dieser fetten Burschen habhaft zu werden, so giebt’s ein großes Schmausen an Bord, wenn auch der Gefangene nur für den wenig verwöhnten Seemannsgaumen ein Leckerbissen ist.

Anders verhält es sich hierin mit den fliegenden Fischen. Die sind selbst für den Feinschmecker eine ausgezeichnete Delikatesse.

Das Erscheinen dieser seltsamen Meeresbewohner ist für den Schiffer ein Zeichen, daß er in die Wendekreise eingetreten ist. Unglaublich stark ist diese Zone von den sonderbaren Wesen belebt, denn immerfort und immerfort sieht man bald hier bald dort den silberschimmernden Fisch in Schwärmen zu Hunderten und Tausenden plötzlich aus der blauen Fluth sich erheben und nach einer Strecke von etwa 50 Metern wieder ins Wasser fallen.

Wir fingen diesen willkommenen Luftspringer nachts in Netzen, die vermittelst Stangen am Schiff angebracht waren und wagrecht unmittelbar über dem Wasser schwebten. Eine kleine Laterne wurde an der Stange befestigt, und dutzendweise flogen die vom Schiff aufgeschreckten Fische gegen das Licht, um sich alsbald im Netz zu fangen. In einer Nacht erbeuteten wir so 70 fliegende Fische. Spia Tjaden, unser Beherrscher der Küche, besaß eine besondere Kunst der Zubereitung dieser forellenähnlich schmeckenden Flossenträger; er briet sie sehr schnell in kochendem Fett, und die Frau Kapitän spendete aus ihrem Vorrath Zitronen, mit deren Saft begossen die knusprige Speise aufgetragen wurde.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_415.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)